Gigaliner: Die Monster von der rechten Spur
25 Meter lang, 60 Tonnen Fassungsvermögen - Großspediteure träumen von Gigalinern, Schweden hat seinen EU-Beitritt von ihrer Zulassung abhängig gemacht. Nun beraten deutsche Verkehrsminister über sie.
Bisher fahren auf deutschen Straßen zehn Riesen-Lkws herum. Die können 60 Tonnen laden und messen sechseinhalb Meter mehr als normale Brummis. Die meisten Bundesbürger sind ihnen noch nie begegnet: Schließlich dürfen die sogenannten Gigaliner bisher nur auf festgelegten Strecken unterwegs sein. Das soll sich bald ändern, fordern die Verkehrsminister aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. In ihren Ländern wurden nicht nur in den letzten eineinhalb Jahren die Modellversuche durchgeführt. Hier sind auch die Hersteller der Monstertrucks Daimler, Krone und Schmitz Cargobull ansässig - und die wollen endlich Geschäfte machen.
In Schweden fahren die 60-Tonner schon seit 35 Jahren durchs Land. Vor allem die Holzindustrie setzt sie in großem Umfang ein. Das skandinavische Land machte seinen Beitritt zur EU 1995 davon abhängig, dass die Gemeinschaft die Gigaliner für zulässig erklärt. Bis dahin galt
in der Europäischen Gemeinschaft, dass ein Lastzug höchstens 40 Tonnen wiegen und maximal 18,75 Meter lang sein durfte. Zurzeit fahren Riesen-Lkws in Finnland und Schweden im Normalbetrieb. In Dänemark, den Niederlanden und einigen deutschen Bundesländern laufen Feldversuche.
Nur gut die Hälfte aller Bundesbürger kann bisher mit dem Begriff "Gigaliner" etwas anfangen. Sobald sie informiert sind, lehnen 73 Prozent eine Zulassung der Riesen-LKW in Deutschland ab. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Forsa-Umfrage hervor. Vor allem vor schweren Unfällen haben die Menschen Angst. Viele begründen ihre Ablehnung auch mit den hohen Kosten für die Straßeninfrastruktur.
AJE
Am Dienstag treffen sich die Verkehrsminister von Bund und Ländern in Merseburg und beraten, wie es weitergehen soll. Einen Durchmarsch der Befürworter wird es kaum geben: Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) lehnt die Freigabe der bis zu 25,25 Meter langen Fahrzeuge ab, und auch mehrere Kollegen aus den Ländern haben sich schon negativ geäußert. Der Deutsche Städtetag, der ADAC sowie Umweltverbände wollen die Monstertrucks ebenfalls verhindern.
Mehrere Kompromisse stehen im Raum. Nicht unwahrscheinlich ist, dass die Modellversuche ausgeweitet werden, so wie in den Niederlanden, wo man vor vier Jahren mit vier Fahrzeugen anfing, bis 2006 dann 168 zuließ und demnächst in die "Erfahrungsphase" mit 2.000 Gigalinern eintreten will. Immer mehr Ausnahmegenehmigungen schaffen Fakten, so das Kalkül der Befürworter.
Erst seit kurzem kursiert der Vorschlag, eine Zulassung von Gigalinern mit reduziertem Ladegewicht zu verabschieden. Die sollen dann in "Longliner" umbenannt werden und dadurch weniger abschreckend wirken. "60 Tonnen sind für uns auch gar nicht interessant. Wir streben 44 bis 48 Tonnen an", sagt Kirsten Willenborg von der Spedition Hellmann, die mit einem Mega-Lkw am niedersächsischen Versuch beteiligt ist. Ihr Modelltruck ist gegenwärtig nur für 40 Tonnen zugelassen und transportiert tagsüber Kühlaggregate, die voluminös, aber nicht schwer sind. Nachts ist er zwischen den beiden Firmenlagern in Osnabrück und Lehrte mit Stückgut unterwegs, das sich ebenfalls gewichtsmäßig gut verteilen lässt.
Lediglich in Baden-Württemberg fährt zurzeit ein Wagen mit 60 Tonnen Ladung. Dabei passiert er regelmäßig eine Brücke. Was die Gewichtsbelastung für das Bauwerk bedeutet, versucht die Bundesanstalt für Straßenwesen gerade durch Messeinrichtungen herauszufinden; schließlich sind die 35.000 Autobahn- und Bundesstraßenbrücken für maximal 40 Tonnen konstruiert worden. "Natürlich bricht keine Brücke sofort zusammen, wenn da ein 60-Tonner rüberfährt", räumt Ulf Zander von der Bundesanstalt ein; schließlich könnten auch Panzer die Brücken gefahrlos passieren. Entscheidend aber sei die zu erwartende Materialermüdung.
Sollten Gigaliner in größerem Umfang zugelassen werden, könnten außerdem mehrere der Riesenfahrzeuge gleichzeitig auf der Brücke fahren oder stehen. Um diese für derartige Belastungen aufzurüsten, müsste der Staat kräftig investieren. 4 bis 8 Milliarden Euro zusätzlich seien dafür notwendig, haben Ulf Zander und seine Kollegen ausgerechnet - und dabei werden schon ohne eine Invasion von Riesentrucks mehrere Milliarden für Brückensanierungen im Bundesfernstraßennetz gebraucht.
Hinzu kommt: Wer garantiert, dass die 60-Tonner nicht gelegentlich vielleicht auch 65 Tonnen oder noch mehr Gewicht an Bord haben? "Heute ist ja auch mindestens jeder zehnte 40-Tonner überladen", sagt Ulf Zander. Manche herkömmlichen Brummis brächten sogar 50 Tonnen auf die Waage, wie seine Kollegen vom Bundesamt für Güterverkehr bei sporadischen Kontrollen festgestellt hätten.
Außerdem wächst die Unfallgefahr. Zwar weisen die Befürworter stolz darauf hin, dass es bisher noch keinen Crash gegeben habe, in den bisherigen Versuchen durften die Gigaliner aber auch nur auf der rechten Spur fahren, sind sich im Alltag nirgendwo begegnet, und hinterm Steuer saßen Männer, die keinen Punkt in der Flensburger Kartei haben.
Die Bundesanstalt für Straßenwesen rechnet jedoch vor, dass ein Fahrzeug knapp eine Sekunde länger braucht, wenn es einen Monstertruck statt einen herkömmlichen Sattelschlepper überholt. Darüber hinaus nimmt vor allem bei Ein- und Ausfahrten die Sichtbehinderung anderer Verkehrsteilnehmer erheblich zu. Und: Keine Leitplanke könnte einen Gigaliner halten.
Dabei wird der Seitenschutz auf Autobahnbrücken gerade verstärkt, nachdem vor drei Jahren ein Tanklastzug von der Wiehtalbrücke bei Gummersbach in eine Scheune gestürzt ist. Ein 700-Einwohner-Dorf ist damals nur knapp einer Katastrophe entgangen. Doch so viel die Ingenieure auch tüftelten: Es könnte nur ein Aufprall von maximal 38 Tonnen abgefangen werden. "Sonst bricht die ganze Brücke zusammen", erläutert Ulf Zander.
Nicht nur was die Brücken angeht melden die Beamten ihre Bedenken an. "Wir würden dem Verkehrsminister klar raten, dass kein Tunnel von Gigalinern durchfahren werden darf", sagt der Experte von der Bundesanstalt für Straßenwesen. Der Brandschutz sei gegenwärtig nämlich für Gütermengen kalkuliert, die von 40-Tonnern transportiert werden können. "Wenn es mehr brennbare Masse auf engem Raum gibt, müsste das neu ausgelegt werden." Wie die Riesentrucks über die Elbe oder von München in Richtung Südwesten kommen sollen, interessiert die Staatsdiener erst einmal nicht.
Einigkeit zwischen allen Beteiligten besteht darin, dass die Gigaliner auf keinen Fall in Innenstädte hineinfahren dürfen. Doch sie ausschließlich auf Autobahnen verkehren zu lassen wird nicht möglich sein - viele Produktionsstätten liegen nicht unmittelbar neben einer Autobahnzufahrt. Im norddeutschen Raum sind Entfernungen von 70 bis 100 Kilometern bis dorthin nicht selten. Selbst beim Modellversuch in Niedersachsen, bei dem optimale Teststrecken ausgewählt wurden, mussten die Gigaliner 10 Kilometer Kreis- und Stadtstraßen nutzen und waren 53 Kilometer auf Bundesstraßen unterwegs.
Immerhin: Den Straßenbelag nutzen die Riesen-Lkw nicht stärker ab als herkömmliche Sattelzüge - wahrscheinlich sogar weniger. Denn laut EU-Recht muss ein 60-Tonner mindestens acht Achsen aufweisen, während ein 40-Tonner mit fünf Achsen auskommt. Weil die Gigaliner den Untergrund somit punktuell weniger belasten als herkömmliche Brummis, verursachen sie keine zusätzlichen Spurrillen.
Außerdem - so behaupten die Befürworter - werde das Klima durch die Gigaliner geschont. Schließlich müssten statt drei Lkws nur zwei fahren. "Wir haben in dem einen Jahr 18.000 Liter Diesel gespart", berichtet Kirsten Willenborg von der Spedition Hellmann. Zwar räumt auch Martin Lambrecht vom Umweltbundesamt (UBA) ein: "Ein komplett ausgelasteter Gigaliner ist günstiger als mehrere kleine Fahrzeuge." Doch außerhalb von Modellversuchen sei nicht mit einer vollen Auslastung zu rechnen: Bei normalen Lkws sei der Laderaum heute im Alltag zu weniger als 70 Prozent gefüllt.
Vor allem aus einem anderen Grund rechnet das UBA jedoch damit, dass die Klimabelastung tatsächlich wächst, wenn die Autobahnen für Gigaliner freigegeben werden: Personalkosteneinsparungen würden den Transport über die Straße verbilligen. Das Nachsehen hätte die Bahn, die gerade mühsam eine Ausweitung ihres Transportvolumens erreicht hat. Das weiß auch das Verkehrsministerium. "Bei einer flächendeckenden Gigaliner-Zulassung wären jährlich 125.000 Monstertrucks in Deutschland unterwegs, die Güter transportieren, die vorher auf der Schiene waren", zitiert der Vorsitzende des Vereins Allianz pro Schiene, Norbert Hansen, das Ergebnis einer unveröffentlichten Studie, die das Bundesverkehrsministeriums in Auftrag gegeben hatte. Dass der Schienentransport in puncto Klimaschutz vorteilhafter ist, kann niemand bestreiten: Für jede Tonne, die sie einen Kilometer weit transportiert, pustet die Bahn 29 Gramm CO2 in die Luft. Dagegen verursacht ein Lkw pro Tonnenkilometer 104 Gramm CO2.
"Wir würden ja gerne wesentlich mehr mit der Bahn transportieren", kontert Kirsten Willenborg von der Spedition Hellmann dieses Argument. Schon heute sammelt ihre Firma Wechselbehälter aus Osnabrück, Bremen, Hamburg und Hannover und schickt sie Nacht für Nacht per Zug nach Frankfurt und Nürnberg; das spart jedes Mal 80 Lkw-Fahrten und außerdem viele Nerven, weil die Ladung zuverlässig frühmorgens am Zielbahnhof eintrifft. Doch die gewünschte Nachtverbindung nach München könne oder wolle die Bahn nicht bereitstellen. "Wir verhandeln seit drei Jahren und fürchten, dass es auch 2008 wieder nichts wird", berichtet die Unternehmenssprecherin.
Kritiker der DB weisen darauf hin, dass das Unternehmen in den letzten Jahren viele Weichen abgebaut und damit die Kapazität des Netzes enorm verringert habe. Die Allianz pro Schiene begründet die Engpässe im Bahnnetz damit, dass zu wenig in die Infrastruktur investiert werde. In Deutschland gebe der Staat pro Kopf nur 39 Euro für Gleise aus, in Italien seien es 112 und in der Schweiz sogar 272 Euro im Jahr.
Hinter der Diskussion um die Riesentrucks gerät leicht das eigentliche Problem aus dem Blickfeld: Jedes Jahr wächst der Güterverkehr hierzulande um 2,4 Prozent. Ob Blumenkohl, Zange oder Bett - die Dinge reisen immer weiter. Innerhalb von nur sieben Jahren hat sich die durchschnittliche Strecke für einen Lkw-Transport um 44 Prozent verlängert, hat das UBA ausgerechnet. Und so soll es offenbar munter weitergehen. Eine im Auftrag des Verkehrsministeriums erstellte Studie kam in diesem Sommer zu dem Schluss, dass Mitte des Jahrhunderts doppelt so viel hin- und hergefahren werden müsse wie heute - sowohl auf den Straßen als auch auf den Schienen.
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