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Länger ALG IBecks Kehrtwende erntet Spott

Der SPD-Chef schlägt vor, nun doch länger ALG I für Ältere zu zahlen. Der zuständige Minister Müntefering distanziert sich, Schröder warnt vor Änderung seines Reformwerks.

Mal wieder Verbal-Dresche für den glücklosen Strategen Beck. Bild: dpa

BERLIN taz Mehr Geld für ältere Arbeitslose: Der neueste Vorschlag des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck sorgt für Hohn von anderen Parteien und Ärger in den eigenen Reihen. Kein Wunder: Die Auszahlung von Arbeitslosengeld I doch wieder auf bis zu 24 Monate zu verlängern, wäre eine drastische Korrektur der Agenda 2010 von Exkanzler Gerhard Schröder.

Entsprechend bissig fielen die Reaktionen aus. Er könne gar nicht glauben, dass die SPD Schröders Agenda "in den Abfalleimer" werfen wolle, erklärte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. Linken-Chef Oskar Lafontaine wiederum hatte sofort eine spöttische Erklärung. "Die SPD kann ihre Wahlniederlagen und ihren Mitgliederschwund nicht mehr übersehen", ätzte Lafontaine und begrüßte das "Umdenken" seiner früheren Genossen. Lafontaine hatte seit Jahren erklärt, er halte es für ungerecht, dass Menschen nach einem langen Arbeitsleben nur kurz Arbeitslosengeld I bekämen, bevor sie Hartz-IV-Empfänger würden.

Während sich Lafontaine also durch Becks Überlegungen bestätigt fühlen kann, äußerte sich der zuständige SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering extrem skeptisch. "Wenn es etwas zu verteilen gibt, dann für Familien mit aufwachsenden Kindern", sagte der Vizekanzler bei einem sozialpolitischen Kongress in Berlin. Im Übrigen könne er seiner Partei nur empfehlen: "Die Agenda nicht liegen lassen, das ist eine vernünftige Expedition."

Auch Schröder meldete sich am Montag zu Wort und riet der SPD, "an der Substanz der Agenda 2010 festzuhalten". In seiner Regierungszeit war die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I von höchstens 32 Monaten auf 12 beziehungsweise 18 Monate (für über 55-Jährige) gekürzt worden. Schröder sagte, daran sollte die SPD nicht rütteln: "Ich bin sicher, dass Festigkeit in der Sache sich letztlich auszahlen wird."

Dem amtierenden SPD-Generalsekretär Hubertus Heil fiel es schwer, den Vorstoß seines Chefs Beck zu erklären. "Wir stehen zur Agenda 2010, sie war notwendig, richtig und auch eine große Leistung", sagte Heil, um kaum zwei Sätze später die geplanten Änderungen vorzustellen. In Zukunft solle die Auszahlung von Arbeitslosengeld I an Ältere verlängert werden, gestaffelt nach Beitragsjahren und Lebensalter. Damit, so Heil in schönstem Politikerdeutsch, das den Sinneswandel übertünchen soll, wolle die SPD "die Politik der Agenda 2010 fortsetzen und weiterentwickeln".

Im Parteipräsidium habe es "große Unterstützung" für die Änderungsvorschläge gegeben, sagte Heil, aber noch keinen förmlichen Beschluss. Der soll auf dem SPD-Parteitag Ende Oktober folgen.

Es gehe der SPD-Spitze darum, mit den verbesserten Bezügen den "Respekt vor der Lebensleistung von älteren Arbeitnehmern" auszudrücken, betonte Heil. Auf die Frage, warum dies der SPD erst jetzt, vier Jahre nach Lafontaine und ein Jahr nach ähnlichen Forderungen von CDU-Vize Jürgen Rüttgers so wichtig sei, sagte der Generalsekretär, die Lage habe sich geändert. "Die Kassen geben es inzwischen her", sagte Heil und verwies auf die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit.

Parteifreund Müntefering soll in der Präsidiumssitzung jedoch klargemacht haben, er werde sich an die geltenden Regierungsbeschlüsse halten. Sein Sprecher sagte, es gebe momentan keine Überlegungen, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu verlängern. Begeisterung klingt anders. Ganz anders.

Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte zu den Realisierungschancen des Beck-Vorschlags: "Wenn sich die Parteien verständigen auf ein gemeinsames Vorgehen, dann wird dieses Grundlage des Regierungshandelns." Die CDU hat sich auf ihrem letzten Parteitag 2006 zwar ebenfalls für eine längere Auszahlung von Arbeitslosengeld I an Ältere ausgesprochen, will aber im Gegenzug bei jüngeren Arbeitslosen kürzen. Das wiederum sei "mit uns nicht zu machen", sagte SPD-General Heil. Es wird also weiter gestritten - in der Koalition und in der SPD.

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