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KolumneImmer jut druff, so mitten in die Sonne

Der Eingang am Neuköllner Rathaus ins Untergrundsystem ist das Wohnzimmer der PennerInnen des Viertels

Der Rote ist auch wieder da, neulich erst sah man ihn im Supermarkt im schnieken Zweireiher. Jetzt steht der Mann in einer zwanglos sortierten Gruppe aus etwa 20 Männern und Frauen am U-Bahnhof und trinkt Bier. Wir, die nicht zu dieser Community gehören, wissen, das sind die Penner und Wohnungslosen und Alkoholiker und Herausgefallenen des Viertels, manche sagen auch, des gesamten Berliner Südostens. Der Rote, der Manne heißt, hat einen ziemlich angeschickerten Blick. Er geht mal zu jenen Kumpels, dann zu anderen Kumpelinnen. Die Tonlage ist rau, wie unter alten Freunden. Manne sagt, "Mensch, die Evi hat nächste Woche Geburtstag", und eine Frau erwidert, "Ick hatte ja letzte Woche". Alle sprechen miteinander, rufen sich laut zu, "ey, Tommi, wat macht dat Leben"?

taz

Jan Feddersen,50, ist Autor und Redakteur. Besonders für die Ressorts taz.mag und tazzwei. Sein Credo: Das Leben ist schön kompliziert - drum liebe deine Nächste!

Will sagen: Die tun keinem was, die bellen nicht einmal laut, sie haben keine Kampfhunde, sie machen Angst, weil sie stark lärmen, und sie sehen so aus wie alle Kritik an Hartz IV, am System überhaupt, es sich nur wünscht. Das Problem dieser auf Aufklärung geeichten Skizzen vom Elend der Menschen, die schon mittags Bier trinken und sich grölend Dinge zurufen, scheint jedoch, dass ihr Dasein absolut freiwillig aussieht. Von Manne weiß ich, dass er als Sachbearbeiter in einer Speditionsfirma gearbeitet hat und plötzlich keine Lust mehr auf die Jobberei hatte. "Dicke Freunde", wie er sagt, habe er lieber treffen wollen, "nicht dieses Gelackte mit Anzug und so". Dass er mit wenig Geld auskommen muss, findet er blöde, aber "gebrechlich macht mich das nicht". Hin und wieder, aber bitte nicht als Zwang, nicht aus purer Not, sammelt er Pfandflaschen in der Hasenheide, dem Park nebenan, ein, "dit bringt ooch ma fünf Euro uff de Hand". Und was auch nicht zu stimmen scheint, ist diese Annahme, Penner hätten sich nichts zu sagen, ihnen fehle es am Stoff des Alltags, weil sie ja nichts Selbstbestimmtes erleben. Mein Eindruck ist nur, dass sie genauso verquatscht sind wie alle anderen auch. Dass sie sich immer etwas zu sagen haben, dass sie sich auf Geburtstage freuen und voneinander wissen, wie es den anderen geht - und das firmiert dann nicht einmal unter Solidarität der Abgekoppelten, sondern als normaler Alltag von KneipenkumpanInnen.

Wie sie da so stehen, hin und her gehen am U-Bahn-Eingang, wie sie absolut souverän die metropole Tugend beherrschen, alles, was nicht ihre Community ist, zu übersehen, also keinen sonst zu behelligen, erinnert es an einen Stehempfang, der ebenso gut in der Berliner Dependance von Bertelsmann gegeben werden könnte, in der thailändischen Botschaft, im Frauenhaus Wedding oder im Hinterzimmer des Café Einstein angelegentlich einer Buchvorstellung. Mit dem Unterschied, dass die Pennerszenerie weniger auf jene Art bekleidet wirkt, wie es die besseren Kreise wünschen. Aber das Gemeinsame ist doch: Smalltalk können sie alle - auch in dieser Welt, die das Wort Rehabilitation, Wiedereingliederung in den gewöhnlichen bürgerlichen Prozess der Erwerbstätigkeit oder Karriere nicht so recht kennt. Laufbahn? Kann man auch hier machen, Manne war ja vor drei Jahren, erzählt Evi, noch ganz schüchtern, trank nur viel und hörte zu. Jetzt ist er der Beliebteste, auch weil seine Ratschläge für den Umgang mit dem Sozialamt immer korrekt sind.

Auf eine Weise, die Schrecken stiften könnte, scheinen sie an diesem Mittag in der brutigen Hitze ziemlich zufrieden. Freunde zu treffen um diese Zeit ist doch auch nicht allen vergönnt, ihnen aber jeden Tag. Nun, räumt Lore ein, die alte Vettel mit der umfänglichsten Alkoholikerinnenvita, nicht ganz. Weihnachten fährt sie gern zu ihren Schwestern ins Sauerland, aber "sonst können die mich mal".

Selbstverständlich ist jeder frei, diese Community zu verachten, weil sie nicht dauernd "Hunger", "Elend" und "Ich will Arbeit" aufrüttelnd den Passanten zuruft. Aber was hindert einen eigentlich daran, in ihnen Autonome in den Grenzen des eigenen Schicksals zu sehen? Manne sagt: "Ick muss mal ausschlafen, bis morgen", winkt, bringt vier Bierflaschen zum Kiosk und wird wieder für sich privat.

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