piwik no script img

DramaZehn Musiker in des Fahrers Kiste

Kommentar von Susanne Messmer

Der Film des kurdischen Regisseurs Bahman Ghobadi, "Half Moon", dreht sich um eine tödliche Reise durch Grenzland.

Berauschende Bilder voller Licht, Wind und Landschaft Bild: pandora film

D er klapprige Schulbus wirkt winzig und verloren in der harschen Schneelandschaft. Elf Männer fahren durch ein Niemandsland, die Grenzregion zwischen dem Osten der Türkei, dem Nordosten Iraks und Nordwesten Irans. Mamo, ein bekannter kurdischer Musiker aus dem Iran, seine neun Söhne und ein Busfahrer mit einem Faible für Hahnenkämpfe, haben sich auf den Weg in den Irak gemacht. Sie wollen die Freiheit nach Saddam Husseins Sturz feiern, sie haben Visa bekommen und eine Auftrittsgenehmigung. Doch Mamo, der weise, alte Mann, wird von Vorahnungen heimgesucht. Immer wieder hat er Visionen von einer schönen Frau, die einen Sarg über den Schnee schleift.

"Half Moon" ist der vierte und bislang poetischste Spielfilm des kurdischen Regisseurs Bahman Ghobadi. Zuvor hatte der Regisseur mit Laiendarstellern und weitgehend dokumentarisch gearbeitet - für "Zeit der trunkenen Pferde" mit fünf Waisenkindern, die sich als Schmuggler über Wasser halten, für "Schildkröten können fliegen" mit kurdischen Flüchtlingskindern im Norden des Iraks. Indem er, wie er sagt, einfach die Menschen um sich herum beobachtet, schuf er eine Filmsprache, die ihn von etablierten kurdischen Filmemachern der älteren Generation wie Abbas Kiarostami unterscheidet. Auch in "Half Moon" sind wieder nur Laiendarsteller zu sehen, was laut Ghobadi aber weniger daran liegt, dass er nah an der Wirklichkeit bleiben wollte, als daran, dass es "in Kurdistan keine professionell ausgebildeten Schauspieler und keine etablierte Filmindustrie gibt". Denn anders als früher geht es Ghobadi in "Half Moon" nicht nur darum, die Leiden der Kurden anzuklagen. Es geht um die Suche nach unverbrauchten Metaphern für einen Schmerz, der so groß ist, dass er sich kaum abbilden lässt.

Diese Metaphern sind der viele Schnee, die berauschenden Bilder voller Licht, Wind und Landschaft des neuseeländischen Kameramanns Nigel Bluck - vor allem aber die Musik, die keine Rücksicht auf Grenzen nimmt und sich nur mit Mühe wegsperren läst. Eine der eindrücklichsten Szenen des Films beginnt mit der Entscheidung Mamos, dass es für ein gutes Konzert unbedingt auch eine Sängerin braucht, und zwar eine ganz bestimmte. Er will Hesho wieder ins Boot holen, eine Sängerin, mit der er schon einmal zusammengearbeitet hat. Frauen im Iran ist es verboten, in Gegenwart von Männern solo zu singen. Für diesen Umstand hat Bahman Ghobadi ein ganz besonderes Bild gefunden: Er hat sich ein abgelegenes Bergdorf ausgedacht, in das 1.334 Sängerinnen verbannt worden sind. Als Mamo Hesha aus dem Dorf führt, stellen sich die Sängerinnen mit großen Trommeln auf und singen wie aus einem Mund.

Neben surrealen Traumbildern wie diesen ist es vor allem der schlagende Humor, der "Half Moon" wie alle Filme Bahman Ghobadis so mitreißend macht. Meist geht es um den Zusammenprall der modernen mit der alten Welt: Da ist zum einen einer der jüngsten Söhne, der immer wieder ohne Rücksicht auf Verluste und mitten in den archaischen Szenen der Aufforderung seines alten Vaters folgt, seinen Laptop hervorkramt, wundersamerweise ein Netz findet, E-Mails verschickt und den Weg der Gruppe neu berechnet. Ein andermal versucht einer der Söhne auszubüchsen. Mamo holt seine Pistole hervor, schießt und trifft sogar. Etwas später, als die Männer den Verletzten verbunden haben und wieder vereint im Bus hocken, suchen sie nach dem Namen des Künstlers, dem er nun ähnelt und der dafür berühmt war, dass er sich ein Ohr abgeschnitten hat. War es Rembrandt? Oder Picasso?

Vom traurigen Subtext des Filmes allerdings bieten Stellen wie diese nur winzige Inseln der Erholung. Die Reise der Gruppe kann nicht von Erfolg gekrönt sein - die Todesvisionen Mamos sind zu bedrohlich. Die Wirklichkeit lässt sich nicht wegdichten. Passenderweise wurde "Half Moon" kurz vor seiner Premiere im Iran verboten. Die Begründung: Es wird eine Frau gezeigt, die kurz vor ihrer Verhaftung und Verschleppung durch iranische Grenzsoldaten in der Gegenwart von Männern solo singt: Vor Mamo, ihrem alten Lehrer, und seinen neun Söhnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1971, schrieb 1995 ihren ersten Kulturtext für die taz und arbeitet seit 2001 immer wieder als Redakteurin für die taz. Sie machte einen Dokumentarfilm („Beijing Bubbles“) und schrieb zwei Bücher über China („Peking" und "Chinageschichten“).

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!