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die wahrheitDrei irische Biere und das Mädchen auf Pilzen (teil 2)

Was bisher geschah: Der Bessie Ralf Sotscheck hat drei Flaschen irisches Bier mitgebracht, die ich weiterleiten sollte...

Was bisher geschah: Der Bessie Ralf Sotscheck hat drei Flaschen irisches Bier mitgebracht, die ich weiterleiten sollte an den Wahrheit-Autor Michael Rudolf, der an einem Bier-Lexikon arbeitete. Doch dann entdeckte ich die 13-jährige Nachbarstochter in ihrer völlig zerstörten Wohnung.

"Aramana, Aramana, ich weiß es genau!", schrie Lisa und schlug wild mit den Armen um sich. Ich warf mich auf das Mädchen und zwang sie auf eine Couch. Um sie ruhigzustellen, brauchte es mein ganzes Gewicht. Ihre Augen rollten nach hinten und vorn. Blut lief an ihren dünnen Beinen herab. Immer wieder kreischte sie: "Aramana, Aramana, ich weiß es genau!" Was immer es auch bedeutete, eins wusste ich jedenfalls: Sie hatte eine Überdosis genommen von was auch immer.

Endlos lange fünfzehn Minuten später stiefelten zwei Sanitäter zur Tür herein. Die Fremden schienen Lisa noch einmal anzustacheln. Wütend bäumte sie sich gegen mich auf. Ich drückte sie zurück, langsam wurde sie ruhiger. "Sie haben sie doch im Griff. Am besten bringen Sie die Kleine runter", erklärte einer der Sanitäter, und tatsächlich gelang es mir, sie unbeschadet in den Rettungswagen zu tragen. Wohin sie mit ihr fuhren, durfte ich nicht erfahren. Ich war kein Angehöriger. Aber wo war eigentlich ihre Mutter?

Die Nacht über hatte ich nicht geschlafen. Ständig hatte ich gehorcht, ob Lisas Mutter heimkäme, die vermutlich ausgegangen war. Doch bis zum Morgen tauchte sie nicht auf. Es dauerte eine Weile, bis ich herausfand, dass sie zu einem Kurzurlaub in den Süden gefahren war und Lisa zum ersten Mal allein zu Hause gelassen hatte. Lisa aber hatte sich Pilze besorgt, die sie vor dem Schlafengehen eingeworfen hatte, wie an den Resten neben dem Bett unschwer zu erkennen war.

Es verging ein halber Tag, bis ich Lisas Mutter irgendwo in den Alpen ausfindig machte, und es dauerte noch einmal zwölf Stunden, bis sie völlig erschöpft von der Autofahrt vor meiner Tür stand. Unterwegs hatte sie selbst herausbekommen, wo ihre Tochter war, kurz hatte sie die Kleine in einer Klinik besuchen dürfen. Jetzt saß sie mit ihrem Freund in der Küche, und beide sahen aus, als ob sie direkt aus einer Gruft heraufgestiegen wären. Sie wollten die ganze grauenhafte Geschichte hören, doch dafür brauchte es etwas zur Beruhigung - nur was? Die Ereignisse hatten dafür gesorgt, dass der Kühlschrank leer war. Nur drei Flaschen irisches Bier lagen gut gekühlt im Fach. Wir köpften sie.

Durst hätte ich gehabt, erklärte ich später Ralf Sotscheck und Michael Rudolf, und beide schäumten. Nie klärte ich den wahren Grund des Bierverlustes auf, weil manchmal die einfachen Erklärungen die besten sind. Die dunklen Wolken des Grolls aber zogen schnell vorüber. Mittlerweile jedoch ist Michael Rudolf tot, und ich bedauere es sehr, ihm nie alles erzählt zu haben. Er hätte es verstanden. Dem Bessie Ralf Sotscheck eine Lektion wegen seines Beutetriebs machen zu wollen, und das auch noch auf Kosten eines Freundes, das war eine planetarische Dummheit. Fast so dumm wie nachts vor dem Schlafengehen alleine ein paar Pilze einzuwerfen. Wenigstens hat die Kleine es unbeschadet überstanden. Wer oder was "Aramana" war, daran konnte sie sich allerdings nicht mehr erinnern.

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