Kolumne Parallelgesellschaften: Der Club in der Kirche
Meine Bekannte ist Organistin - und bekommt mit ihren Musikkursen die Kirche voll. Warum schämt sie sich dafür?
Jan Feddersen (50) ist Autor und Redakteur. Besonders für die Ressorts taz.mag und tazzwei.
Informantenschutz wird einem an den krudesten Stellen abverlangt. In diesem Fall an einer Kirche oberhalb des Berliner Alexanderplatzes, genauer gesagt, dort, wo das "Bionade Biedermeier" (Die Zeit) anfängt, in Prenzlauer Berg. Kirche? Vor mir steht eine Frau, die mir empfohlen wurde als würdige Orgelspielerin für jede Gelegenheit, bei Hochzeiten und Trauerfällen. Vor vielen Jahren soll sie mal bei der A-Schein-Prüfung in einer katholischen Kirche Hamburgs Caterina Valentes "Ganz Paris träumt von der Liebe" angespielt haben, woraufhin sich die Prüfer, die sich der Melodie ergriffen hingaben, irgendwie an ein unbekanntes Frühwerk Bachs erinnert fühlten und sie mit einer glatten Eins benoteten.
Diese Musikerin wechselte neulich ihr Leben, kam nach Berlin. Hatte die Schnauze von all den Kirchensteuerzahlern, die aber Heiden seien, weil sie sonntags doch nicht in die Kirche gingen. Und der Chor? "Kalkfabriken", rief sie menschenverachtend aus, "krächzende Gutwilligkeit, aber alles weit oberhalb der Pensionsgrenze."
Berlin, sagt sie, "war mein Übergang, mein Suchen nach Neuem, vielleicht in der Clubszene". Und in der ist sie jetzt tatsächlich, denn dieser Club ist ein Übungsraum einer Kirche. Aber welche das nun genau ist, dürfe ich auf keinen Fall sagen, sie flöge dann raus, man habe es einfach nicht gern, wenn die neuen Verhältnisse in ihrer Gegend so überaus smart geschildert werden. Ein Stadtteil wie eine Wellnesszone, grundfreundlich, öko, beinhart solidarisch in den Umgangsformen, "Hallo, ist echt menschlich hier". Natürlich konnte ich ihr Diskretion zusichern, sie will einfach doch Kirchenmusikerin sein.
Denn in Prenzlauer Berg ist kein Heidenland, keine Kirchensteppe, deren Angehörige ihre Steuern als Ablass begreifen. Sie sagt: "Meine Kurse sind voll." Fünfmal die Woche musikalische Früherziehung für drei- bis fünfjährige Kinder, dreimal Erwachsenenchor, einer davon als Gospelvariante, vier kammermusikalische Workshops konnte sie schon ausrichten, wobei es mehr Interessenten gab als Plätze. Sorgen um Instrumente musste sie sich auch nicht machen, alle, die zu ihr kamen, hatten natürlich Geige, Cello, Flöte, viele Flöten sogar.
Kurz: Prenzlauer Berg hat viele Gotteshäuser, und sie sind besucht wie bayerische Barockkirchen zur Christmette - und zwar, bis auf die Ferienzeit, ganzjährig. Dann sieht man sie, die neuen, moderneren Familien, deren Kinder Jean-Christoph heißen oder Carlotta-Sophie, Hannah und Anna und Erik und Carl (mit C!) sowieso, doch auch Tobias-Wolfhard wie Emma-Milena. Sie sind so adrett, singen so fein mit, sind liturgiesicher, strahlen und wirken angekommen.
Und das ist nun die Stelle, an der ich meine Freundin rügen muss. Warum sagst du nicht öffentlich deinen Namen? Gibst du ihn aus Angst nicht preis? Weshalb lobst du nicht, statt zu spotten, diesen Stadtteil, dessen Menschen doch auf Werte halten, nicht auf Müll und Abstieg? Ist es nicht Lohn auch deiner Mühe, dass sich endlich die Kirchen wieder füllen mit Menschen, die in ihr leben möchten - die das Credo der Ewigkeit beherzigen möchten, obwohl doch, wie Dr. House neulich bemerkte, Ewigkeitsideen nur was für Leute sind, die keinen Arsch in der Hose haben für das echte Leben.
Was ich von ihr also fordere, ist, diese Feigheit vor den guten Menschen in Prenzlberg abzulegen, die doch alles richtig machen und sich nur beschweren, wenn ihnen die Stadt nicht genügend Schulen bereithält, vor allem für musikalische Früherziehung, beherzt Ja zu sagen zu den Verhältnissen, die dort herrschen, nein wirken. Ich sage: Hör auf mit dieser Kritikasterei an den grünen Menschen, die natürlich Neid auf sich ziehen, weil alle Kritik an ihnen abprallt. Sie sind gegen den Klimawandel und sind gewiss keine notorischen Billigflieger, und wenn, dann nur mit schlechtem Gewissen. Wofür wiederum die Kirche zuständig ist, es zu lindern (oder, haha, "auszuhalten").
Wir verabschieden uns. Sie hat gleich eine Gruppe. In ihrem Kirchenraum, ihrem Club. Ein Chor, der sich wünscht, Ostern mit einem Programm, einem Potpourri aufzutreten, das Jesus als Rebellen preist. Ehret alle Mühen!
Fragen zur Orgel? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH
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