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Kommentar US-SoldatenDie Flucht vor dem Krieg

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Die hohe Zahl der Desertionen in der US-Armee ist erstaunlich. Und unangenehm für das Militär, denn schließlich handelt es sich um eine Berufsarmee.

I mmer mehr Soldaten kehren der US-Armee vorzeitig den Rücken zu und verlassen lieber legal oder illegal die Truppe, als in den Krieg im Irak zu ziehen. Die Zahl der Fahnenflüchtigen ist, wenn man den Informationen der entsprechenden Organisationen glauben darf, mit über 10.000 Fällen seit Beginn des Irakkrieges erstaunlich hoch.

taz

Bernd Pickert ist Redakteur der taz.

Schon seit einiger Zeit ist das Phänomen in einigen Ländern außerhalb der USA bekannt - in Kanada etwa, wo schon zu Zeiten des Vietnamkrieges etliche Deserteure Zuflucht suchten, haben sich auch in den vergangenen Jahren wieder Strukturen herausgebildet, die flüchtenden US-Soldaten Schutz anbieten. Der große Unterschied zu den Zeiten des Vietnamkrieges: Seit 1973 ist in den USA die Wehrpflicht abgeschafft, wer heute in die Armee eintritt, tut das freiwillig. Gerade deshalb sind die hohen Deserteurszahlen erstaunlich - kein Wunder, dass das US-Verteidigungsministerium nicht einmal Interesse an einer umfassenden Verfolgung hat, die womöglich ausführliche Medienberichterstattung nach sich ziehen würde. Denn wenn sich in einer Berufsarmee die Desertionen häufen, spricht das Bände darüber, wie die Kämpfer selbst die Lage vor Ort einschätzen.

Schon jetzt ist eine ganze Generation von US-Armeeangehörigen durch diesen Krieg gegangen. Zehntausende junger Männer und Frauen sind traumatisiert oder schwerstverletzt zurückgekehrt. Mit dabei sind viele, die sich von der Armee einen sicheren Job, eine Ausbildung, ein Auskommen oder endlich den Aufstieg zum vollwertigen US-Amerikaner versprochen haben. Andere wiederum haben einfach den Fehler gemacht, den Rekrutierungsteams der Armee zu glauben.

"Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin" - von dem alten Spruch der pazifistischen Friedensbewegung sind die USA noch weit entfernt. Und dennoch: Die Deserteure erinnern an die einfache Wahrheit, die doch oft vergessen wird: Ohne Soldaten, die mitmachen, sind Kriege nicht führbar. Insofern sind Deserteure gefährlicher als alle Demokraten im Kongress zusammen. Ihr Schritt verdient Respekt - und Solidarität.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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4 Kommentare

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  • DS
    Dagmar Schülli

    Ich wünsche mir, dass Desertieren vom deutschen Rechtsstaat endlich als Asylgrund anerkannt wird.

    Zuviele, die im Jugloslawien-Krieg desertierten, wurden damals zurückgeschickt.

     

    Ich wünsche mir eine Traumabehandlung von betroffenen Männern, die Traumatisierung ist mindestens genauso tief und zerstörerisch, wie die Vergewaltigung einer Frau. Hier fehlen entsprechende Männerangebote.

     

    Ich wünsche mir in allen ehemaligen Kriegsgebieten Versöhnungsarbeit und Heilungsarbeit, diese muss von den Staaten und der internationalen Gemeinschaft endlich flächendeckend bezahlt werden. Immer noch, auch hier in Deutschland, sind die Langzeitauswirkungen eines Krieges (hier des 2. Weltkrieges), die bis in die 4. Generation einer Familie spürbar sind eine Heilungsaufgabe, die oft genug von den Menschen persönlich dann bezahlt werden muss. Hier benötigen Formen der Traumaheilung, die über die üblichen Einzeltherapien hinausgeht.

     

    Ich wünsche mir jährlich eine Verringerung des weltweiten Militärbudgets um 5 %, dieses Geld soll in den Aufbau von Friedesarbeitsstrukturen verwendet werden.

  • SS
    St. Schaeller

    Na toll, da wird die nackte Angst ums Überleben der Soldaten mal eben instrumentalisiert für das politische Ziel des Pazifismus. Respekterweisung ist das am allerwenigsten, wenn die Soldaten ohne ihre Einwilligung vor den Karren Friedensbewegter und Weltabgewandter gespannt werden. Mißbrauch trifft es da schon besser.

  • NJ
    N. Jäger

    Wohl wahr.

     

    Allerdings ist das wohl auch eine Frage mangelnder Bildung. Das "Fußvolk" der US-Armee setzt sich ja, wenn man entsprechenden Medienberichten glauben darf, fast ausschließlich aus Angehörigen der Unterschicht zusammen.

  • D
    D.Frick

    Meinen Respekt und meine Solidarität haben die Deserteure.

    Mein Unverständnis weshalb sie sich freiwillig gemeldet haben allerdings auch.