Ratloses Großbritannien: Kind vom BMX-Rad aus erschossen

Nach dem sinnlosen Mord an einem Elfjährigen debattiert Großbritannien, wie die ausufernde Jugendgewalt eingedämmt werden könnte. Konservative wollen Jungkriminelle treffen, "wo es wehtut".

Völlig sinnloser Tod: Rhys Jones wurde im Alter von 11 Jahren erschossen Bild: dpa

Er war auf dem Nachhauseweg von einem Fußballspiel, als die Kugel ihn in den Hals traf. Der elfjährige Rhys Jones starb vorgestern Abend im Krankenhaus von Liverpool. Sein Mörder war ihm auf einem BMX-Fahrrad, wie sie Anfang der Achtzigerjahre modern waren, nachgefahren und hatte drei Schüsse abgegeben. Ein Motiv gibt es anscheinend nicht.

Die englische Polizei hat hundert Beamte für die Ermittlungen abgestellt. Gestern wurden zwei Teenager im Alter von 14 und 18 Jahren verhaftet. Ob einer davon der Täter ist, weiß man bisher nicht, denn er trug eine Kapuze. Polizeichef Bernard Hogan-Howe sagte, er rechne mit weiteren Verhaftungen. "Irgendjemand hat die Tatwaffe", sagte er. "Wir müssen diese Person finden. Wir müssen die Waffe finden. Und wir müssen die Person finden, die die Waffe beschafft hat."

Ein Nachbar bezeichnete Jones als "unschuldigen kleinen Jungen", der viel zu jung gewesen sei, um irgendetwas mit Bandenkriegen zu tun zu haben. "Er hat wahrscheinlich nicht mal gewusst, dass es das überhaupt gibt." Es war allerdings nicht das erste Mal, dass in Croxteth Park geschossen wurde. Im März ist ein 17-Jähriger von einer Kugel ins Bein getroffen worden. Eine Anwohnerin sagte zum Guardian: "Die Matrix-Leute durchsuchen hier ständig Häuser und beschlagnahmen Waffen. Die Kinder geben die Waffen untereinander weiter, als ob es Fußballsammelbilder seien. Sie sind ein Statussymbol. Offenbar kann sich jeder eine Waffe beschaffen, wenn er das will."

Croxteth Park war die größte Wohnsiedlung Westeuropas, als sie Mitte der Achtzigerjahre gebaut wurde. Im vorigen Jahr erklärte die Polizei das Viertel zu einem "Gebiet besonderer Aufmerksamkeit", nachdem es immer mehr zu einem Treffpunkt für Jugendbanden geworden war. 2005 hatte die Polizei bereits "Matrix", eine Sondereinheit für Verbrechen in Zusammenhang mit Schusswaffen, in Croxteth Park eingerichtet.

Norman Brennan, der Direktor der Vereinigung von Verbrechensopfern, sagte, man habe den Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gebe. "Die Öffentlichkeit, die Polizei, die Regierung und die Justiz geben sich gegenseitig die Schuld für die Probleme, für die wir alle verantwortlich sind", sagte er. "Wir müssen endlich aufwachen und zusammenarbeiten, um unsere Städte zurückzuerobern, die von denen kontrolliert werden, die Schusswaffen und Messer besitzen."

Allein in London sind in diesem Jahr 17 Teenager ermordet worden, in Manchester wurden vor kurzem zwei Jugendliche erschossen, und auch aus Kleinstädten kommen jedes Wochenende Meldungen von Gewalttaten. Innenministerin Jacqui Smith, der neulich die Handtasche geraubt wurde, sagte, sie werde eine umfangreiche Initiative starten. So sollen verstärkt "ABCs" angewendet werden - "Acceptable Behaviour Contracts", Verträge über ordentliches Benehmen. Sie sind freiwillig. Mit der Unterzeichnung geben die Betroffenen zu, dass sie Unruhestifter sind, aber sich bessern wollen.

Der Vertrag gilt für sechs Monate. Ändert der Jugendliche sein Verhalten nicht, kann eine ASBO gegen ihn verhängt werden, eine Anordnung wegen antisozialen Verhaltens, die dem Betroffenen das Betreten bestimmter Viertel und den Kontakt zu bestimmten Personen untersagt. Wer dagegen verstößt, riskiert eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren.

Smith zieht in Erwägung, Aufkleber auf Schnapsflaschen obligatorisch zu machen, damit die Polizei Händler identifizieren kann, die Alkohol an Jugendliche verkaufen. Darüber hinaus will Smith ein Gesetz aktivieren, das es Richtern erlaubt, bei kleineren Vergehen eine Haftstrafe von einem Jahr zu verhängen. Bisher wurde dieses Gesetz nicht angewendet, weil die britischen Gefängnisse ohnehin hoffnungslos überfüllt sind.

Oppositionsführer David Cameron sprach gestern in Anlehnung an einen alten Hit der Sex Pistols von "Anarchy in the UK". Er sagte: "Man muss die jungen Leute treffen, wo es wehtut. Ich will, dass ein Richter einem 15-Jährigen, der beim Alkoholkauf erwischt wurde, klarmacht, dass er im Fall der Wiederholung seinen Führerschein nicht mit 18, sondern erst Jahre später machen darf. Die Menschen müssen wissen, dass Verbrechen bestraft wird - die Opfer müssen es wissen, und die potenziellen Kriminellen auch."

Cameron sei doch nur ein verwöhnter Absolvent einer Privatschule, der keine Ahnung vom Leben normaler Menschen habe, entgegnete Jacqui Smith. "Antisoziales Verhalten tritt nicht auf dem Sportfeld der Eliteschule Eton auf, sondern in den Vierteln, wo Leute wohnen, die ich repräsentiere und die in Ruhe leben wollen."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.