piwik no script img

Kommentar Aleviten vs. "Tatort"Normalität lässt sich nicht verordnen

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die Aufregung der Aleviten über den Inzest-"Tatort" ist verständlich. Doch es ist auch ein Zeichen gesellschaftlicher Normalität, wenn der Mörder auch Roma oder Türke sein kann.

K ann man sich Roma vorstellen, die von Diebstahl leben und schnell mit dem Messer zur Hand sind? Natürlich. Gibt es Juden, die geizig und geldgierig sind? Warum nicht? Gibt es Schwule, die pädophil sind? Ja, all diese Fälle sind vorstellbar. Und alles, was prinzipiell vorstellbar ist, kann auch als Stoff für einen Roman, ein Theaterstück oder einen Film dienen. So weit geht die Freiheit der Kunst.

taz

Daniel Bax, 37, ist taz-Meinungsredakteur.

Bei den aufgeführten Beispielen handelt es sich allerdings durchwegs um negative Stereotype, die gerne zur Denunziation ganzer Minderheiten benutzt werden. Wenn solche Stereotype in einem Film, einem Roman oder einem Theaterstück auftauchen, sind daher Fragen angebracht. Wie hat der Autor das gemeint? Die meisten Autoren verzichten deshalb lieber auf derartige Stereotype - auch, um gar nicht erst in den Verdacht zu geraten, Vorurteile gegen Minderheiten schüren zu wollen.

Die Autorin der jüngsten "Tatort"-Folge hat sich nun bei der Alevitischen Gemeinde in Deutschland dafür entschuldigt, dass sie in ihrem Krimi einen Fall von Inzest im Milieu dieser religiösen Minderheit angesiedelt hatte. Ihre Themenwahl war zumindest ungeschickt. Denn dass unter Aleviten heimlich Inzest herrsche, wird dieser türkisch-muslimischen Religionsgruppe von der orthodoxen Mehrheit schon lange unterstellt. Die Aufregung vieler Aleviten ist daher verständlich.

In einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft, in der immer mehr Minderheiten selbstbewusst mehr Rücksichtnahme fordern, werden solche Konflikte zunehmen. Es wäre ein Zeichen gesellschaftlicher Normalität, wenn der Mörder im Tatort auch Roma oder Türke sein kann. Aber Medien können Normalität nicht verordnen. Solange Vorurteile Wirkung zeigen, ist deshalb auf dieser Seite viel Fingerspitzengefühl gefragt, will man nicht unbewusst Vorurteile bedienen.

Minderheiten, die gegen negative Stereotypisierungen protestieren, laufen allerdings schnell Gefahr, als leicht erregbar und chronisch beleidigt abgestempelt zu werden. So ist der Protest der Aleviten zwar berechtigt. Ob sie gut beraten waren, gleich zu Demonstrationen aufzurufen, steht auf einem anderen Blatt. Mehr Gelassenheit wäre hier angebracht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er schreibt über Politik und Popkultur – inbesondere über die deutsche Innen- und Außenpolitik, die Migrations- und Kulturpolitik sowie über Nahost-Debatten und andere Kulturkämpfe, Muslime und andere Minderheiten sowie über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 folgte das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

10 Kommentare

 / 
  • HD
    Hafize Dogan

    Mich schockiert dieser Tatort und vor allem die blöde Reaktion der Regisseurin. Bislang hat sie mal unflättig eine Entschuldigung gebabbelt (Ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich mich entschuldige) oder das Ganze als einen PR-Gag der Alevitischen Gemeinschaft dargestellt.

    Und noch unangenehmer finde ich die Reaktion vieler Mitbürger, von wegen, macht Euren Krawall zu Hause. Wenn Meinungsäusserungen und Demonstrationen schon als Krawall zu betrachten sind, ist das Grundgesetz bald auch nicht mehr viel wert.

    Die Regisseurin behauptet immer noch, diesen Stoff recherchiert zu haben und meint, sie habe selber alevitische Bekannte. Daran zweifele ich wirklich. Ausserdem frage ich mich, warum Sie die Story nicht im italienischen Gastarbeiter-Milieu angesiedelt hat. Bevor sie mit Tabu-Bruch Karriere machen will, sollte sie wenigstens den Mut haben, bei ihrer eigenen Community anzusetzen. Pädophile Katholiken haben in den letzten Jahren weitaus mehr Schlagzeilen gemacht, als Aleviten und Inszest. Aber den Mut, einem anderen Immigranten die Scheib einzuwerfen, halte ich nicht für eine Leistung. Sorry - es geht wirklich besser.

  • P
    Pepe

    Über 40 großenteils bekannte und mitgliederstarke Organisationen haben zum Klimaaktionstag am 08.12. bundesweit gerade mal 10.000 Menschen auf die Straße gebracht. Die Aleviten mobilisieren 20.000 in kürzester Zeit und in nur einer Stadt. Religiöse Gefühle gegen Überleben - klar, welches Thema bei uns Menschen obsiegt.

     

    Mein Vorschlag: Im nächsten Tatort platzieren wir ein übles Umweltverbrechen in einer - sagen wir - muslimischen oder christlichen Gemeinde. Auf die Demo dürfen wir gespannt sein. Vielleicht rückt auf diese Weise nicht nur die betroffene Glaubensgemeinschaft, sondern auch das Thema noch mal in den Mittelpunkt des Interesses. Wenn auch nur für ein paar Tage, danach ist wieder Erinnerungsaschermittwoch.

  • T
    tesadüfen

    Es gibt Dinge, die man sein lassen sollte. Besonders wenn man keine Ahnung hat, so denke ich jedenfalls, dass die Macher des Films über die Sensibilitaeten einer Volksgruppe sich gar nicht im klaren waren. Es ist nicht lange her, dass Aleviten verfolgt wurden, wegen solcher Verlaeumdungen. Es gibt kaum jemand unter ihnen, der oder die nie im Leben sowas hören musste. Wer will, dass einige Fanatiker mit Genugtuung Tatort schaut. Haette man in NDR ein Drehbuch zustimmen können, in dem es um Juden geht, die Saeuglinge umbringen, -so hat man geglaubt im Mittelalter. Die Antwort ist nein. Dann bitte jetzt kein Gerede von künstlerischer Freiheit. Das ist ein sehr übeler Ausrutscher und es muss aufrichtig um Entschuldigung gebeten werden.

  • HW
    Heidemarie Wätzold

    Einerseits verstehe ich die Aufregung der Alevitischen Gemeinde, wenn alte unbewiesene Vorurteile abstrakt in einem TV-Krimi "verarbeitet" werden. Wir ärgern uns auch über ständig neu instrumentarisierte Nazi-Klichees. Der Unterschied zum abstrakten TV-Film ist der: in Deutschland haben Progrome und Menschenvernichtung tatsächlich stattgefunden. Früher wurde solche Filme immer mit "Persilschein" gesendet: "Jede Ähnlichkeit der Handlung im Zusammenhang mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig".

  • SH
    Seyyid Han

    Schon bevor die Sendung erfolgte, hatten sich alevitische Institutionen gegen die Ausstrahlung der Folge gesträubt. Und dies nicht unberechtigt. War man sich bei den staatlichen Sendern nicht darüber im Klaren, was man damit anrichten könnte? Die Aleviten wurden wegen Ihrer liberalen Auslegung des Islams über Jahrhunderte hinweg verfolgt und ermordet. Man hat Ihnen alles mögliche nachgesagt, um somit diesen Glauben von der Bildfläche verschwinden zu lassen.

     

    Am 22. Dezember jeden Jahres jährt sich das Massaker von Maras, bei dem über 1000Aleviten systematisch getötet wurden. Dies war nicht das erste und das letzte Massaker an diesem Volk. Bereits zuvor hat es zahlreiche Pogrome in der Türkei an Minderheiten (Aleviten, Kurden, Armenier, Yezidi, Araber..) gegeben. Diese Kette reicht vom Osmanischem Reich bis in unsere Zeit. Allein im Osmanischem Reich wurden im Mittelalter zwischen 40 .000 und 60. 000 Aleviten, durch den Tyrannen Yavuz Sultan Selim , in wenigen Tagen ermordet.

     

    Am 02.07.1993 wurden 37 Menschen am lebendigem Leibe, eingesperrt in einem Hotel nach stundenlanger Belagerung (8 Stunden) trotz Polizei und Militär, durch islamische Fanatiker verbrannt.

     

    Und wissen Sie auf welcher Grundlage diese Massaker stattfanden? Eben aufgrund des Inzestvorwurfes, um das Volk gegen die Aleviten zu hetzen. Und wissen Sie, dass es immer noch genug sunnitische Moslems gibt, die an diesen Stuss glauben?

     

    Ist es nicht berechtigt, dass der "Alevite" sich über ein solches Szenario empört?!

     

    Was ist, wenn durch diese Folge neuer Hass gegen die Aleviten geschürt wird und neue Massaker hinzukommen?

     

    Der staatliche Sender hätte all diese Situation vor Augen halten müssen. Demokratie und Meinungäusserung hin oder her....Man hätte präventiv handeln müssen und die Folge nicht zeigen dürfen. Was ist, wenn morgen irgendwelche alevitischen Familien aufgrund der Aufkeimung der Geschichte umgebracht werden?

     

    Mal von dieser ganzen Sache abgesehen, kann ich mir nicht vorstellen, dass eine doch soooo gebildete Person wie Frau Maccarone, nicht von der Vorgeschichte wusste. Man macht sich doch erstmal schlau, bevor man aktiv wird. Also da betreibt sie definitiv nur Schadensbegrenzung.

     

    Und zudem kommt noch, dass der sunnitische Islam ins positive Licht gerückt wird. Was für ein Zufall mein Gott....dass die misshandelte Tochter gerade bei Ihrem sunnitischen Schwager Unterschlupf findet und so gesehen bereinigt wird.

     

    Keiner kann mir erzählen, dass es sich um Fiktion handelt. Hier steckt definitiv mehr dahinter.

     

    Nur was...? Möchte eventuell der Staat den Islam untereinander destabilisieren? Immerhin werden zur Zeit immer mehr Deutsche zu Moslems als umgekehrt und sind auch weltweit sehr stark im kommen.

     

    Oder waren die Berater der Frau Maccarone so rein zufällig irgendwelche fundamentalistischen Moslems?

     

    WIR werden definitiv dranbleiben und unser berechtigtes Interesse an Richtigstellung

    durchsetzen.

     

     

    ***Anmerkung der Redaktion: Der NDR ist kein Staatssender.

  • M
    Miriam

    Leider kommt es mir so vor, als ob es im Fernsehen nur noch südländisch aussehende Mörder gäbe. Den kriminellen Moslem haben wir im Fernsehen auf alle nur erdenklichen Weisen doppelt und dreifach durchexerziert. Es wundert mich, dass sich erst jetzt jemand auf den Schlips getreten fühlt. Mir ist es schon lange zu blöd (und zu traurig), sich die immer gleichen Vorurteile und Stereotypen reinzuziehen. So werden auf wirkungsvolle Weise Feindbilder im Sinne politischer PR aufgebaut. Dass es den Filmschaffenden nicht zu blöd ist, sich immer wieder für so plumpe Propaganda herzugeben?

  • B
    Beelzebub

    Hat Reinhard Mey sich für "Der Mörder ist immer der Gärtner" eigentlich schon beim Bundesverband der Gärtnerinnungen entschuldigt?

  • HM
    Heiko mass

    Es ist wirklich schade, daß gerade die toleranteste Muslim-Gruppe die in Westeuropa eine Rolle spielt hier so denunziert wird. Ich kann die Enttäuschung und die Entrüstung verstehe. Es bleibt aber zu hoffen, daß die Aleviten auch hier am Ende noch tolerant sind und die Gelegenheit nutzen ohne Strafantrag eine Diskusssion zu beginnen die allen, auch den Deutschen weiterhilft.

    Inzest ist ja nun wirklich kein Problem irgendeiner religiösen Gruppe. Die 120.000 vermultlichen Pädophilen die gerade die deutsche Polizei beschäftigen sind doch wirklich ein sehr viel größeres Problem.

  • M
    Muzy

    zur demokratie geht auch demokratische streitkultur... die aleviten verbrennen keine menschen (wie 1993 in sivas), keine autos (wie jeden 1. mai im kreuzberg). man sollte versuchen statt aleviten etwas vorzuwerfen sie zuverstehen.

     

    sie sind in deutschland bis heute daswegen unbekannt weil sie sich in brd gut integriert haben. vom aussehen und lebensstil her gibt`s keine unterschiede...

     

    man sollte auch wissen, dass aleviten traditionell "links" gerichtet sind.

    da auf die straße gehen und demonstrieren in ihren ursprüngen "instrumente" der linke sind. sollte man auch dafür verständnis haben.

  • GT
    gerne tazleser

    frau maccarone hat sich für ihr fehler bei den aleviten noch nicht entschuldigt.

     

    wenn man als mensch fehler macht, sollte man auch dafür gerade stehen und verzeihung bitten. schließlich ist irren menschlich.

     

    die form der entschuldigung ist natürlich auch wichtig. man kann doch nicht im tv vor mill. zuschauer "lügen" und später per telefon um entschuldigung bitten... ich hoffe sie verstehen das.

     

    ich persönlich, denke dass sie die szenario bewußt so geschreiben hat... weil allein wenn sie als "ottonormal" bürger im internet (wikipedia) rescheschieren, stoßen sie auf diesen inzest-vorwurf mit dem die aleviten jahrhundertelang von seiten der islamische fundis und türkische faschisten verfolgt wurden.

     

    dazu sehen sie pogromme in sivas, maras, corum, gazi mahallesi etc.

     

    es tut schon weh wenn man sich als alevite in brd niedergelassen hat und integriert ist solche vorwürfe im ard sieht.

     

     

    und jetzt frage ich mich, wer will jetzt wen rausscmeißen ?????

     

     

    vielen dank an alle die mein kommentar gelesen haben.