Jüdischer Friedhof: Überwucherte Erinnerung

Neben sechs Siedlungen der Moderne möchte der Senat auch den Jüdischen Friedhof in Weißensee als Welterbe anerkennen lassen. Doch dafür müssen erst alle 115.000 Gräber dokumentiert werden.

Sie sind die Besonderheit des Jüdischen Friedhofs Weißensee, und dennoch stehen sie dessen schneller Aufnahme in die Unesco-Liste der Welterbestätten im Weg: Denn dafür müssen die rund 115.000 Gräber einzeln registriert und fotografiert werden. Eine "langwierige wissenschaftliche Aufgabe", wie Kulturstaatssekretär André Schmitz weiß. Dies sei aber notwendig, um den "Umfang der Restaurations- und Erhaltungsmaßnahmen" festzustellen und eine "wesentliche Grundlage" für den Antrag bei der Unesco, so Schmitz in der Antwort auf eine kleine Anfrage im Abgeordnetenhau

Berlin möchte sowohl sechs Wohnsiedlungen aus den 20er-Jahren wie auch den Jüdischen Friedhof Weißensee auf die Welterbe-Liste der Unesco setzen lassen und so deren Erhalt dauerhaft sichern. Erstere könnten es bereits im kommenden Jahr werden - die Bewerbung wurde 2006 eingereicht. Die Chancen stehen nicht schlecht, so Mechtild Rössler von der Unesco. Ob dem Jüdischen Friedhof Weißensee diese Ehre zuteil wird, ist ungewiss: Zuvor muss das riesige Gelände genau untersucht und dokumentiert werden.

Vor zwei Jahren hatte der damalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin Albert Meyer angeregt, die Aufnahme des größten jüdischen Friedhofs Europas in die Welterbeliste zu beantragen. Der Senat unterstützt dieses Bemühen seit einem Jahr. Auf diese Weise möchte man den Erhalt des Friedhofs sichern, sagte DiedrichWulfert, Sprecher der Senatsverwaltung für Kultur, gestern der taz.

Die meisten der Gräber auf dem 42 Hektar großen Gelände sind überwuchert oder verfallen, nur für einen sehr kleinen Anteil gibt es Pflegeverträge. Laut Jüdischer Gemeinde sind rund 40 Millionen Euro zur Sanierung der ganzen Anlage nötig. Wulfert sagte, man hoffe "auf die Finanzierung der kompletten Sanierung, aber das ist im Moment ferne Träumerei". Würde der Friedhof zum Welterbe erklärt, ist der Bund dazu verpflichtet, für dessen Erhalt zu sorgen. In diesem Jahr hat der Friedhof dafür rund 700.000 Euro von Bund und Land zur Verfügung.

Das Land arbeite zur Zeit gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde und der Technischen Universität an einem Plan für die wissenschaftliche Erfassung der Gräber. Er hoffe, die Arbeit noch in diesem Jahr beginnen zu können, so Wulfert. Einen Zeitpunkt für einen mögliche Aufnahme ins Weltkulturerbe konnte er jedoch nicht nennen: "Das kann schon 20 Jahre dauern."

Nach Auskunft von Dieter Offenhäußer, dem stellvertretenden Generalsekretär der deutschen Unesco-Kommission, warten derzeit zwölf Projekte auf der Anwärterliste darauf, vom Bund bei der Unesco vorgeschlagen zu werden. Doch die Zahl der Nominierungen ist beschränkt. Die jüngsten beiden Nominierungen waren 2006 die sechs Berliner Siedlungen der Moderne und das Schloss Schwetzingen in Baden-Württemberg 2007. Schaffen es die Siedlungen des Reformwohnungsbaus der 20er Jahre auf die Liste, hätte Berlin mit der Museumsinsel und den preußischen Schlössern und Gärten drei Welterbestätten.

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