Eiskunstlauf: Berliner beherrschen das Eis
In Hohenschönhausen trainiert der kommende Deutsche Meister im Eiskunstlaufen. Peter Liebers, sein Bruder Martin und Clemens Brummer werden den morgen beginnenden Wettbewerb unter sich ausmachen.
Trainerin Viola Striegler steht an der Bande der Eiskunstlaufhalle im Sportforum Hohenschönhausen und hat aufmunternde Worte für ihren Schützling Peter Liebers: "An Deinem Dreifachaxel war nichts auszusetzen." Der 19-jährige Abiturient will Deutscher Meister im Eiskunstlaufen werden. Die Wettbewerbe beginnen am Donnerstag in Dresden. Seine beiden aussichtsreichen Mitbewerber sind wie er Berliner - und trainieren mit ihm in einer Trainingsgruppe: sein 22-jähriger Bruder Martin Liebers und der der 21-jährige Clemens Brummer.
Die Medaillienvergabe beim Eiskunstlaufen der Herren ist in diesem Jahr ein Berliner Lokalereignis, aussichtsreiche Kandidaten aus anderen Bundesländern gibt es nicht. Und der mehrmalige Deutsche Meister Stefan Lindemann aus Erfurt, seit gut einem Jahr Wahl-Berliner und ebenfalls Schützling von Viola Striegler, geht wegen einer gerade überstandenen Leistenoperation diesmal nicht an den Start und kann seinen Titel nicht verteidigen.
Peter Liebers legt eine CD mit der Untermalung für seine Kür - eine japanischen Karatemusik - auf. Sein Bruder und Konkurrent kommt zur Bande. Trotz der Kälte in der Eishalle muss er den sich Schweiß von der Stirn wischen und einen Schluck Mineralwasser trinken. Souverän und freundlich hört er die kritischen Worte der Trainerin zu seinem eben gelaufenen Programm. Und ganz nebenbei klopft er seinem kleinen Bruder aufmunternd auf die Schultern.
Der 22-jährige Wirtschaftsstudent hat einen anstrengenden Tag hinter sich zwischen Eishalle, Hörsaal, Ballettsaal und Ausgleichssport. Von 7 Uhr und 19.30 Uhr ist er dafür auf den Beinen. Jeden Tag. Er opfert sich dabei für eine Sportart auf, die in Deutschland keine Zuschauer mehr vor die Fernsehschirme, geschweige denn in die Eishallen bringt. Und in der die Aspiranten auf den deutschen Meistertitel der Weltspitze hinterherlaufen. "Doch ich bekomme Anerkennung, wenn ich meinen Kommilitonen erzähle, dass ich Eiskunstläufer bin", sagt Martin Liebers. "Das ist etwas ganz besonderes. Fußball spielt schließlich jeder."
Wenn er in Dresden um den Deutschen Meistertitel läuft, werden aber kaum andere Leute im Publikum sitzen als die Angehörigen der Sportler. Das war mal anders. Als der Vater der Brüder, Mario Liebers, in den 70er- und 80er-Jahren für die DDR international Eis lief, war die Sportart fast so populär wie Fußball.
"Das ist Eiskunstlaufen heute auch noch in Kanada, Japan und China", sagt Peter Liebers, der jüngere Bruder. Und seine Kollegen dort, die wie Fußballstars hierzulande angehimmelt werden, beneidet er durchaus. Als er in Kanada einen Wettkampf hatte, war sogar beim Training morgens um 7 Uhr die Halle voller Zuschauer. "Die haben begeistert geklatscht, wenn ich einen Sprung gestanden haben", erinnert er sich. Nach Hohenschönhausen verirren sich selten Zuschauer zum Training. So kurz vor der Meisterschaft werden Kürausschnitte nach Musik trainiert. "Denk an die Armhaltung", ruft die Trainerin von der Bande, als Peter Liebers läuft.
Viola Striegler hat insgesamt zehn Schützlinge. Mädchen und Jungen aller Altersgruppen drehen Piruetten und üben Schrittfolgen. "Wir sind ein Superteam", so Striegler. Ihre drei Meisterschüler plus der verletzte Stefan Lindemann sind zwar auf nationaler Ebene die härtesten Konkurrenten. "Aber da will keiner dem anderen die Augen auskratzen. Der eine gönnt dem anderen den Sieg." Und sie als Trainerin sorge dafür, "dass sie sich gut verstehen und sich gegenseitig anspornen und helfen". Schwer ist das nicht, wenn sie zwei Brüder trainiert, die sich innig lieben. Und Martin bekennt freimütig, beim Lauf seines kleinen Bruders sei er mehr aufgeregt als beim eigenen.
Auch der 19-jährige Philipp Tischendorf, ein graziler Junge, profitiert von der guten Trainingsathmosphäre in Hohenschönhausen. Im letzten Jahr war er Deutscher Vizemeister und 13. der Juniorenweltmeisterschaft. Diese Saison kann er wegen gerade überstandenen Verletzungen nur eingeschränkt trainieren. Er wird sich lediglich bei zwei Schaulaufen präsentieren. "Ich bin aber motiviert, weiterzumachen, weil ich Aussicht habe auf Erfolg. Und weil ich sehe, wie es bei meinen Trainingskameraden aufwärts geht", sagt er.
Dabei ist "Eiskunstlaufen eine Sportart, die man sich leisten können muss", sagt die Trainerin. Ein Paar Schlittschuhe koste 1.600 Euro. Für ein Wettkampfkostüm, ein Unikat aus hochdehnbarem Spezialstoff, müsse man um die 1.000 Euro hinlegen. Und weil sich in Deutschland kaum jemand für Eisläufer interessiert, die Piruetten drehen, gibt es auch kaum Sponsoren. Die Sportler zahlen das meiste selber - ein deutlicher Wettbewerbsnachteil gegenüber der internationalen Konkurrenz. Ein Vorteil für die Sportler in Berlin ist, dass das Land die Eisfläche aus öffentlichen Mitteln betreibt und deshalb weniger Trainingsgelder anfallen als in anderen Bundesländern.
Wer von ihren drei Schülern Deutscher Meister wird, das entscheide die Tagesform, sagt Viola Striegler. Das ist kein diplomatischer Satz einer Trainerin. Kleine Wettkämpfe beendeten die drei in dieser Saison in wechselnder Reihenfolge. "Peter Liebers steht als einziger einen Vierfachsprung. Da hat er den beiden anderen etwas voraus", sagt Striegler. "Wenn er ihn steht", fügt sie hinzu. Soll heißen: Die beiden älteren Läufer können ihre Leistung im Wettkampf stabiler präsentieren.
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