Integrationsexperte Mangold: "Das TV hinkt der Wirklichkeit hinterher"
Das ZDF begeht eine Integrationswoche. Doch Drehbücher zu Migration werden schon wieder mit dem Hinweis abgelehnt, da gäbe es zu viel, so Integrationsexperte Mangold.
taz: Herr Mangold, als die Medien vor gut einem Jahr das Thema Migration und Integration für sich entdeckt haben, warnten Sie vor vorschneller Begeisterung. Geht es hier nur um ein Strohfeuer, oder ändert sich da gerade wirklich etwas?
Michael Mangold: Ich bin durchaus optmistisch, was die Entwicklung insgesamt angeht. Es tut sich was. Aber es kann jetzt natürlich nicht abwarten und Tee trinken heißen. Sondern dranbleiben: Das Thema Migration im weitesten Sinne ist doch erst in einigen speziellen Formaten wirklich verankert.
Wo - und wo denn nicht?
Zum Beispiel in den deutsch-türkischen Serien von "Alle lieben Jimmy" bis "Türkisch für Anfänger", die auch mit diesem expliziten Auftrag gemacht wurden. Aber in der ganzen Breite des TV-Angebots sieht es doch ganz anders aus. Herzschmerz-Formate für junge Zuschauer wie "Marienhof" oder "Verbotene Liebe" oder die "neuen" Heimatfilme mit Hansi Hinterseer zeigen doch aseptisch reine Unterhaltung und suggerieren, dass eine Verknüpfung von Unterhaltung mit Inhalten nicht möglich ist.
Das ZDF hält jetzt mit einer Woche der Integration dagegen - bloße Pflichterfüllung?
Natürlich ist es wichtig, dass man sich endlich mal eine ganze Woche für diese Themen Zeit nimmt. Es darf nur nicht darüber hinwegtäuschen, dass man auch das ganze restliche Jahr in dieser Pflicht steht.
Bevormundet das Zweite hier die Zuschauer: Kampagnen im zur Ausgewogenheit verpflichteten Öffentlich-Rechtlichen?
Wieso? Es ist doch richtig und überfällig, eine Kampagne zu starten. Das Fernsehen hat hier Jahrzehnte zu wenig gemacht, wenn man seinen Kultur- und Bildungsauftrag ernst nimmt. Da kann durch eine Themenwoche durchaus etwas nachgeholt werden - es darf aber nicht bei einem Spezialthema bleiben.
Also kein Paradigmenwechsel?
Das ist momentan noch nicht einzuschätzen. Ich bekomme Informationen aus Autoren-Kreisen, dass Drehbuchstoffe rund ums Thema Migration schon wieder abgelehnt werden mit dem Hinweis, es gäbe schon zu viel. Dies zeigt, dass Migration als Querschnitthema längst nicht bei den Sendern in der Breite und über alle Formate angekommen ist. Da hinkt das Fernsehen teilweise weiter um Jahrzehnte der Lebenswirklichkeit hinterher.
Wie sieht es denn bei nicht-fiktionalen Angeboten aus?
Klassische Berichterstattung wird ja immer dann aktiv, wenn es Probleme gibt: Zwangsehen, oder die Wahrnehmung des Islam als Gefahr. Aber das eigentliche Problem scheint mir die typische deutsche Trennung zwischen Unterhaltung - die inhaltlich freigehalten wird von jeder Gesellschaftspolitik - und dem vermeintlich "Ernsten", der großen Politik, zu sein.
Ihr Lösungsvorschlag?
Wenn man das Fernsehen als größtes und einflussreichstes Medium ernst nimmt, muss man sich den viel erfolgreicheren Fiktion-Formaten zuwenden: Dort wird Alltagswissen produziert, für Kinder, für Jugendliche und Erwachsene. Und das viel erfolgreicher als in einer vereinzelten Nachrichtensendung oder gut gemeinten Dokumentation.
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