Gewerkschaftsstreiks: Frankreich kurz vor dem Stillstand

Für Donnerstag rufen die Gewerkschaften einig wie lange nicht zum Streik gegen die Sarkozys Politik auf. Es geht um Themen, die schon vor zwölf Jahren zu Massenstreiks führten.

Leere Regale, schlimme Staus - der letzte französische Massenstreik 1997 hatte gravierende Folgen. Bild: ap

PARIS taz "Eine große Mehrheit der Franzosen gegen den Streik", titelt der Figaro. "54 Prozent der Franzosen unterstützen den Streik", titelt Humanité. Die beiden Aufmacherseiten des Mittwochs - eine des konservativen und des kommunistischen Flaggschiffes - spiegeln die Unsicherheiten der Beteiligten am Tag vor dem ersten großen Streik gegen die Politik des Präsidenten Nicolas Sarkozy. Für Donnerstag haben alle Gewerkschaften gemeinsam zum Streik aufgerufen. Vordergründiger Anlass ist die Abschaffung der Vorruhestandsregelungen für Lokführer und andere schwere Berufe. Im Hintergrund spielten die geplante Verlängerung der Lebensarbeitszeit im Öffentlichen Dienst und die Streichung von fast 23.000 Beamtenstellen im kommenden Jahr mit.

Die gewerkschaftliche Front ist heute so geschlossen wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Damals hatte eine andere rechte Regierung unter Premierminister Alain Juppé versucht, die Lebensarbeitszeit der Beamten von 37,5 auf 40 Jahre zu verlängern. Nachdem das Land im Herbst 1995 drei Wochen langlahm gelegt war, zog die Regierung ihre Vorhaben zurück. Jetzt wagt Staatspräsident Nicolas Sarkozy einen neuen Vorstoß in derselben Richtung. Und provoziert damit erneut die zwischenzeitlich verloren gegangene gewerkschaftliche Einheit.

Streikaufrufe für Donnerstag gibt es für die französische Eisenbahn, die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe, die Gas- und Elektrizitätswerke sowie die Kindergärten und Vorschulen - allesamt Bereiche, in denen die an Mitgliederschwund leidenden Gewerkschaften weiterhin stark sind. Die Bahngesellschaft SNCF geht davon aus, dass landesweit nur 46 von normalerweise 700 TGV-Hochgeschwindigkeitszügen unterwegs sein werden. Die Regionalbahnen werden fast vollständig ausfallen. Bloß die internationalen Hochgewindigkeitszüge Thalys (nach Köln) und Eurostar (nach London) werden voraussichtlich weniger stark bestreikt werden. Dennoch wird der grenzüberschreitende Bahnverkehr - auch nach Deutschland - auf jeden Fall in Mitleidenschaft gezogen werden. Nur eingeschränkt arbeiten werden voraussichtlich auch die französischen Flughäfen, deren Personal wegen des Bahnstreiks nicht oder nur schwer zur Arbeit kommen kann.

Auch die Pariser Verkehrsbetriebe erwarten einen beinahe kompletten Stillstand von Métro, Straßenbahnen und Bussen. Einzige Ausnahme: die Métro-Linie Nummer 14. Sie verkehrt führerlos, und könnte allenfalls durch Blockade der Métro-Eingänge "bestreikt" werden.

Die großen Gewerkschaften haben einen eintägigen Streik angemeldet. Doch mehrere kleinere Gewerkschaften erwägen, den Streik im Erfolgsfall über den heutigen Tag hinaus zu verlängern. In beiden Fällen argumentieren die Gewerkschaftsspitzen mit dem "Druck", den sie auf die Regierung ausüben wollen, um ein günstigeres Kräfteverhältnis in den bevorstehenden Verhandlungsrunden zu bekommen.

Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Premierminister François Fillon haben beide erklärt, dass es für sie keinen Verhandlungsspielraum bei der Verlängerung der Lebensarbeitzeit gibt. Die wird, so sagen sie, ab dem Jahr 2012 im Öffentlichen Dienst genau so lang sein, wie in der Privatwirtschaft. "Dafür bin ich gewählt worden," fügt Sarkozy hinzu. Verhandlungsbereitschaft zeigen er und sein Premierminister in untergeordneten Fragen wie der Berechnung der Renten.

Der "schwarze Donnerstag" wird heute in Großstädten wie Paris zu dem bekannten, aber in den letzten Jahren selten gewordenen Verkehrschaos führen: Die Straßen werden von Autos verstopft, die Luft noch versmoggter als sonst und die Gehsteige voller Fußgänger. Dazwischen werden mehr Fahradfahrer als je zuvor versuchen, sich einen Weg zu bahnen. Neu, im Verhältnis zu 1995 ist die Bildung von Mitfahrgemeinschaften für den Streiktag in Paris im Internet.

Gewerkschaften und französische Spitze werden heute erstmals einen Eindruck von sozialem Empfinden einerseits und Popularität der Politik Sarkozys andererseits bekommen. Die Beteiligung am Streik, aber auch die Stimmung bei den Vollversammlungen in den einzelnen Betrieben, sowie die Haltung der großen Mehrheit der Bevölkerung gegenüber den Streikenden sind dabei wichtige Gradmesser. Für die Gewerkschaften geht es bei dem Streik an ihren letzten verbliebenen Hochburgen auch um ihre Glaubwürdigkeit.

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