Schulhof-Zeitschriften: Jagd auf die Jugend
Von Donnerstag an wird die Jugendzeitschrift "Mercury - Die Welt ist nicht genug" an über 1.000 Schulen verteilt - trotz Titel nur deutschlandweit.
Die Alten: sterben weg. Die Jungen: sitzen vorm Computer. Oder vorm Fernseher. Vielleicht sogar vorm Radio. Die Zeitung liegt abgeschlagen auf Platz sechs der beliebtesten Medien. Laut einer Studie der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse nimmt mehr als die Hälfte der 14- bis 19-Jährigen nur selten oder nie eine Zeitung zur Hand, und ob die, die sich in jungen Jahren nicht daran gewöhnen, im Alter anfangen, ist fraglich. Deshalb versuchen die Verlage, ihre Kundschaft beizeiten zu packen - am besten da, wo sie keine Fluchtmöglichkeiten haben: in der Schule.
Von Donnerstag an wird an über tausend Schulen Mercury verteilt. Untertitel: "Die Welt ist nicht genug". Zehnmal im Jahr soll das Heft in Zusammenarbeit mit dem Rheinischen Merkur (RM) erscheinen, 300.000 Exemplare für die "junge Info-Elite", wie Geschäftsführer Bert G. Wegener sagt.
Es wird voll auf dem Schulhof. Seit September liegt der Spiesser mit einer Auflage von einer Million gratis aus. Vom rechten Propagandablatt Perplex werden 30.000 Stück verteilt. Die SPD-Jugend in Brandenburg reagiert auf Perplex mit der Roten Rose.
Dazu kommen die Jugendseiten einiger Zeitungen im Netz. Das Jetzt-Magazin, ursprünglich eine Beilage der Süddeutschen Zeitung, existiert seit seiner Einstellung im Internet weiter. Auf jetzt.de finden sich Links zum SZ-Online-Auftritt und umgekehrt, jeden Montag erscheint eine jetzt.de-Seite in der Printausgabe der SZ. Der Badische Verlag, der die Badische Zeitung herausgibt, unterhält seit 2006 die Plattform fudder.de - "Neuigkeiten aus Freiburg", die im Juni den Grimme-Online-Award gewann.
Personell gibt es bei Mercury zwei Überschneidungen. Chefredakteurin Silke Linneweber schreibt gleichzeitig im Wirtschaftsteil des RM, Projektleiter Michael Rutz, Chefredakteur des RM, übernimmt die Koordination. Außerdem liegt Mercury auch dem RM bei - selbst wenn die Macher ihr Heft nicht als Beilage, sondern als eigenständige Publikation verstanden wissen wollen. Linneweber betont, dass es sich bei den Redakteuren um ausgebildete Journalisten handelt, die einen gewissen Qualitätsanspruch haben. Aber: "Wir schreiben die Texte aus der Sicht der Leser und geben auch jungen Leuten gerne die Chance, ihre Geschichte aufzuschreiben."
Bunt ist das Blättchen - zumindest was die optische Gestaltung betrifft. Was dem Heft an inhaltlicher Farbe fehlt, ersetzt es aber durch Ernsthaftigkeit. "Vielen Schülern und Jugendlichen wird zu viel Freiraum gelassen", sagt etwa Zwölfklässler Andreas im Dummy zum Thema Rauchen in der Schule. Dazu Donatha: "Wenn man freiwillig in die Schule geht, dann muss man die Regeln auch akzeptieren."
Schön, dass sich herumgesprochen hat, dass Jugendliche mehr sind als Opfer ihres Hormonhaushalts, die sich nur für Partys, Drogen und die eigene Entjungferung interessieren. Aber manchmal scheint sich der Lehrkörper dann doch zu offensichtlich zwischen die Zeilen zu zwängen.
Immerhin ist es das erklärte Ziel von Mercury, in den Unterricht einzufließen. "Wir wollen eine Diskussion über Leitfragen anregen, etwa: Was kann ich tun, nicht nur für mich, sondern auch für die Gesellschaft", sagt Marketingchef Stefan Hassels. Aber ist es nicht eine Eigenschaft des Jugendlichen, abzulehnen, was ihm von oben angetragen wird? Aus Prinzip? Nun kommt das Heft von genau da oben: vom Lehrer. Da Mercury, anders als der Spiesser, nur die Oberstufe anpeilt, wird das Heft wohl direkt von den Lehrern ausgegeben. Die Autorität klebt förmlich an den Seiten. Das macht dann auch ein Rezept fürs Katerfrühstück nicht wett. Vor allem, wenn man es mit Tipps wie "Rosmarin wird aromatischer, wenn man ihn klein schneidet" garniert. Aber vielleicht will die "junge Info-Elite" ja so was wissen.
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