Merkel in der Mindestlohn-Falle: Grüße vom Murmeltier

Angela Merkel hat einen allgemeinen Mindestlohn vor Monaten abgelehnt. Eine folgenschwere Entscheidung - denn seitdem verfolgt sie das Thema Tag für Tag.

Lässt keine Mindestlohn-Strategie erkennen: Kanzlerin Angela Merkel Bild: dpa

BERLIN taz Die Vorweihnachtszeit könnte so schön sein für Angela Merkel. Sinkende Arbeitslosenzahlen, blendende Umfragewerte, viel Lob im Ausland, keine Konkurrenz in der Union - mit dieser Zwischenbilanz ließe sich im Kanzleramt entspannt Advent feiern, sollte man meinen. Doch Merkel hat ein Problem. Es verfolgt sie. Sie wird es nicht los.

Angela Merkel geht es wie Bill Murray in dem Film "Und täglich grüßt das Murmeltier". Jeden Morgen, wenn sie das Radio einschaltet, hört die Kanzlerin die gleichen Nachrichten: Die SPD freut sich über den Post-Mindestlohn und verlangt noch mehr - nämlich einen gesetzlichen Mindestlohn für alle. Danach folgen in den Nachrichten die Reaktionen der Unionskollegen. Sie klingen stets verärgert, zunehmend verwirrt - und nie vergessen sie, von ihrer Kanzlerin ein Machtwort zu verlangen, das den ganzen Mindestlohnzirkus beendet.

Erst am Montag wieder forderte der CSU-Mittelstandspolitiker Hans Michelbach, die Kanzlerin möge endlich ein "Stoppschild" aufstellen. Gegen die freche SPD. Gegen weitere Mindestlöhne.

Wenn es nur so einfach wäre. Merkel versucht ja schon Tag für Tag, die Debatte zu beenden. Gestern ließ sie noch einmal verkünden, dass es einen einheitlichen Mindestlohn mit ihr nicht geben werde. Niemals. Aber so klar klingt sie nicht immer. So verblüffte Merkel auf dem Arbeitgebertag in der vergangenen Woche die versammelte Managerelite mit dem Hinweis, Länder wie Großbritannien seien an gesetzlichen Mindestlöhnen "nicht zugrunde gegangen".

Schwankt die Kanzlerin? Mal hört sie auf Volkes Stimme, die Mindestlöhne fordert. Mal hört sie auf den eigenen Wirtschaftsflügel, der Mindestlöhne als Teufelszeug verflucht. Eine Strategie ist bei Merkel nicht zu erkennen.

Viele in der Union halten es inzwischen für einen Fehler, dass ihre Parteichefin in einer Nachtsitzung des Koalitionsausschusses am 18. Juni 2007 eine folgenschwere Entscheidung traf: Sie sagte Nein zu einem allgemeinen Mindestlohn, was Vizekanzler Franz Müntefering zur Weißglut trieb. Sie sagte aber auch Ja zu einem Wunsch des listigen Arbeitsministers Müntefering. Merkel erlaubte der SPD, die Einführung gesonderter Mindestlöhne für bestimmte Branchen zu prüfen. Herausgekommen ist ein Mindestlohn für die Post. Herausgekommen ist die Entschlossenheit der SPD, einen solchen Mindestlohn in allen Branchen einzuführen. Herausgekommen ist der Eindruck, dass die Union dagegen nichts mehr tun kann.

Inzwischen finden sogar manche rechte Flügelkämpfer, dass ein genereller Mindestlohn besser wäre als das Gefeilsche um jeden einzelnen Beruf. Doch was der Chef des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, vorschlägt, ist eine Illusion. Eine allgemeine Lohnuntergrenze von 4,50 Euro ist mit der SPD nicht zu machen. Und sie ließe sich auch schwer erklären: 9,80 Euro für Briefträger, aber nur die Hälfte für den großen Rest? Außerdem müsste Merkel zugeben, dass ihre Ablehnung eines generellen Mindestlohns ein Fehler war. Das kann sie sich kaum leisten.

Und so wird Merkel weiter täglich vom Murmeltier gegrüßt. Am Montag kam es in Gestalt des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck daher. Beck hatte die Journalisten zu einer Pressekonferenz unter dem Allerweltstitel "Bilanz und Ausblick" geladen. Es sollte um das zurückliegende und das kommende Jahr gehen. Tatsächlich ging es um die SPD. Um ihr wiedergewonnenes Selbstbewusstsein. Um ihr altes Thema soziale Gerechtigkeit. Um ihr neues Thema soziale Ungleichheit. Um den Mindestlohn.

Der sozialdemokratische Parteichef warb erneut für die Einführung flächendeckender Mindestlöhne. Es gehe darum, "Armut trotz Arbeit" zu verhindern, sagte Beck. Er sprach sich ausdrücklich für Mindestlöhne in der Zeit- und Leiharbeit aus. "Mini- und Hungerlöhne" bezeichnete er als "süßes Gift", das zu einer völlig falschen Auseinandersetzung in Deutschland führe: "Mit Minilöhnen wird Deutschland nie einen Wettbewerb gewinnen." Stattdessen seien Qualität und Innovationskraft gefragt. Es sei ein "kapitaler Fehler", mit den Löhnen weiter nach unten auszuweichen.

Die Kanzlerin wird die Worte gehört haben. Vielleicht hat sie dabei ja an Franz Müntefering gedacht. Der Vizekanzler hatte Merkel schon in jener Juninacht, nach ihrer Ablehnung eines allgemeinen Mindestlohns, prophezeit, dass der Tag noch kommen werde, an dem sie ihre harte Haltung bereuen werde. Und nach seinem Rücktritt als Arbeitsminister am 13. November hatte er diese Sätze in aller Öffentlichkeit wiederholt. "Man sieht sich immer mehrmals im Leben", hatte Müntefering auf seiner vorerst letzten Pressekonferenz gesagt. "Es war ein großer Fehler von der Union, nicht den gesetzlichen Mindestlohn zu machen. Jetzt wird jeden Monat neu über das Thema gesprochen werden."

Das ist so, und das passt Kurt Beck ganz gut in den Kram. Er ist davon überzeugt, dass sich die Union nur deswegen so an der Sozialdemokratie abarbeitet, weil sich die SPD auf ihrem Parteitag in Hamburg sozial so klar positioniert hat. Seine Partei bezeichnet Beck am Montag als "stabil", "gut aufgestellt" und "kampfbereit". Sie habe wieder an "Selbstsicherheit" gewonnen. Dass sie das vor allem ihm zu verdanken hat, sagt Beck nicht. Er stichelt lieber in Richtung Union. "Solange sie sich mit uns befasst, ist klar, wer die Themen setzt."

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