DGB-Studie: "Berufseinsteiger sind ausgebrannt"
Befristete Verträge, Zeitarbeit und hoher Druck: Junge Männer und Frauen unter 30 finden ihren Job mies, hat eine Studie des DGB ermittelt. Jeder Dritte würde sofort die Stelle wechseln.
Felix Weitenhagen arbeitet im Siemens-Schaltwerk in Berlin-Spandau. Er ist 30 Jahre alt und als Schlosser angestellt. Unbefristet seit 1999, darüber ist er froh. "Kollegen werden zwischen befristeten Verträgen und Leiharbeit hin- und hergeschoben, auch wenn sie seit sieben Jahre im Betrieb sind", sagt Weitenhagen, der auch im Betriebsrat sitzt. "Das führt zu Frust und Zukunftsangst."
Weitenhagens Beobachtungen gelten für fast alle Branchen, und sie sind jetzt wissenschaftlich belegt. Der DGB hat am Mittwoch eine repräsentative Studie veröffentlicht, die starke Benachteiligungen der unter 30-Jährigen in der Arbeitswelt dokumentiert. "Obwohl sie besser ausgebildet sind als Ältere, gehören sie zu den Verlierern auf dem Arbeitsmarkt", sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock. 1.000 Arbeitnehmer unter 30 und 5.000 Arbeitnehmer über 30 hat der DGB in Betrieben zu ihren Arbeitsbedingungen befragt.
Die Ergebnisse finden die Gewerkschaften alarmierend: Junge landen eher auf befristeten Stellen, in Zeitarbeit oder müssen unfreiwillig Teilzeitstellen annehmen. Während über die Hälfte der unter 30-jährigen schon mal einen befristeten Arbeitsvertrag hatte, gilt das bei den Älteren nur für ein Drittel - obwohl sie länger im Berufsleben stehen. Ähnlich sieht es bei Zeitarbeitsverträgen aus: 15 Prozent der unter 30-jährigen haben schon mal einen unterschrieben, aber nur 8 Prozent der Älteren.
Außerdem werden die Jungen schlechter bezahlt. Bei fast 40 Prozent steht ein Bruttogehalt von unter 1.500 Euro auf dem Gehaltszettel. "Zwischen dem, was sich Arbeitnehmer wünschen, und der Realität klafft eine riesige Lücke", sagt Jessica Heyser von der DGB-Jugend. Ein Drittel der Befragten bezeichnen ihre Arbeitsplätze als "schlecht", gut die Hälfte fühlt sich am Feierabend "leer und ausgebrannt". Entsprechend würde ein Drittel der Unter 30-Jährigen sofort den Job wechseln - wenn es denn eine Alternative gäbe. "Junge Leute, die bei der hohen Arbeitslosigkeit einen Job ergattert haben, lassen sich von den Arbeitgebern viel gefallen", sagt Sehrbrock.
Ein Wunsch steht für die Generation Prekär ganz oben: 95 Prozent der Befragten möchten einen sicheren Job. "Die Vorstellung, junge Leute fänden es aufregend, als moderne Arbeitsnomaden quer durch die Republik zu ziehen, ist falsch", sagte Sehrbrock. Sie sieht Firmen und Politik in der Pflicht: "Sonst bleibt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein reines Lippenbekenntnis." Junge Menschen dürften nicht länger "die unfreiwilligen Vorreiter" der Flexibilisierung der Arbeitswelt sein.
Der Schlosser Weitenhagen kennt die Unsicherheit von Kollegen. In dem Siemens-Werk arbeiten 2.300 Festangestellte neben 600 Leiharbeitern. "Die stehen unter hohem Leistungsdruck, weil sie sich bewähren wollen." Ein Arbeiter mit einem Halbjahresvertrag müsse sich schon drei Monate vor Auslaufen der Stelle arbeitslos melden. "Er weiß nicht, wann er Urlaub nehmen kann, wie viel Geld er in Zukunft bekommt, wo er vielleicht hinziehen muss. Der gründet natürlich keine Familie."
Wissenschaftler sind von den Ergebnissen der Studie nicht überrascht. "Einsteiger müssen mit etablierten Arbeitnehmern konkurrieren, die Firma weiß wenig über sie - ihre Situation war immer prekär", sagte Christian Brzinsky-Fay, der am Wissenschaftszentrum Berlin zum Berufseinstieg junger Menschen forscht. Die gefühlte Unsicherheit sei dabei oft dramatischer als das tatsächliche Risiko. "Da schwingt die typisch deutsche Angst mit, eine befristete Stelle sei nichts Richtiges", sagte Brzinsky-Fay. "In Spanien arbeiten mehr als doppelt so viele der unter 30-Jährigen auf befristeten Jobs wie hier." Jedoch habe sich die Entwicklung hin zu unsicheren Arbeitsplätzen in den vergangenen zehn Jahren deutlich verstärkt. "Deshalb sind Jüngere natürlich stärker betroffen."
Immer mehr junge Menschen ziehen die Konsequenzen. Im Jahr 2001 wanderten laut Statistischem Bundesamt gut 78.000 Deutsche unter 35 Jahren in andere Länder aus. 2006 waren es gut 103.000 - das ist ein Anstieg von 22 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Plan für Negativ-Emissionen
CO2-Entnahme ganz bald, fest versprochen!