Kommentar Tarifstreit bei der Bahn: Angebot mit Tücken

Noch ist die Bevölkerung mit den Forderungen der Lokführer solidarisch. Das kann sich aber ändern. Wenn das neue Angebot der Bahn so unzureichend ist, dass die Gdl unbefristet streiken muss.

Es hätte so schön sein können: Die Bahn garantiert ihren Lokführern satte Lohnerhöhungen, wenn diese ihre Forderung nach einem separaten Tarifvertrag aufweichen. Eine solche Lösung wäre ein klassisches Unentschieden, das jede Seite als Sieg hätt auslegen können: Die Bahn hätte die Tarifeinheit im Unternehmen gewahrt, und die Lokführer hätten deutlich mehr Geld in der Tasche - was Gewerkschafter in der ganzen Republik als Lohn des Kampfs und überfälliges Signal für das Ende der Bescheidenheit verkaufen könnten. Hätte.

Denn das neue Angebot der Bahn, über das die Lokführergewerkschaft GDL heute entscheidet, scheint sich in der Substanz wenig von den bisherigen Offerten zu unterscheiden. 13 Prozent mehr Lohn klingen viel. Aber wenn damit nur die Bezahlung von Überstunden - die selbstverständlich sein sollte - gemeint ist, kann dieses Angebot eine kampferprobte Gewerkschaft kaum annehmen. Sie müsste eine solche Provokation, die reine Zermürbungstaktik wäre, zurückweisen.

Andererseits stellt sich die Frage: Wenn das Angebot tatsächlich so schlecht ist, warum lässt sich die GDL dann auf ein tagelanges Verwirrspiel darüber ein? In diesem Fall hätte sie es doch sofort zurückweisen und ihre Streiks ausweiten können. Dass die Gewerkschaft dies nicht tat, legt zwei Vermutungen nahe: Entweder sind sich Gewerkschaftsführung, Bezirksverbände und Basis nicht über ihre Ziele und ihren Kurs einig; oder in dem neuen Angebot der Bahn findet sich doch etwas, das der Lokführergewerkschaft den Weg zur Lösung des Konflikts zeigt.

Denn für die GDL steht viel auf dem Spiel. Zwar sind große Teile der Bevölkerung solidarisch mit den Lokführern - wobei die Sympathie mehr der Lohnforderung und weniger dem eigenständigen Tarifvertrag gilt -, aber niemand kann garantieren, dass diese Stimmung bei einem unbefristeten Ausstand nicht irgendwann kippt.

Verliert die GDL diesen Konflikt, steht ihre Existenz auf dem Spiel; gewinnt sie ihn, kämpft sie künftig in einer anderen Liga. Bei einem Unentschieden bliebe sie in jedem Fall im Geschäft. Die GDL steht vor der schwersten Entscheidung ihrer Geschichte.

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Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.

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