Touristenströme: Hipp. Modern. Billig

Die Fußball-WM liegt ein Jahr zurück und Eisbär Knut verfettet zusehends. Dennoch soll die Zahl der Touristen in Berlin bald auf 20 Millionen steigen.

Mit Sack und Pack in die Hauptstadt Bild: dpa

Aus Sicht eines Collegestudenten aus San Francisco muss Berlin ein wahres Paradies sein: In den Clubs feiern die Leute ganze Nächte durch, anstatt brav kurz nach Mitternacht ins Bett zu gehen. Für die Drinks bezahlt man weniger als einen Stundenlohn. Und ein WG-Zimmer in der Innenstadt, wofür in amerikanischen Großstädten locker 800 Dollar fällig werden, gibt es in der deutschen Hauptstadt schon für weniger als die Hälfte. Berlin, der neue American Dream.

Ein Traum, nicht nur für US-Amerikaner. Seit Jahren meldet die Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) rasant steigende Übernachtungszahlen. Im letzten Jahr buchten über 15 Millionen Besucher ein Hotelbett in Berlin, rund 10 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Damit ist Berlin beliebter als Rom. Hanns-Peter Nerger, Chef der zentralen Besucheranlockagentur, "Berlin-Touristik-Marketing" aber will noch mehr. Er rechnet in diesem Jahr mit einem Zuwachs von 8 Prozent auf 17 Millionen Übernachtung. "Das ist ein gutes Zwischenergebnis", meint Nerger und heftet dabei den Blick auf die beliebteste Stadt Europas - Paris: "Ich gehe davon aus, dass wir 20 Millionen Besucher auf alle Fälle erreichen werden." 2010 soll es soweit sein, dann träfe sich die Welt fast genauso zahlreich vor der Nationalgalerie wie vor dem Louvre. Der Anteil der ausländischen Besucher werde bis dahin von einem Drittel auf nahezu 50 Prozent anwachsen, prognostiziert der Touristik-Chef.

Der Erfolg ist - zumindest teilweise - selbst gemacht. Berlin tut viel für sein Image. Und es wirbt in verschiedenen Ländern ganz gezielt mit den Attraktionen und Eigenheiten, die dort auf großes Interesse stoßen. Das Prinzip lautet: Knüpfe bei dem an, was die Leute kennen.

Image des Kalten Krieges

Für die Amerikaner, derzeit die Top Two unter den Berlin-Besuchern, gehört der Kennedybesuch zum Repertoire. Genauso wie der Check-Point Charlie, die Gedenkstätte Bernauer Straße und der Flughafen Tempelhof - alle Attraktionen, die irgendwie mit dem Kalten Krieg und der Mauer zu tun hat. Ansonsten seien die Amerikaner einfach berlin-affin, meint Nerger. "Es gibt einen großen Anteil von Touristen, deren Oma oder Opa aus Berlin kommt, und die hier ihren Wurzeln nachspüren." In den letzten Jahren würden aber auch immer mehr junge Leute kommen, ohne einen Tropfen deutschen Bluts. Für sie ist Berlin inzwischen DIE europäische Stadt : "Berlin hat bei den Amis das Image, was London vor 20 Jahren hatte." Kreativ, spannend und mit 15 Beach Bars - "great".

Schwieriger ist es mit den Chinesen: "Berlin ist ein Zwischenaufenthalt auf einer 15-Städte-in 8-Tagen-Tour,"sagt Nerger. Das kommt auch daher, weil die Flugzeuge von China nach Deutschland Berlin in hohem Bogen überfliegen und nur in Frankfurt oder München landen. Also versuchen die Berliner Tourismus-Botschafter die Airlines nach Berlin zu lotsen. Denn China gilt als Wachstumsmarkt, rund 63.000 Chinesen wurden im vergangen Jahr durchs Brandenburger Tor geschleust.

Ein begehrter aber schwieriger Markt ist auch Russland. Schwierig wegen der rigiden Visabestimmungen, begehrt weil diejenigen Russen, die an Visa kommen, eine glänzende Partie für Berlin sind. Die BTM bemüht sich um die reichen Aufsteiger und wirbt mit Luxusgeschäften auf der Friedrichstraße und am Ku'Damm, mit Lifestyle und Shopping im "hochpreisigen Segment". "Die Parvenues sind allerdings inzwischen an der Côte d'Azur", bedauert Nerger.

Den französischen Nachbarn verkauft er dagegen das Bild von der etwas schmuddeligen Stadt des Laissez-faire. Berlin für Franzosen ist: "Hipp. Modern. Toll."

Ab Herbst startet der Senat eine neue "Kommt her und Habt-uns-lieb-Offensive. Die rot-rote Regierung will die Stadt mit einer Kampagne als Marke in den Köpfen etablieren - samt Logo und Slogan. "Wir wollen das Gefühl, dass Berlin eine wunderbare Stadt ist, stärken", sagt der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Ein Expertengremium, neudeutsch und total hipp "BerlinBoard" genannt, wird zuvor den Markenkern aus dem Rohdiamanten Berlin herausmeißeln.

Am Tisch sitzen SenatorInnen und "herausragende Persönlichkeiten" (Wowereit), den bisherigen Arbeitstitel "City of Change - Stadt des Wandels" werden sie hoffentlich toppen. Der Senat hat nach taz-Informationen die Zusagen der künftigen Gremiumsmitglieder bereits vor der Sommerpause eingesammelt, noch im August wird Wowereit sein Board vorstellen.

Ein Marktforschungsinstitut wurde bereits mit Umfragen in verschiedenen Ländern beauftragt: "So wird das Bild ermittelt, das die Menschen derzeit von Berlin haben", sagt Senatssprecher Michael Donnermeyer. 3 Millionen Euro investiert das Land in die Kampagne, weitere 3 Millionen will die BTM dafür zusätzlich bei privaten Investoren einsammeln.

Hinter all dem Engagement steckt hartes Kalkül. Der Tourismus ist eine der wenigen Branchen, mit der das hochverschuldete Berlin richtig Umsatz macht. Die Touristen gaben laut BTM im Jahr 2005 rund 7,74 Milliarden Euro in der Stadt aus - ein Bruttoumsatz, der aktuell noch höher liegen dürfte und nicht nur Flughäfen, Hoteliers und Wirten zugute kommt, sondern auch dem Bäcker an der Ecke oder Landesbetrieben wie der BVG. 170.000 Vollzeitarbeitsplätze stellt der Tourismus in der Hauptstadt bereit. Und das Land nahm im Jahr 2004 rund 0,7 Milliarden Euro Steuern durch die Branche ein - das sind fast neun Prozent des gesamten Steueraufkommens. Großereignisse wie die Fußball-WM liefern dabei Gratiswerbung: "Sie wirken sich kaum auf die Übernachtungszahlen aus. Was zählt, ist die weltweite Berichterstattung über Berlin", sagt Donnermeyer.

Obwohl Knuddel-Knut im Eisbärengehege des Zoos inzwischen zum pubertierenden Moppel entwickelt hat, wird Berlin auch für Tagesbesucher immer attraktiver. Eine gemeinsame Studie von Bund und Ländern belegt, dass die Stadt 2006 das Ziel von 105 Millionen Tagesausflügen war - das sind gut zehn Prozent mehr als im Vorjahr. "Die Tourismus-Werbung wird diese Potenziale verstärkt in ihre Aktivitäten integrieren", kündigt Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) an. Es muss also nicht immer Besuch aus Übersee sein. Die meisten Tagestouristen kamen laut Studie aus Brandenburg.

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