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Feminismus-DebatteDie Privatisierung der Politik

Kommentar von Sabine Hark

Opfer oder Ego (3): Beim Feminismus geht es um mehr als ums rein individuelle Glück. Es geht um die Frage, unter welchen Bedingungen Emanzipation überhaupt möglich ist

Feminismus ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Antwort auf Statistiken", sagt die Journalistin Ingrid Kolb, Autorin des Spiegels und zwischen 1995 und 2006 Leiterin der Henri-Nannen-Journalistenschule. Auf diesen kleinsten aller gemeinsamen Nenner können sich so genannte Alt-Feministinnen und Alpha-Mädchen wohl gerade eben noch verständigen. Doch wie die feministische Antwort auszubuchstabieren sei, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Während jene auf das "samtene Dreieck" setzen - die Kooperation von Gleichstellungspolitik, feministischer Bewegung und feministischer Theorie -, huldigen diese dem Mantra der neobürgerlichen Idee vom Erfolg.

Sabine Hark, 45, lehrt in Potsdam und leitet das Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der TU Berlin. Zuletzt erschien von ihr "Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus" (Suhrkamp 2005)

Es ist dieses Ideal des modernen Zeitalters, dem ironischerweise die Alpha-Mädchen - mit der patriarchal angemessenen historischen Verzögerung - derzeit am deutlichsten ausgesetzt sind und das sie zugleich reflexhaft selbst propagieren. Es ist der Glaube daran, dass der je erreichte Platz in der Welt einzig Ergebnis eigenen Tuns und Wollens ist. Die Alpha-Mädchen müssten sich heute zwar, so Katja Kullmann, "in einer immer noch männlich dominierten Praxis durchkämpfen". Zugleich haben sie es aber "dennoch irgendwie geschafft" und lebten nun "einen Gegenentwurf zum Opferdasein".

Jede einzelne Frau, glaubt das Alpha-Mädchen, kann also zu einer positiven Bilanz in Sachen Gleichberechtigung kommen, so sie denn den Mut von Thea Dorns F-Klässlerinnen hat, "Führung zu übernehmen". Im Klartext: Frank Sinatras Ode an den Mann, der kompromisslos seinen Weg geht, dessen Erfolge der Kraft seiner Souveränität geschuldet sind, ist endlich auch für Frauen nicht länger Wunsch, sondern Wirklichkeit: "I planned each charted course, each careful step along the byway. And more, much more than this, I did it my way." In der neobürgerlich beschaulichen Version des selbsternannten Alpha-Mädchens Nina Mattenklotz aus der Spiegel-Titelstory liest sich das dann so: "Ein Alpha-Mädchen wie ich steht morgens verliebt auf, arbeitet in dem Beruf, den es sich erträumt hat, und freut sich auf ihre Kinder, die sie eines Tages bekommen wird."

Als den Nutzen der "Alibi-Frau" hatte Adrienne Rich dies schon 1979 beschrieben: Einigen wenigen Frauen werde die der großen Mehrheit vorenthaltene Macht geboten, damit der Eindruck entsteht, jede wirklich qualifizierte Frau könne Zugang zu leitenden Positionen, Belohnung und Anerkennung erlangen - so, als gäbe es eine tatsächlich auf Leistung beruhende Gerechtigkeit. Die Alibifrau werde zudem dazu ermutigt, sich selbst als außergewöhnlich begabt und belohnungswürdig zu sehen und sich von allen "gewöhnlichen" Frauen zu distanzieren.

Um an dieser Stelle Missverständnissen vorzubeugen: Nichts ist gegen Leistungsbereitschaft einzuwenden - und gegen beruflichen Erfolg durchsetzungsstarker Frauen schon gar nichts. Selbstredend sollten Frauen all jene Türen offen stehen, die Männer immer schon ungehindert passieren konnten. Und erst recht sollten sie hinter diesen Türen auf allen Stühlen Platz nehmen können, gleich ob im Cockpit oder im Labor, an der Werkbank oder auf dem Lehrstuhl, im Weißen Haus oder an der Wall Street.

Ebenso selbstredend sollte gelten, dass the pursuit of happiness, das Streben nach Glück, auch für Frauen ein unveräußerliches Recht ist. Und wenn das "verliebt am Morgen aufwachen und sich auf die Kinder freuen, die es eines Tages bekommen wird", einschließt, so sei jedem Alpha-Mädchen auch das gegönnt.

Doch mit Feminismus, dieser Einspruch sei erlaubt, hat das nur insofern zu tun, als man willens ist, Feminismus als Brevier eines - Vorsicht, jetzt kommt es! - neoliberalen Programms des "Jede ist ihres eigenen Glückes Schmied" zu verstehen. Zwar gibt sich der F-Klassen-Feminismus stark und kämpferisch; der Kampf indes ist ein individueller, jede Frau nimmt es mit den Widrigkeiten, die ihrer Gleichberechtigung im Wege stehen, alleine auf.

Feminismus aber, auch dieser Hinweis sei erlaubt, ist eben nicht nur ein Wort des Privaten; schon gar nicht ein Wort individuell zu erreichenden Glücks. Feminismus ist vor allem ein Wort der Politik, insofern Feminismus sich mit Forderungen nach Umgestaltung der Geschlechterverhältnisse als Voraussetzung für das Streben nach Glück an die Polis, die politische Sphäre, richtet. Wer Feminismus aber auf das individualisierte Streben nach Glück reduziert, ohne nach den Bedingungen zu fragen, wie welche ihr Glück machen können, und zugleich dessen politische Seite notorisch auf ein Programm der moralischen Maßregelung von F-Klässlerinnen reduziert, hat schon verkannt, dass Emanzipation bereits im Ansatz vereitelt ist, wo sie als ein solches Privatprojekt missverstanden wird.

Die Radikalität des heute "alt" oder "traditionell" genannten Feminismus der zweiten Welle bestand dagegen genau darin, beides zu sein: ein Projekt der politischen Emanzipation und der privaten Befreiung, ein Projekt von Gleichheit und Freiheit. Denn das eine, das wusste Audre Lorde so gut wie Monique Wittig, Judith Butler so gut wie Christina Thürmer-Rohr, ist ohne das andere nicht zu haben: Freiheit nicht ohne Gleichheit, diese wiederum nicht ohne Gerechtigkeit und individuelle Autonomie nicht ohne gesellschaftliche Bedingungen, die Freiheit ermöglichen.

Der feministische Clou, wenn man so will, besteht also gerade darin, sowohl die Bedingungen freizulegen, die Handeln ermöglichen oder verhindern, als auch politisch für die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten aller Frauen zu streiten - auch der "sprichwörtlichen Aldi-Kassiererin oder der noch sprichwörtlicheren polnischen Putzfrau", die Katja Kullmann bemühte.

Dabei ging und geht es nicht darum, alle Frauen über einen Kamm zu scheren. Gabi Mustermann ist eine Erfindung der Bundesdruckerei, nicht der Frauenbewegung. Warum die abgestandenen antifeministischen Klischees immer wieder beleben? Längst klar ist doch, dass das Versprechen, Politik im Namen "der Frauen" sei machbar, ohne dass dabei Ausschlüsse produziert würden und ohne dass zudem der vermeintlich alle Frauen einschließende Feminismus letztlich doch nur eine spezifische Gruppe von Frauen meint, der Vergangenheit angehört. Denn was Feminismus letztlich immer gewusst hat, was heute aber dringlicher denn je dessen Leitlinie sein muss, ist die Einsicht, dass Geschlechterverhältnisse nicht unabhängig von anderen gesellschaftlichen Teilungsverhältnissen verstanden und verändert werden können. Dafür braucht es viele unterschiedliche Stimmen, viel Bewegung und Widerstreit.

Auch die F-Klasse mag in einem solchen Projekt unterkommen. Sie sollte sich allerdings stets als das ausweisen und als das verstanden werden, was sie ist: ein Spartenprojekt für jene, die von gesellschaftlichen Be- und Verhinderungen nichts wissen wollen.

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3 Kommentare

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  • RL
    Ruth Luschnat

    Feminismen Generationenkonflikte und andere Fragen

     

    Danke Sabine Hark für die sehr gute Replik auf Katja Kullmanns simplifizierende Sichtweise. Feminismus hat zwar immer patriarchale Verhältnisse auch am Fehlen von Frauen in den Führungsetagen mit abgelesen, aber doch nie einfach seinen Erfolg am Erfolg von Frauen innerhalb des Patriarchates bemessen wollen.

    Dies würde den Feminismus doch zu arg an der Elle des von ihm viel existenzieller kritisierten Patriarchates verkürzen- Und :dies Argument war doch immer nur der Abwehrreflex derjenigen, die nicht näher hinschauen wollten. Die tripple oppression theory hat viel umfassender Leiden an Herrschaftsformen beschrieben:

     

    Im Gegenteil will Feminismus aber die Deformationen des Menschlichen, welche unter kapitalistisch- patriarchalen Herrschaftsformen (Rassismus, Klassismus, Sexismus, Homophobie, Heterosexismus, Transphobie) gezüchtet werden sichtbar machen, um sie und damit das Patriarchat zu überwinden. Aus diesem Grund war die Analyse auch weiter gehend, als nur die der Besitztümer und der Vererbungswege. Wie der Kapitalismus ist das Patriarchale Herrschaftssytem (oder sagen wir doch lieber Kapriarchat) durch Faktizität, Reproduktion und Konstruktion von Verhältnissen so zäh, dass selbst eine drohende Selbstvernichtung am System und nachweisbaren Zusammenhänge des einem mit dem anderen nicht einfach die Gesellschaft in die Lage bringen diesem ein Ende zu setzen. Was würde wohl das Ende des Patriarchates markieren können ?.Sicherlich eher wenn die Begriffe von Freiheit und Gleichheit wieder miteinander so klar zum atmen gebracht werden, wie in diesem Text.

    Die Frage also, ob die selben Frauen Erfolg hätten, die Heute welchen haben, wenn der Feminismus erfolgreicher wäre, ist eine legitime Frage. Entsolidarisierung in welchem Sinne also ?

    Wir sollten Heutzutage von Feminismen reden und uns der Vielfalt freuen, der Vermehrung.

    Das führt uns zu einer weiteren Stufe der Veränderung, die ganz im Sinne des Feminismus die Generationen-folge sinnhaft entwickelt, wenn auch zunächst ein Generationenkonflikt vorrausgehend sich abzeichnen mag.

     

    Das 1) Opfer des Patriarchates nämlich mitnichten die Frauen allein seien, dass Frauen sehr wohl Täterinnen sein können und sind und das sie dies auch in ihrer Komplizinnenschaft im Patriarchat sind, und:

     

    2) wie Männer Opfer des patriarchates sind dies sind noch weiter tabuisiert ist, ,ist heutzutage auch

    auf der Agenda genderdiskursiver feministischer Ansätze. Nur : nicht im Umkehren der feministischen Analye wird dies sichtbar, sondern in ihrer Tiefensicht ihrer Konsequenz. ( Männer sind auch depressiv nur sie leben es als Agression .....gegen wen ? vorwiegend Frauen und warum ?)

     

    Die jüngeren Bewegungen, die in diesem Sinne Gender radikal dekonstruieren wollen haben sich im Sinne eines Generationenkonfliktes an den vorherigen gerieben und abgesetzt. Es ist ja wahr:

     

    in den 70gern war dieser Anteil noch nicht einer feministischen Analyse zugänglich, die zunächst einmal überhaupt die Aufbrüche der Befreiung beginnen mußte in einem Akt identifikatorischer Solidarität, der sehr heilsam für die Gesellschaft war. Diese Erkenntnis gab es in der zweiten Welle des Frauenidentifizierten Feminismus nicht so sehr, dass nämlich der Rollenerwartung der Männer am tiefsten patriarchal eingeschrieben ist, dass sie nie Opfer, nie passiv und nie penetrierbar sein sollten. Opfer im Patriarchat sind Männer aber nachweislich, sogar vorwiegend. Das Männer die Verdrängung ihrer Opferseite, deren Umwandlung ins Tätersein an Frauen mit Gewalt austragen ist die Kehrseite dieser selben patriarchalen Opferung der Individualitäten.Die Forschung ist viel weiter gegangen, selbst einen linken Biologismus haben wir mittlerweile, weil feministisch inspirierte Biologinnen nachwiesen wie irrtümlich Darwins Konkurrenzdenken

    die Natur begreift, was später ja zum sozial-medizinischen Darwinismus und dessen Entgleisung zu Euthanasie und Holocaust beitrug im Sinne patriarchaler Zuspitzung des Biologismus. Trotzdem können wir Heute nicht mehr einfach in Identifikation gegen einen Feind als Feministinnen verharren, denn es gibt genauso die Geschichte der Nazi Frauen und ihrer Organisationen, die zeigt wie sehr die Emanzipation als Befreiung von der Nortwendigkeit um eine Praxis der Gleichheit durch die Gesellschaft abhängt.

     

    in diesem Sinne. weiter suchen !

     

    gruß von Ruth L

  • HZ
    Harald Zorn

    Ich finde es ausgesprochen erfreulich, dass nach über drei Jahrzehnten Frauenforschung herausgefunden wird, dass Frauen keine homogene Masse von Gutmenschen sind, sondern verschiedene und manchmal auch kritikwürdige Ziele verfolgen. Alice Schwarzer hatte übrigens ihre medienwirksamsten Auseinandersetzungen nicht mit Männern, sondern mit Frauen (Esther Vilar, Sina-Aline Geißler, Verona Feldbusch).

     

    Der sogenannte Feminismus der zweiten Welle war letztlich schon immer eine Veranstaltung für Frauen aus dem Bildungsbürgertum und nicht für Aldi-Kassiererinnen. Nachdem diese Frauen jetzt eine Weile dem Erfolg- und Karriere-Unsinn ihrer männlichen Kollegen nachgeeifert sind und damit den eigentlich bekämpften patriarchalen Wertvorstellungen zu neuen Ehren verholfen haben, stellen sie nun fest, dass die Luft da oben immer dünner wird.

     

    Der Einsicht von Fr. Hark, dass Karrieren nur für eine kleine Schicht von Frauen möglich ist, müsste eine zweite, viel erschreckendere Einsicht folgen. Könnte es sein, dass dieses Phänomen auch für Männer gilt? Kann es sein, dass nicht ?die Männer? Macht und Herrschaft ausüben, sondern nur eine zahlenmäßig verschwindende Minderheit von Männern (und neuerdings auch Frauen)? Wenn Fr. Hark Frauen nicht mehr über einen Kamm scheren kann, geht das dann noch bei Männern? Besteht die Möglichkeit, dass Männer keine homogene Masse von Mördern, Vergewaltigern und Kinderschändern sind? Müssten Männer wieder als Menschen betrachtet werden?

     

    Nein, fragen wir hier nicht weiter. Dem Feminismus könnte ja sein Feindbild abhanden kommen und somit obsolet werden.

  • AZ
    A. Z.

    Dieser Artikel gibt mir das gute Gefühl nicht ganz allein zu sein, ohne mich gleichzeitig zwangsweise für den Dienst an einer Front rekrutieren zu wollen. Ich danke den Machern der taz dafür, dass sie ab und zu auch Artikel wie den von Sabine Hark veröffentlichen.