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Filmfestspiele VenedigBrennende Gefühle

Cristina Nord lässt sich von Alexander Kluge vieles erklären und sieht den neuen Film von Brian De Palma. "Redacted" erzählt von US-amerikanischen Kriegsverbrechen im Irak.

Zählt ebenso viele Lenze wie das Filmfestival: Alexander Kluge Bild: dpa

Wie sieht die Zukunft des Kinos aus? Im Jahr ihres 75. Geburtstages stellt sich die Mostra die Frage fast angstvoll - so, als fürchtete sie nichts mehr als Rückwärtsgewandtheit. Einem Sonderprogramm zum Beispiel, das zu Ehren Alexander Kluges stattfindet, schickt der Festivaldirektor Marco Müller Folgendes voraus: "Es liegt nun an ihm, ein dringend nötiges Zwischenspiel für die diesjährige Mostra zu eröffnen (), damit diese sich nicht in sich selbst und ihre Geschichte zurückzieht." Kluge greift den Ball dankbar auf. "Was mich am meisten beeindruckt", sagt er am Donnerstagnachmittag in der Sala Grande, "ist, dass sich das älteste Filmfestival der Welt der Innovation zuwendet, wo doch die Filmbranche so konservativ ist."

Kluge kam 1932 zur Welt, im Gründungsjahr der Mostra. Für das Jubiläumsjahr hat er Carte Blanche erhalten, fünf Programme zusammenzustellen. Es sind Collagen aus Altem und Neuem, aus Fiktion, Semi-Fiktion und Dokument, aus Nonsens, Opernexegese und fantasievoller Geschichtsstunde. Zwei dieser Programme waren bisher zu sehen, "Mein Jahrhundert, mein Tier!", ein Streifzug durch Kluges bisheriges Werk, eine Wiederbegegnung mit zwei Filmen, die in Venedig reüssierten: dem Debüt "Abschied von gestern" (1966) und "Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos" (1968), jener mit einem Silbernen, dieser mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Eine Wiederbegegnung auch mit schönen Kluge-Reimen wie diesem: "Man sagt von den Gefühlen, dass sie brennen, nicht, dass sie kühlen."

Das zweite Programm, "Das Phänomen der Oper", erforscht die Affinität von Kino und Oper, diesem "Kraftwerk der Gefühle". Unter anderem werden Verdis Opern auf wiederkehrende Erzählstrukturen untersucht: Sterben eher die Tenöre? Oder die Soprane? Und warum klebt fast immer Blut an den Händen des Bass?

Die Innovation aber, um die es geht, sind die so genannten Minutenfilme. Kluge arbeitet an diesem Format schon seit einiger Zeit; jetzt hat er ein halbes Dutzend eigens für die Biennale gedreht. Michael Ballhaus hat die Kamera geführt, eine 65-mm-Kamera, deren Bild so viele Details enthält und so viel Schärfe zulässt, dass man meint, eine neue Brille zu tragen. Innovativ ist daran aber weniger das Bild als die Länge - beziehungsweise die Kürze, die Kluge mit dem frühen Kino in Verbindung bringt. Vor 100 Jahren habe das Publikum nicht die Geduld gehabt, 90 Minuten still zu sitzen. Und "heute im Internet, auf der Ebene 3.0., nach Youtube", sei das wieder so, sagt Kluge: Junge Menschen machen und schauen Filme, die ihrer Ungeduld entgegenkommen. Noch zeigen muss sich freilich, ob diese jungen Menschen Gefallen daran finden, Hannelore Hoger als Lichtgöttin im Minutenfilm "Nachts träumen die Scheinwerfer im Atelier von ihrem wahren Leben" zuzuschauen.

Minutenfilme der anderen Art montiert Brian De Palma in seinen Wettbewerbsbeitrag "Redacted" ein. "Redacted" spielt im Irak; im Mittelpunkt stehen vier US-Soldaten; zwei von ihnen vergewaltigen und töten ein 15 Jahre altes irakisches Mädchen. Der dritte filmt sie dabei, der vierte versucht sie von dem Verbrechen abzuhalten, lässt sich aber einschüchtern. De Palma blendet mehrmals fiktive Websites ein - etwa einen Blog mit dem Videotagebuch einer Soldatengattin, eine Anti-Kriegs-Seite, auf der eine junge Aktivistin sich in militanten Fantasien gegen die US-Soldaten ergeht, schließlich die Website islamistischer Fundamentalisten, auf der die Enthauptung eines US-Soldaten eingespielt wird.

Auch jenseits dieser fiktiven Websites bewegt sich De Palma im Spannungsfeld von "echt" und "erfunden". Die meisten Bilder seines Filmes nimmt eine der Hauptfiguren mit ihrer Digicam auf, daneben nutzt "Redacted" fiktives Nachrichtenmaterial. Die Konfrontation der Ebenen - ein Krieg, der wirklich stattfindet, Bilder, die aussehen, als stammten sie direkt aus diesem Krieg, eine Handlung, die sich an einem tatsächlichen Fall orientiert, und doch ist all dies scheinbar Echte gestellt - wäre interessant, fiele De Palmas narratives Konzept nicht so bestürzend schlicht aus. Dass die Soldaten tun, was sie tun, wird vor allem mit ihrem Sadismus begründet - einem Sadismus, den der Film genüsslich ausmalt.

Wer mit den narrativen Formeln von gestern operiert, der schafft kein Kino von morgen, sosehr er auch die digitale Vielfalt der Gegenwart erprobt. CRISTINA NORD

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