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Antisemitismus-KommentarNull Toleranz

Kommentar von Micha Brumlik

Nach dem Übergriff auf einen Rabbiner in Frankfurt ist die Förderung und Stärkung eines moderaten und modernen Islam nötiger denn je.

V or Wochen Mügeln, dort waren Inder das Ziel, dann die gerade noch gefassten homegrown Terroristen, vorgestern Frankfurt am Main, da traf es einen Rabbiner. Politisch motivierte Straftaten ändern ihr Gesicht - an die Stelle von Meinungsdelikten tritt körperliche Gewalt, Gewalttaten, die sich in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen ereignen können. Nun hat es die sich ihrer multikulturellen Toleranz rühmende Stadt Frankfurt getroffen, das Opfer war ein Jude, der Täter vermutlich eine Person mit "Migrationshintergrund". Angesichts dessen liegt die Frage nahe, ob nun französische Zustände drohen, ob die Ausläufer des Nahostkonflikts oder des Kriegs zwischen den Taliban und den westlichen Mächten Deutschland erreicht haben und man sich dessen durch Abschottung und Rückzug erwehren kann.

Beides, der Rückzug aus Afghanistan, wie ihn die Linkspartei einklagt, beziehungsweise die Abschottung, wie sie NPD oder bürgerliche Agitatoren wie Ralph Giordano oder Udo Ulfkotte fordern, sind hilflose Reflexe. Zu weit ist die Globalisierung fortgeschritten, zu transparent Grenzen und Kulturen, zu prekär die Lebenslagen vieler Immigranten, aber auch ethnischer Deutscher, als dass schlichte Notbremsen gezogen werden könnten.

Das derzeit Notwendige ist - neben den erforderlichen Techniken polizeilicher Gefahrenabwehr - längst bekannt: Die Lage der neuen underclass und ihres Nachwuchses ist durch Erziehung und Arbeitsmarktentwicklung bis zu ihrer Aufhebung zu verbessern, die Befindlichkeit entfremdeter Mittelschichtjünglinge durch eine radikal intensivierte demokratische Bildungsoffensive so weit wie möglich zu beeinflussen. Dem Schreckgespenst eines gewalttätigen Islamismus aber lässt sich nur durch die Förderung und Stärkung eines moderaten und modernen Islam begegnen - bis hin zum hoffentlich bald eingerichteten islamischen Religionsunterricht in allen Bundesländern.

Dem Neonationalsozialismus ist entschlossen der Kampf anzusagen: Es muss sich bis in die letzten Dörfer und die letzten Straßen der großen Städte herumsprechen, dass rassistische Gewalttäter nicht unsere Jungs sind, und Fremdenfeindlichkeit nicht, wie etwa Peter Gauweiler meint, eine respektable Haltung darstellt. Wir anderen hingegen, wir alle sollten mit den hehren Schlagworten der Zivilcourage Ernst machen: in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Kneipen und am Arbeitsplatz. Allem Hohn gegenüber der political correctness zum Trotz: Rassistischen, antisemitischen und sexistischen Äußerungen ist sofort ins Wort zu fallen, bei nur geringfügigen Pöbeleien ist sofort einzuschreiten, verängstigten Personen ist sofort zu Hilfe zu kommen. Null Toleranz.

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“
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5 Kommentare

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    Klaus Bloemker, Frankfurt am Main

    Liebe® Bounty

     

    You tell me! Bevor Du mir was rätst, lern erst mal lesen. Ich habe nicht von "der Jude" als Kollektiv gesprochen.

     

    Aber Juden verstehen sich natürlich als Kollektiv, 'das jüdische Volk' - und sie werden auch kollektiv vom Messias erlöst werden, wenn er denn kommt. (Aber dazu muß erst der 'jüdische Staat' in seinen biblischen Grenzen wiederhergestellt werden, sonst kommt der Messias nicht :-)

  • B
    Bounty

    Ich stimme Herrn Brumlik zu, den Deutschen mangelt es an Zivilcourage und die Toleranz gegenüber antisemitischen Einflüssen - auch im Alltag - ist erstaunlich gross.

     

    Herr Bloemker sollte erstmal lernen sich korrekt zu artikulieren und sich weiterhin auch über den Nahostkonflikt informieren und aufklären. Mir scheint hier wurde eine sehr armselige Bildungsarbeit geleistet. Der Jude als Kollektiv ist übrigens antisemitisches Gedankengut, lieber Herr Bloemker, und dazu eine Frechheit und zeigt ebenfalls wir wenig Ahnung Sie von der Thematik haben. Sonst wüssten Sie auch, dass der Nahostkonflikt gerade im Judentum sehr unterschiedlich diskutiert wird und es hier ein sehr breites Spektrum von Gegnern bis Befürwortern der Siedlungspolitik gibt. Da gibt es beispielsweise nicht wenige Friedensbewegungen, übrigens auch von Seiten der gläubigen Juden - denen mit den Kippas.

     

    Ich kann nur traurig den Kopf schütteln, wenn mir soviel Ignoranz, unausgereifte und unsinnige Argumentation begegnet.

  • K
    KlausBloemker

    Palestina in Frankfurt

    __________________________

     

    Der Angriff auf den Rabbi in Frankfurt war nichts anderes als der Palestina Konflikt auf unserer Straße. Der Rabbi wurde als Jude/Israeli angegriffen.

    Aber warum zieht ein in Deutschland lebender Jude (mit Kippa) den Hass eines Arabers auf sich, wird als "scheiß Jude" beschimpft und gedolcht.

     

    Drei mal darfst Du raten Micha Brumlik: Weil es eine scheiß-israelische Besatzungs- und Besiedlungspolitik gibt, von der sich niemand vom offiziellen Judentum in Deutschland distanziert. Israel ist ja das 'Heimatland aller Juden', von dem man sich als Jude nicht öffentlch distanziert.

     

    Die scheiß-Siedlungspolitik führt also natlos zu dem "scheiß Jude" in Frankfurt.

     

    Traurig, traurig ist aber auch, daß unsere arabisch/muslimischen Migranten bisher keine besseren Protestformen gegen Karikaturen und Kippas gefunden haben, als gemeine Gewalt. Sie sollten mal die Protestformen der 68er studieren.

    Der Micha könnte ihnen darin sicher eine Lektion erteilen.

     

    Klaus Bloemker

    Frankfurt am Main

  • BS
    Birte Solandt

    Ihrer forderung nach null toleranz ist zu zustimmen - die forderung der Politiker nach Zivilcouage ist billig, weil diese nicht beispielhaft vorangehen - wie oft habe ich mich bereits ins abseits katapultiert, weil ich brauner Gesinnung trotze, heute mit über 60 würde ich nicht die offene Herausforderung in S oder U Bahn wagen aus Angst vor gewaltätigen Angriffen. Die wohlleilen Worte der Politiker sind müßig, wenn nicht Taten folgen. Und was soll das gerede vom (wirtschaftspolitischem) Schaden an der Republik?

    Es fehlt einfach die grundsätzliche und vorbehaltlose Unterstützung durch Politiker jenseits von rechts.

    Die Aufgeregtheit der Politiker zum "Jahrestag" der RAF ist bezeichnend; die Kampfbereitschaft der Innenministerien ggü. Terroristen ist Terroristen ist aufschlußreich - wo bleibt die Kampfansage an rechtsradikale Terroristen. Aber wer die täglichen Nachrichten betr. Entscheidungen der einzelnen Ausländerbehörden wägt wird wissen, daß Fremden-angst wie -haß zum Alltag in Deutschland gehört. Diese rechte Gesinnung muß immer wieder gebrandtmarkt werden, und unsere Abgeordneten müssen sich äußern und sich mehr der alltäglichen Fälle von Diskriminierung - gerade auch bei der Bearbeitung von Abschiebefällen -widmen.

    Gruß, Birte Solandt

  • R
    Robus

    nur ein Wort: naiv. Micha, schreib lieber wieder gute Bücher. Vielleicht auch eins, über deinen persönlichen Widerstand gegen die genannten Übel..