Der taz-Raucher: Auf einen Joint mit Helmut Höge
"Mein vorläufig letztes Talkshowerlebnis liegt erst ein gutes Jahr oder so zurück"
Lieber Herr Höge, nichts macht Sie immer wieder so verdrossen wie Talkshows.
Helmut Höge, geboren 1947 in Bremen, arbeitete zunächst als Dolmetscher bei der US Air Force und bei einem indischen Tierhändler, anschließend studierte er Sozialwissenschaften in Berlin und arbeitete dann als Rinderpfleger in verschiedenen Landwirtschaften West- und zuletzt auch Ostdeutschlands. Daneben versuchte er erst, vom Leben zu schreiben und zuletzt, vom Schreiben zu leben. Seit 1980 veröffentlicht er seine Texte auch in der taz, wo er wegen seines dabei aufgelaufenen Minushonorarstands auch noch im Sommer als Aushilfshausmeister und im Winter als Paketpacker beschäftigt ist.
Er verehrt Leute, bei denen der Bindfaden, mit dem ihre Pakete verschnüren, niemals zu kurz ist, die der Schmerz im Liegen trifft, wenn sie dazu bereit sind, und der Witz, wenn ihnen zum Lachen zumute ist.
Ja, und das von Anfang an. Bereits bei der ersten - dem "Beatclub" von Radio Bremen, den Uschi Nerke moderierte und der in der dortigen linken Schülerscene sehr beliebt war, bin ich nich reingekommen. Dabei war die Nerke eine Schülerin an der Kunsthochschule, wo mein Vater lehrte. Das hat mir aber damals nichts genützt. Zum Glück war das Fernsehen in den Sechzigern noch nicht so wichtig, zudem entwickelte sich die Straße gerade zu einem neuen politischen Medium.
Erst im nächsten Jahrtausend, 2001 um genau zu sein, habe ich es noch mal versucht: bei "Vera am Mittag". Da habe ich schon für Die Zeit gearbeitet - und Auf Zeit. Diesmal kam ich rein, wenn auch nur mit einer nervösen Produktionsassistentin an meiner Seite. Vera erwies sich auch körperlich als das genau Gegenteil von Uschi, die ich wie gesagt nur vom Bildschirm her kannte. Die Sat.1-Talkshow war eine amerikanische Lizenz zum Töten, also nichts auf deutschem Boden quasi Selbstausgedachtes. Sie wurde demzufolge in den Babelsberger Studios auch nur nachgestellt. Und dafür war bei den Dreharbeiten ständig eine amerikanische Aufseherin anwesend, die auch so aussah. Aber da sie natürlich in dieser deutschen Unterschicht-Talkshow kein einziges Wort verstand, ich nebenbei bemerkt inzwischen auch kaum noch, hatte sie immer eine Dolmetscherin dabei.
Ich spazierte da also hinter der Bühne mit meiner Aufseherin von der Produktionsleitung auf und ab und kuckte den Kabellegern bei der Arbeit zu, als plötzlich die Aufseherin der amerikanischen Lizenzgeberfirma auf mich zutrat und fast ärgerlich auf die Bühne zeigte. Ich winkte lächelnd ab. Es ging da, glaube ich, gerade um zwei Pärchen aus Ost- und Westdeutschland, von denen das eine Mädchen mit dem Freund des anderen rumgemacht hatte. Weswegen sich nun die beiden "Betrogenen" zusammengetan hatten, um es ihr in diesem Vera-Talk mal so richtig zu geben. Entscheidend war dabei jedoch der Vierte im Bunde, der Junge aus Ostdeutschland, in dessen Zelt das BRD-Mädchen nachmittags spontan, wie sie sagte, gekrochen war.
Das Ganze hatte sich auf einem Dauercamperareal in Spanien abgespielt. Ich hatte die Geste der US-Aufseherin jedoch missverstanden, wie mir ihre Dolmetscherin sogleich übersetzte: Sie wollte nur eine neue Position für die zweite Kamera anordnen. Die Produktionsassistentin ging mit ihr daraufhin zur Regie, die sich am Rand der Bühne befand. Mich ließ sie zurück - bei der Dolmetscherin. Und diese erwies sich dann als die einzig Interessante und Intelligente am ganzen Sat.1-Set. Sie hatte Amerikanistik und Medienwissenschaft studiert und trug ständig eine schwarze Lederjacke.
Ihren Arbeitsplatz hatte sie halb draußen - an der großen offenen Studiotür, wo es kalt war. Nur ab und zu musste sie für die Aufseherin der US-Lizenzgeberfirma persönlich dolmetschen, die meiste Zeit kommunizierte sie mit der auf Distanz - über Kopfhörer. Ich habe keine Ahnung, über was die beiden dabei redeten. Viel kann es nicht gewesen sein, denn die Dolmetscherin unterhielt sich mit mir die ganze Zeit. Sie hatte ein sehr distanziertes Verhältnis zu der peinlichen Show, wie sie sagte. Darüber redeten wir aber kaum. Ihretwegen besuchte ich die Nachmittagstalkshow auch noch an den darauf folgenden Tagen - bis die Staffel abgedreht war.
Danach habe ich die Dolmetscherin dann leider aus den Augen verloren. Stattdessen saß ich zu Hause in Berlin und arbeitete an einem Artikel über "Vera am Mittag". Vielleicht sollte ich hier und jetzt die Gelegenheit nutzen - und meine Telefonnummer oder wenigstens meine E-Mail-Adresse anfügen? Nein, das wäre zu blöd, außerdem ist dieses Talkshow-Erlebnis auch schon wieder fast zehn Jahre her.
Mein vorläufig letztes liegt erst ein gutes Jahr oder so zurück. Da lag ich abends in einem Hotelzimmer in Hannover auf dem Bett und zappte durch die TV-Programme, wobei ich den Ehrgeiz hatte, bei allen gerade auf irgendwelchen Kanälen laufenden US-Spielfilmen, es waren, glaube ich, sechs, den Handlungsfaden nicht zu verlieren - eine Art Gedächtnistraining kurz vorm Einschlafen. Da tauchte auf einem Musikkanal Sarah Kuttner auf. Sie redete die ganze Zeit - wie aufgedreht. Ich kannte sie, als sie noch zur Schule ging und bei ihrem Vater wohnte, bei dem wir uns regelmäßig nachts trafen, um über Theorie und Praxis des bewaffneten Kampfes zu diskutieren. Wenn Sarah dann nach Hause kam, sagte sie nur kurz "Tach" - gab ihrem Vater einen Kuss und verschwand schweigend in ihrem Zimmer.
Die Eingangsfrage stellte Giovanni di Lorenzo- allerdings nicht Helmut Höge in der taz, sondern Helmut Schmidt in der Zeit.
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