Webgrrls: "Ich bin Kaufmannstochter"

Anja Bischoff ist Medienberaterin und lebt gut von ihrer Arbeit. Als Webgrrl würde sie sich nicht mehr bezeichnen. Sie fühlt sich eher als Weblady. Denn die Neuen Medien sind älter geworden und mit ihnen ihre Protagonisten.

taz: Frau Bischoff, sind Sie ein Webgrrl?

Anja Bischoff: Nein, wenn die Betonung auf "grrl" liegt. Ich mach den Job zu lange, um mich noch "Girl" zu nennen. Ja, wenn die Betonung auf "Web" liegt. Damit beschäftige ich mich seit elf Jahren beruflich. Aber man muss das "grrl" im historischen Kontext verstehen. Die Webgrrls sind entstanden, als die Neuen Medien jung waren und die Leute, die sich damit beschäftigten, auch. Viele sind jetzt, wie ich, Anfang 40. Da passt "Weblady" besser.

Was ist heute noch neu an den Neuen Medien?

Als ich anfing, war das Internet neu. Seine Verbreitung und Nutzung. Heute sind die Erweiterungen neu. Podcasts, Blogs, Communities, Video im Internet - eben alles, was mit dem Stichwort "Web 2.0" gemeint ist. Obwohl ich den Begriff "Web 2.0" nicht mag.

Warum nicht?

Einerseits wird damit eine neue Technologie benannt, die es jedem ermöglicht, eigene Inhalte zu veröffentlichen. Das finde ich okay. Andererseits wird Web 2.0 aber auch von großen Firmen genutzt, um Produkte vermarkten zu helfen. Dabei wird die ursprüngliche Web 2.0-Idee ad absurdum geführt.

Können Sie das genauer erklären?

Wenn Äußerungen von Nutzern zensiert und manipuliert werden im Sinne eines Betreibers, wenn also etwa negative Reaktionen in Bezug auf ein Produkt rausgefiltert werden, dann ist das ja keine offene Kommunikation mehr. Natürlich steht in einer so offenen Form wie dem Web 2.0 neben dem Interessanten auch viel Unsinn. Aber offene Formen müssen das aushalten.

Die Webgrrls sind ein Verein mit über 700 Mitgliedern. Spiegelt die große Zahl die Attraktivität, die das Berufsfeld Neue Medien für Frauen hat, wider?

Sicher. Mit dem Internetboom sind ganz neue Formen und Inhalte für Selbstständigkeit entstanden. Ein Superfeld für alle möglichen Quereinsteigerinnen. Man konnte auch als Frau gut Geld verdienen. Und viele von uns haben das Platzen der New-Economy-Blase überstanden.

Wie erklären Sie sich das?

Ich hab den Eindruck, Frauen wissen, dass sie beruflich wenig geschenkt bekommen. Existenzsicherung ist wichtig. Vor allem wenn man niemanden hat, der einen sponsert, und man keine mitverdienende Ehefrau ist.

Warum veranstalten die Webgrrls jetzt in Berlin diesen großen Kongress?

Wir wollten die Kompetenz von Frauen, die sich im Webgrrl-Pool sammelt, schon lange mal live präsentieren. Und was man nicht vergessen darf: Die Webgrrls sind ein Businessnetzwerk. Der Kongress ist eine Plattform, um Kontakte zu knüpfen.

Sie machen Medienberatung. Was ist spannend daran?

Ich muss mir ständig überlegen, wie meine Kunden neue Technologien und damit neue Sichtweisen im Internet kommunizieren können. Jetzt etwa kann man immer leichter Video im Netz einsetzen. Ich muss herausfinden: Wie kann man es einsetzen? Wer soll es einsetzen? Warum?

Sind Sie so eine Art Pionierin der Kommunikation?

Ich habe manchmal das Gefühl, früher hatten Menschen ein Bedürfnis und entwickelten die passende Technik dazu. Heute scheint es umgekehrt: Zuerst ist die Technik da, und dann entwickelt man Konzepte.

Ist das nicht längst überholt? Es gibt doch wieder den Trend zum Selbermachen.

Web 2.0 ist im Prinzip tatsächlich eine Entwicklung, die den gegenläufigen Trend unterstützt. Die Leute machen es wieder selber und lassen sich die Inhalte nicht vorsetzen. In dem Augenblick, in dem man etwas mitgestaltet, wird man Teil der ganzen Geschichte und kommt ihr nah.

Können Sie von Ihrer Arbeit leben?

Gut sogar. Ich hab das Glück, dass ich mit großen Auftraggebern zusammenarbeite. Außerdem bin ich Kaufmannstochter.

INTERVIEW: WALTRAUD SCHWAB

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