Kolumne Ökosex: Licht aus, knutschen, kündigen
Ökosex bietet der Klima-Allianz an: Erst verabschieden wir uns alle vom Licht - und dann von den Kohlekraftwerken.
Martin Unfried (41) arbeitet als Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht. ER liebt die solare Effizienzrevolution, kauft sich hemmungslos Klimaschutzprodukte und will damit bis 2012 raus sein aus der fossilen Welt. Er singt auch bei Ökosex, der ersten Kolumnenband der Welt
Am Wochenende fliegen Delegationen nach Bali zur UN-Klimakonferenz. Wichtig, wichtig. Ökosex hat volles Vertrauen in den Verhandlungskünstler Sigmar Gabriel. Die Amerikaner, die Chinesen und überhaupt: Warum wir doch lieber bis 2050 warten sollten. Toi, toi, toi. Du machst das schon, Sigmar.
Ja, liebe Regierung, du sollst dir für uns international den Arsch aufreißen in langen Nachtsitzungen. Wir Bürger bleiben - wie die Bayernfans - undankbar und nutzen die Zeit, in der der Herr Umweltminister weg ist, für unsere eigenen Stein- und Braunkohlepläne.
Das soeben verhinderte Kraftwerk in Ensdorf im Saarland macht nämlich Appetit auf mehr. Der 8. Dezember ist Klima-Aktionstag, da wird weltweit demonstriert. In Deutschland organisiert das ein Gigantenbündnis: die-Klima-Allianz.de. Das ist, was Deutschland an ziviler Gesellschaft so zu bieten hat. Greenpeace, Brot für die Welt, Vegetarier, die Katholische Jugend, Attac und die Diakonie. Wahrscheinlich ist Ihr Club auch dabei, doch Sie wissen es gar nicht. Die Klima-Allianz kennt nämlich kein Schwein, was bei der imposanten Größe eine echte Leistung ist. Ökosex bietet deshalb der Allianz eine Allianz an.
Vorschlag eins für den 8. Dezember: knutschen und kündigen. Die geplanten Demonstrationen in Berlin und Nordrhein-Westfalen sollten wir kurz halten. Wir haben Besseres zu tun, als in der Kälte rumzustehen. Wenn wir der Regierung Beine machen, dann mit einer gut geplanten Massenkündigung. Sie kennen doch die koreanischen Massenhochzeiten. So was in der Art. Wir werden zu Hause im Warmen abhotten. Fünf Millionen Mitglieder der Klima-Allianz-Verbände trinken und tanzen am 8. Dezember mit Familie, Freunden und Nachbarn. Wie weltweit geplant, geht dann um 20 Uhr das Licht aus, und wir knutschen und fummeln ein bisschen! Das hilft zwar dem Klima nicht wirklich, entspannt aber.
Doch dann kommt der eigentliche Hauptakt. Um 20.05 Uhr geht das Licht wieder an und zehn Millionen Menschen zücken in Deutschland den Stift und unterschreiben ihre Kündigung vom Kohle und Atomunternehmen, also einen neuen Stromvertrag. Prost Massenkündigung! Damit kommt die Klima-Allianz garantiert ins Guinessbuch und in die Bilanzen der Kohlekonzerne.
Vorschlag zwei: Landkreise aufmischen. Wenn am 8. Dezember zehn Millionen Haushalte Ökostrom kaufen wollen, müssen die Erneuerbaren zügig ausgebaut werden. Das machen wir am 9. Dezember. Die Klima-Allianz formiert in 313 Landkreisen und in 118 kreisfreien Städten eine Hundertprozent-Initiative. Diese fordert vom Landrat und den Fraktionsvorsitzenden des Kreistages den regionalen Hundertprozent-Ausstieg aus der fossil-atomaren Welt. Begründung: Bringt Arbeitsplätze und ist regionale Wertschöpfung. Ein Kreistagsbeschluss muss her für eine regionale Effizienz- und Erneuerbare Strategie, der jedes Kohlevorhaben ausschließt. Ist kein Problem, man verweist einfach auf die bayerischen Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach, die das vorgemacht haben.
Vorschlag drei: Als Zeichen der Entschlossenheit sammeln die Mitglieder der Klima-Allianz am 10. Dezember die erste Milliarde Euro ein für neue Bürgerkraftwerke und machen Lobbyarbeit für deren Standorte. Dann kippen wir die vielen Windenergie-feindlichen Regionalpläne in Süddeutschland. Und dann wird richtig geklotzt.
Ach, und fast hätte ich es vergessen: Am 14. Dezember stehen wir mit 20.000 Menschen am Flughafen Tegel. Da begrüßen wir unseren Helden von Bali, also Sigmar Gabriel, bei seiner Rückkehr mit dem Song "Youll never walk alone".
Fragen zum Klima? kolumne@taz.de Montag: Kirsten Reinhardt KATASTROPHEN
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