Kosovo-Frage: Serbien spielt patriotische Karte
Die Belgrader Regierung will die Zugehörigkeit der Provinz Kosovo zu Serbien verteidigen. Uneinigkeit herrscht jedoch in der Frage, ob dafür auch militärische Mittel eingesetzt werden sollen.
BELGRAD taz In der kalten Dezembersonne mahnen in den Straßen Belgrads sonderbare Billboards geschmückt mit Fahnen der USA, Englands, Frankreichs und Deutschlands. "Hinsichtlich der wichtigsten Dinge dürfen wir nie und nimmer nachgeben!" bestellt Abraham Lincoln den staunenden Spaziergängern. Und mit einem Photo in Lebensgröße wird Winston Churchill zitiert: "Was unser ist, werden wir verteidigen. Nie werden wir uns ergeben!" Und hundert Meter weiter De Gaulle: "Eines Tages werden die Tränen getrocknet sein, der Haß schweigen, die Schlachtfelder geglättet werden, bleiben jedoch wird unser Vaterland!" Auch John. F. Kennedy und Willy Brandt blicken auf die Belgrader hinab und werden mit entsprechenden Sprüchen zitiert.
Die Werbeflächen wurden vom Ministerium für das Kosovo der serbischen Regierung bezahlt. Die Presseprecherin des Ministeriums, Danijela Nikolic, erklärt: "Die gewählten Zitate weisen darauf hin, wie man sich in Sachen nationaler Interessen zu verhalten hat."
Die Reaktionen der Belgrader auf die patriotische Kampagne sind hingegen unterschiedlich. "Warum hat man Willy Brandt nicht in der Pose gezeigt, in der er 1970 in Warschau niederkniete, um um Verzeihung für die Verbrechen, die im Namen seines Volkes begangen worden sind, zu bitten?" fragt eine Studentin vor der philologischen Fakultät. Andere wieder fragen sich, ob angesichts der angespannten sozialen Lage in Serbien das Geld für die Billboards nicht vernünftiger hätte ausgegegeben werden können. Diese Meinungen sind aber eher die Ausnahme.
Die Einstellung zum Kosovo und die Bereitschaft die heilige serbische Erde zu verteidigen, ist zum Gradmesser für den Patriotismus der Serben geworden. Medienberichten zufolge wird erwartet, daß sich die seit 1999 von der UNO verwaltete Provinz bis Jahresende für unabhängig erklären und von den USA und der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten anerkannt wird.
Der serbisch-orthodoxe Erzbischof von Kosovo, Artemije, forderte vor einigen Tagen die Regierung auf, zu handeln. Er schlug vor, die Grenze zum Kosovo für alle Reisenden und Waren für drei Tage zu schließen, gleichzeitig die Reservisten zu mobilisieren und unmittelbar an der Grenze Manöver abzuhalten. Aleksandar Simic, der Berater des Ministerpräsidenten und Chefs der national-konservativen "Demokratischen Partei Serbiens",Vojislav Kostunica, ging noch einen Schritt weiter: "Serbien besitzt negative Erfahrung auf Grund einiger bewaffneter Konflikte im früheren Jugoslawien..., aber staatliche Interessen werden auch mit Krieg verteidigt." Wenn Prishtina internationale Verträge breche, die das Kosovo als einen untrennbaren Bestandteil Serbiens definierten, bleibe dem Staat einfach nichts anderes übrig, als auch mit militärischen Mitteln seine staatliche Interessen zu vertreten, sagte Simic im staatlichen Fernsehen.
Andere Töne kommen aus der prowestlichen "Demokratischen Partei" (DS) von Staatspräsident, Boris Tadic. Auch hier will man das Kosovo verteidigen, doch mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln. Der Verteidigungs- und der Außenminister schließen die Anwendung militärische Mittel bislang aus. In der DS überwiegt die Meinung, daß die Kosovo-Frage Serbien nicht vom Weg einer europäischen Integrationen abbringen dürfe. Die in der Kosovo-Frage gespaltene Regierung steht vor einer Zerreißprobe. Eine Koalition von Kostunicas DSS mit der ultranationalisitischen, und in Serbien mit Abstand stärksten, "Serbischen Radikalen Partei" (SRS) ist nicht auszuschließen.
Obwohl in den letzten Tagen ein Krieg in aller Munde ist, glaubt niemand wirklich an einen Einsatz der serbischen Streitkräfte, weil das einen Konflikt mit der Nato bedeuten würde. Analytiker meinen, daß die Appelle an den Nationalstolz innenpolitisch instrumentalisiert werden. Es ist aber ein Spiel mit dem Feuer. Sicherheitsexperten warnen bereits davor, daß einige erhitzte Köpfe auf beiden Seiten in der aufgeheizten Stimmung ein Chaos auslösen könnten.
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