"Gammelfleisch"-Kommentar: "Gammelfleisch" existiert nicht

Das harmlose Objekt wird per "Gammelfleisch" zum Subjekt gemacht. Wer interessiert sich da noch für die Täter?

Das ist wohl die größte Unart des deutschen Journalismus: seine Sprache. Präzise Sprache ist bekanntlich genauso enthüllend wie die viel gerühmte investigative Recherche. Aber daran fehlt es oft. Zum Beispiel beim "Gammelfleisch". Niemand käme auf die Idee, eine Reportage über eine "Seniorenresidenz" zu schreiben. Seine Handlung spielt natürlich im Altersheim, in denen Menschen ihrem Tod entgegenwarten. "Entsorgungsparks" sind natürlich stinkende Müllkippen und "Negativwachstum" der sprachliche Versuch, vom blanken Einbruch abzulenken. Beim "Gammelfleisch" aber funktioniert die Strategie.

Von der Wortgattung her ist das "Gammelfleisch" Subjekt. Also Täter: Ein neues Gespenst geht um in Deutschland. Besonders spitze Federn haben "Ekelfleisch" zur Steigerung des "Gammelfleisches" erkoren. Gammelt Letzteres "nur" vor sich hin, so ekelt seine gesteigerte Form uns aktiv an.

Das ist sprachlicher Humbug: Gottlob gab Gott dem Menschen das Adjektiv zur Hand, um die Subjekte zu beschreiben. Fleisch zum Beispiel kann gedünstet, zartrosa, importiert, wolllüstig, manchmal leider auch paniert sein. Sie wollen mehr wissen? Ersteres versteht ein geschätzter taz-Kollege trefflich zu bereiten, zweiteres lässt sich beim Schlachtfest meines Nachbarn feststellen. Der ist nämlich Bauer. Importiertes Fleisch soll nicht sehr klimafreundlich sein (wegen des beim Transport entstehenden Kohlendioxids) und paniertes Fleisch ist schlechterdings ein Frevel. Ach so, wolllüstiges Fleisch - das interessiert Sie? Vergammeltes Fleisch aber scheinbar nicht: Das Objekt wird per "Gammelfleisch" zum Subjekt gemacht. Wer interessiert sich da noch für die Täter?

Es gibt kein "Gammelfleisch". Es gibt nur im Hirn angegammelte Menschen, die Fleisch vergammeln lassen - und das dann trotz alledem noch verkaufen. Fleisch per se ist unschuldig - auch wenn kranke Geister aus ihm "Gammelfleisch" machen.

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Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.

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