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taz-Serie "Haben Sie noch Feuer?" (Teil 3)"Genussraucher sein wäre schön"

Klaus Lederer, Landeschef der Linken, hält das Rauchverbot für eine Form von Erziehungsdiktatur. Ihm selbst gelingt länger aufzuhören nur, wenn er verliebt ist.

Jetzt ne Zigarette: Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Linkspartei in Berlin Bild: AP

Haben Sie noch Feuer?

Ab 1. Januar ist das Rauchen in öffentlichen Gebäuden verboten, in Restaurants und Kneipen darf nur noch in gesonderten Räumen gequalmt werden.

Aus diesem Anlass hat die taz mit passionierten Rauchern gesprochen - über das Rauchen als Sucht und als Kulturtechnik. Das Gespräch mit Linke-Landeschef Klaus Lederer beendet die Serie, in der bereits die Kreuzberger Schriftstellerin Iris Hanika und der Neurochirurg Christian Sprung zu Wort kamen.

taz: Herr Lederer, ist Katrin Lompscher eigentlich noch Ihre Parteifreundin?

Klaus Lederer: Eine sehr gute Freundin.

Sie zwingt Sie, ab 1. Januar mit der Zigarette vor die Tür zu treten. In die Kälte.

Sich selbst ja auch, da ist sie konsequent.

Die rauchende Gesundheitssenatorin hat uns zum Thema leider kein Interview geben wollen. Deshalb die Frage an den rauchenden Landesvorsitzenden der Linken: Ist Politik im Falle von Katrin Lompscher eine Frage des Masochismus?

In anderen Jobs gibt es das auch. Du musst dir überlegen, in welche Konflikte du gehst und in welche nicht. Das Rauchverbot ist für mich kein Konflikt, den jetzt auszutragen sich lohnen würde. Da gibt es andere Probleme, die den Leuten auf den Nägeln brennen. Wenngleich das Rauchverbot auch eine soziale Dimension hat. Denken Sie nur an die Leute, für die die Kneipe wie hier das Uebereck der soziale Rückzugsraum ist. Und auch die Leute hinterm Tresen rauchen.

Das ist die Antwort des Politikers. Ist das Thema bei Ihnen nicht auch emotional besetzt?

Sicher.

Nichtraucherschutz ist Erziehungsdiktatur?

In dieser Form: ja.

Warum?

Immer mehr Lebensregungen werden normiert. Einerseits sind da die großen Freiheitsversprechen, andererseits wird den Leuten an allen Ecken und Enden erklärt, wie sie ihr Leben zu gestalten haben, damit sie diese Freiheiten "richtig" gebrauchen. Man muss Sport machen, sich gesund ernähren

mit den Kindern regelmäßig zum Arzt.

Da wird dann geguckt, ob es irgendwelche Auffälligkeiten gibt. Das Sonderbare daran ist, dass es hierfür eine immer größere Akzeptanz gibt. Natürlich auch vor dem Hintergrund des volkswirtschaftlichen Kostenarguments werden da Lebensentwürfe gestylt zu dem, was man unter richtigem Leben zu verstehen hat.

Die Rückkehr des Staates als Erziehungsinstanz - wo er sich doch sonst so gerne aus unserem Alltag verabschiedet. Zum Beispiel wenn es um gerechte Löhne oder Steuern geht

Es wird wie wild reguliert. Nur: in wessen Interesse? Die Freiheit ökonomischer Akteure wächst. Ansonsten biegt der Staat die Menschen auf Marktfitness zurecht. Die unerwünschten gesellschaftlichen Folgen des Postulats grenzenloser individueller, vor allem ökonomischer Freiheit und Rücksichtslosigkeit soll der Staat bewältigen. Deshalb der erhobene Zeigefinger: Tu das! Lass jenes! Oder zahle individuell den Preis. Sanktionen und Verhaltensanleitungen, Wertedebatten, Religion als Kompensation für die Brüche der Gesellschaft. Die Geister, die sie riefen

Da kann man aber doch auch sagen: Nein, da mach ich nicht mit!

Wenn Sie meinen, dass individuelle Verweigerung eine Option ist - bitte. Die Frage ist, was Sie damit ändern. Soll ich mich jetzt in eine Kneipe setzen, wo das Rauchen verboten ist, und mir eine anzünden?

Helmut Schmidt würde das machen.

Der schon. Das änderte aber noch nichts am Rauchverbot. Im Zweifelsfalle hätte der Kneipier den Ärger, nicht ich. Was für eine bequeme Form, meine gute Gesinnung unter Beweis zu stellen!

Während der Märzrevolution 1848 sind die Berliner auf die Straße gegangen, um das öffentliche Rauchen zu erkämpfen. Jetzt müssen sie wieder auf die Straße, weil ihnen das Rauchen in der Kneipe verboten wird. Wie misst man eigentlich gesellschaftlichen Fortschritt?

Schwierig Wenn ein Maßstab zählt, dann doch, wie viele an den Errungenschaften tatsächlich sozial teilhaben können. Da sieht es zunehmend dünn aus.

Klingt sehr defätistisch für den Vorsitzenden einer Partei, für die der Fortschritt früher so sicher war wie für den Christen das Amen in der Kirche.

An Marx interessiert mich nicht das Dogma, sondern sein analytischer Begriff von Gesellschaft. Im Übrigen kann man meiner Partei sicher vorwerfen, dass über unseren Begriff von Freiheit kaum diskutiert wird. Dass womöglich sogar Schritte zu mehr Freiheit, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegangen wurden, aus dem Blick geraten sind und wir uns zuerst zuteilungsstaatlichen Erwartungen im Hinblick auf die soziale Frage hingeben. Das ist das eigentliche Trauerspiel. Schließlich ist gesellschaftlicher Fortschritt immer eine eher ambivalente Sache gewesen.

Manche meinen, wir leben in der fortschrittlichsten aller deutschen Welten. Die 68er haben uns zivilisiert, wir haben die Homoehe, in Berlin regiert ein rot-roter Senat.

Moment mal. Alle Welt redet gerade von "Peak Oil" und vom Ökokollaps, und Sie wollen so über Fortschritt reden? Mir fällt das nicht so leicht, wenn ich daran denke, was diesen Fortschritt primär ausmacht. Die Zurichtung der Welt auf einen Supermarkt ist für mich kein Fortschritt. Da ist auch eine Menge sozialen Miteinanders verloren gegangen.

Marxistisch gesprochen: Es mangelt an einer Vergesellschaftung der Individuen.

Wir haben eine fortschreitende kapitalistische Vergesellschaftung immer weiterer gesellschaftlicher Bereiche. Und die verbindet sich mit einer brutalen Form der Vereinzelung. Die soll dann durch individuelles Verhaltenstraining überwunden werden.

Die Ästhetik der Warenwelt ist der schöne Schein, und der ökonomische Zwang, mitzumachen, eine neue Spielart der Diktatur.

Es hat etwas Totalitäres.

Und dazu kommt nun die Erziehungsdiktatur des rot-roten Senats. Na denn mal prost!

Quatsch. Nennen Sie es Trend oder Zeitgeist, wenn Sie wollen. Der Staat ist nach der Erwartung vieler die zentrale Reparaturinstanz, wo die Zerstörung von Gesellschaft keine Korrektive mehr hervorbringt. Und für manche das letzte Halteseil. Aber Sie haben recht: Ich sehe derzeit auch keinen starken gesellschaftlichen Trend, der hier zu Bewegung führen könnte. Hin zu einer Gesellschaft der Freien und Gleichen, wo man morgens angeln, mittags philosophieren, nachmittags arbeiten und abends in der Kneipe rauchen und ein Glas Wein trinken kann.

Vielleicht steht uns dank Rot-Rot eine neue Etappe des revolutionären Prozesses bevor.

Vielleicht. Aber nicht von allein. Es muss sich die Kritik am Neoliberalismus mit einer fundierten sozialen Staatskritik verbinden. Räume für solche Bewegungen müssen erkämpft werden. Dazu gehört als Erstes, die Verlierer der Modernisierung nicht abzuschreiben.

Die russischen Anarchisten waren bestimmt auch Raucher.

Fragen Sie mich lieber nach dem Grundeinkommen.

Bitte.

Das ist für mich so ein Zukunftsthema. Wie verbinde ich neu gewonnene Freiheiten mit selbstbestimmtem, sozialem Leben und Lernen? Das wäre vielleicht das Ende der Lohnarbeit als sinnstiftendes Element bei der sozialen Reproduktion und Lebensgestaltung. Wird bei uns noch eher als Bedrohung betrachtet

Der Moment, in dem Sie sich eine Zigarette anzünden. Was ist das für Sie? Der Moment der Wahrheit? Des Nachdenkens?

Schon. Oder auch der Moment der Verzweiflung. Ein Stoßseufzer: Ja sind denn hier gerade alle wahnsinnig? Hu!

Soll heißen, bei den Fraktionssitzungen ist der Wunsch nach einer Kippe am größten?

Gar nicht so sehr.

Weil es verboten ist.

Nein.

Wie, darf man auf Ihren Fraktionssitzungen rauchen?

Im ganzen Abgeordnetenhaus ist Rauchen verboten. Was ich meine, ist eher die Situation, in der die Dinge überhandzunehmen scheinen und alles ganz anders läuft als gewünscht. Das ist nicht so oft in der Fraktionssitzung.

Ein Fluchtreflex.

Auch beim Schreiben von Texten.

Weil es die Konzentration erhöht?

Ich bin ja kein Mediziner. Ich kann das gar nicht sagen. Aber während meiner Dissertation quoll der Aschenbecher regelmäßig über.

Was ist eigene Erfahrung, und was kulturell geprägtes Bild? Ist der kreative Raucher nicht auch eine Konstruktion?

Jetzt kommt die Nummer mit dem Habitus. Der Regisseur an der Kamera mit Kippe im Mundwinkel. Die rauchenden Existenzialisten an der Rive Gauche.

Coffee and cigarettes. Jim Jarmusch.

Natürlich ist da viel von dabei. Aber am Ende ist da wahrscheinlich auch einfach Sucht

Sie hatten gerade erst aufgehört zu rauchen und nun wieder angefangen. Warum?

Das waren nur zehn Tage. War diese Situation: Sind doch gerade alle verrückt hier.

Ist Politik tatsächlich so anstrengend, dass sie einen zum Raucher macht?

Ach was, das ist in der Politik nicht anders als überall. Das kennt jeder. Außerdem spielt die Politik in meinem Leben nicht die alleinige Rolle.

Sie hatten schon mal aufgehört, sogar ein halbes Jahr lang.

Da war ich verliebt. In einen Nichtraucher. Aber das ist schon zwölf Jahre her.

Was muss passieren, damit Sie wirklich aufhören?

Ich habe mal gesagt, ich höre auf, solange ich das noch selbst entscheiden kann. Bei meinem letzten Urlaub gab es nichts Schöneres, als auf einen Berg zu klettern und bei einer Verschnaufpause auf einem Stein zu sitzen und sich eine Zigarette anzuzünden.

Gibt es eine Tätigkeit, bei der Sie keine Kippe brauchen?

Beim Fahrradfahren.

Sieht ziemlich albern aus.

Nicht deswegen. Es ist eklig, unter körperlicher Anstrengung zu rauchen. Ich würde auch keine rauchen, während ich den Berg hochklettere. Aber auch dafür wird es bestimmt wieder eine medizinische Erklärung geben.

Sie sind 33. Da spielen die ganzen medizinischen Prognosen noch keine Rolle.

Als ich ein halbes Jahr verliebt war, kam ich nicht aus der Puste, wenn ich dem Bus hinterherrannte. Das Essen schmeckte besser. Es ist also nicht so, dass ich nicht wüsste, wie widersinnig das Rauchen ist.

Was haben Sie in den zehn Tagen gemacht, in denen Sie gerade aufgehört haben?

Ich hab mich ganz schön gequält. Kaugummi gekaut. Manchmal so einen Ball geknetet.

Sind Sie ein Genussmensch?

Ja.

Was sind für Sie die größten Genüsse?

Ein Klassikkonzert. Augen zu, Ohren auf. Ein gutes Buch. Manche Kinofilme. Ich esse auch sehr gerne.

Kochen Sie selbst?

Ja. Zu wenig.

Weitere Genüsse?

Ein guter Joint mit Freunden war auch immer okay. Und natürlich der bewusste Sommermüßiggang, in Berlin oder sonst wo. Für mich ist Urlaub entweder aktiver Urlaub oder Faulenzerurlaub.

Vielleicht werden Sie irgendwann zum Genussraucher.

Ich fürchte, nein. Aber schön wäre es, sich nur in schönen Momenten am Abend ein Zigarillo anzünden zu können.

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