Kolumne Popkomm: Zukunftsfragen? Erledigt die Politik

Auf der Popkomm wird kaum über die Musikindustrie-Krise geredet. Die Debatte überlassen sie lieber den Kultur- und Wirtschaftspolitikern.

Die Gegensätze könnten kaum größer sein. Hier der abendliche Stehempfang zur Verleihung des Bayrischen Pop-Löwen an die No Angels, Silbermond und den Bezirk Unterfranken (für vorbildliche Nachwuchsförderung) in der BMW-Vertretung am Kürfürstendamm. Dort die geballte Gitarren-Offensive des Berliner Labels City Slang im Postbahnhof mit den Montrealer Neo-Rockern Malajube und den Pop-Darlings Stars. Regionaler Fingerfood-Lobbyismus trifft auf die aktuellen Sound-Verästelungen der weltweiten Independent-Szenerie. Nachmittags lässt sich Finanzminister Peer Steinbrück in einem Politikerpulk über die Messe führen. Im Minutentakt bekommt er die Sorgen und Nöte von Konzertveranstaltern und Musikverlegern serviert. Für die komplexe Problematik der sogenannten Ausländersteuer im Live-Betrieb bleiben gerade einmal 90 Sekunden. Wichtiger erscheint die Botschaft, die später am Abend in den "Tagesthemen" oder im "Heute Journal" ankommt: Wir kümmern uns - die Politik hat ein offenes Ohr für den Pop.

Wenn man innerhalb eines Abends von der Landesvertretung Baden-Württembergs über die Österreichische Botschaft zur "European Music & Media Night" im E-Werk zieht, entsteht wirklich der Eindruck, dass die Musikszene mittlerweile komplett von Pop-Funktionären und den berühmten "Entscheidern aus dem Medien- und Markenartikler-Bereich" übernommen ist. Ein mulmiges Gefühl, dass sich erst in der Schlange vor dem in einem Elektrizitätswerk wieder belebten Techno-Club Tresor legt, wo das Motor-Label des ehemaligen Universal-Chefs Tim Renner die Wiederkehr des New Yorker House-Labels Strictly Rhythm feiert. Renner selbst steht mit Fans und Mitarbeitern am Einlasstresen und scherzt über das Älterwerden im Nachtleben. Es ist durchaus anstrengend, abseits der Business-Dinner und Staatsempfänge die Bodenhaftung zu bewahren.

Die neunzehnte Ausgabe der Popkomm hat es dabei durchaus geschafft, die schwelende Branchenproblematik weitgehend auszublenden. Kein Mensch redet mehr von bösen Download-Piraten oder gemeingefährlichen CD-Brennern. Gejammert wird nicht. Das Leben mit der Krise ist zum Dauerzustand geworden. So belegen die Majorlabels Universal Music, Sony/BMG und Warner Music zwar repräsentative Messeflächen, die Debatte überlassen sie lieber den zahlreichen Kultur- und Wirtschaftspolitikern, die im Jahre 2007 ihr popkulturelles Coming-out zelebrieren durften.

Natürlich schnurren beim Anblick einer aufrecht rockenden Nachwuchsband beim Finnland-Showcase alle Beschwörungen von Kreativindustrie auf einen mittelprächtigen Club-Auftritt zusammen. Doch angesichts der massiven Anstrengungen vieler europäischer Länder, gezielt in den Pop-Erfolg zu investieren (wie irgendwann einmal in die Stahl- und Kohleindustrie), spürt man den viel zitierten Paradigmenwechsel bis hinein in der Partylandschaft rings um die Popkomm.

Die Szene selbst ist nur noch mit einzelnen Highlights vertreten (siehe City-Slang-Abend). So konnten die 450 Konzerte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Aufspüren musikalischer Entwicklungen in diesem Jahr eher ein sekundäres Thema war. Man akzeptiert das unaufgeregte Weiterbrodeln in allen Genres. Die Popkomm 2007 hat dagegen deutlich gemacht, dass die vormals so stolze Musikindustrie ihre Zukunftsplanung an die öffentliche Hand weitergereicht hat.

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