Bedingt Regierungsbereit: Hindernis Westerwelle

Eigentlich sind die gesellschaftlichen Verhältnisse günstig für die FDP. Warum gelingt es der Partei trotzdem nicht, davon zu profitieren?

Wo früher mal Scheel (r.), Dahrendorf und Dehler waren ist heute nur noch Westerwelle (l.). Ein Problem. Bild: dpa

Es sind goldene Jahre für die Liberalen. Eigentlich jedenfalls. Die frühliberalen Ziele der Individualität, Autonomie und Mündigkeit erleben mit der Erosion der fordistischen Industriegesellschaft - auf viel breiterer gesellschaftlicher Basis denn je - unzweifelhaft eine Wiedergeburt. Die großen Unterstützungsorganisationen für die Volksparteien, die Gewerkschaften und Kirchen, schmelzen dahin. Die bürgerliche Mitte hingegen dehnt sich aus. Der Trend zur Selbständigkeit nimmt zu. Die Deutschen sind in den letzten zwei, drei Jahrzehnten gebildeter geworden, auch toleranter, weltgewandter, kurzum: liberaler.

All das offeriert den Freidemokraten die besten Möglichkeiten. Wie gesagt: eigentlich. Doch braucht eine liberale Partei, die solche famosen Chancen nutzen möchte, strahlungsfähige Persönlichkeiten in ihrer Führung. Die FDP aber hat nur Guido Westerwelle. Und darin liegt, wie Wolfgang Gerhardt mit Recht moniert, das Problem der Partei. Denn die deutschen Liberalen haben immer in erster Linie von einer Vielzahl an oft ganz unterschiedlichen Köpfen gelebt, von tüchtigen, wirtschaftlich erfolgreichen, oft sehr gebildeten Honoratioren. In Sachen Organisation konnten sie mit ihren Konkurrenten nicht mithalten. Insofern war bei ihnen der Faktor Persönlichkeit entscheidend. Nach dem Krieg lebte die FDP von der Reputation Theodor Heuss, vom rechtsstaatlichen Feuer Thomas Dehlers, von der rechten Bürgerlichkeit des Ritterkreuzträgers Erich Mende. Sie profitierte von brillanten Außenseitern wie Ralf Dahrendorf oder Werner Maihofer, vom außenpolitischen Ansehen Walter Scheels oder Hans-Dietrich Genschers, von der wirtschaftspolitischen Kompetenz des Otto Graf Lambsdorff.

42 Jahre lang war die FDP an verschiedenen Bundesregierungen beteiligt, länger als jede andere Partei in der Bundesrepublik. Nach einem Tief im Herbst 1994, als sie nur noch in 4 Landtagen vertreten war, sitzt sie gegenwärtig in 12 von 16 Landtagen und ist in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen an von der CDU geführten Regierungen beteiligt. Ihr bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erreichte die FDP 1961 mit 12,8 Prozent, ihr schlechtestes 1969 mit 5,8 Prozent. 2005 kam sie auf 9,8 Prozent. Die FDP hat 65.000 Mitglieder; 1981 waren es noch 86.500.

Doch diesen Typus gibt es in der FDP kaum noch. Das hat viel damit zu tun, dass der von den Neuliberalen umworbene Typus des dynamischen Wirtschaftsbürgers immer seltener in die Politik geht. Für diese ist die Politik mit ihren vielen Kompromissmechanismen nicht die verlockende Arena, die ihnen Entfaltung für potentes Gebaren bietet. Insofern haben sich die Erfahrungswelten des bürgerlichen Lagers in der Politik von denen des Bürgertums in der Ökonomie abgekoppelt. Den Wirtschaftsbürgern von heute mangelt es an der Passion für träge stationäre gemeinschaftliche Einrichtungen. So wächst nicht mehr nach, was die Freien Demokraten dringend benötigen: eine neue liberale Führungsschicht in der Politik.

Dieser Elitenverlust der FDP wurde zur Chance des Guido Westerwelle, der die Freien Demokraten auf sich zuschnitt. Ein Liberaler, ein selbständiger Honoratior war Westerwelle nie. Er hatte Karriere als klassischer Parteifunktionär gemacht und sich vom Jugendvorsitzenden zum Parteichef gedient. Auch sein binäres Weltbild war typisch für einen Parteifunktionär: Alles war bei ihm entweder schwarz oder weiß, faul oder fleißig, marktwirtschaftlich oder staatswirtschaftlich.

So ist es bis heute. Und so ist er das Haupthindernis für die Regierungsfähigkeit der Liberalen. Natürlich ist der Partei- und Fraktionsvorsitzende ambitioniert. Sein Ehrgeiz, auch seine Zielstrebigkeit und Arbeitsenergie beherrschen das Klima seiner Partei. Gleichwohl ist Westerwelle ein notorischer Oppositionspolitiker und daher recht untypisch für die deutschen Liberalen. Selbst als die FDP noch Bundesminister stellte, liebte Westerwelle als Chef der Jungliberalen, später als Generalsekretär nicht die gouvernementale Ansprache, sondern die schneidige oppositionelle Attacke.

Denn Westerwelle sah sich bereits als Jugendlicher im Kontrast zum dominierenden Zeitgeist, zu all den Ökos, Friedensbewegten und Alternativlern unter seinen Mitschülern, den 68ern unter seinen Lehrern. Seither trägt er ein fixes Feindbild vor sich her: die Grünen. Trotz aller Verbürgerlichung, die die Grünen durchlebt haben, bestehen sie für Westerwelle immer noch aus all den verachtenswerten Menschen, die nach einem 21 Semester dauernden, unabgeschlossenem Soziologiestudium eine nach A 15 bezahlte Festanstellung als Schmetterlingsbeauftragte der Stadt Freiburg anstreben.

Diese sozialisationsbedingten Neurosen lähmen die FDP. Denn in einer Koalition jenseits des Bündnisses aus Union und SPD müssten, so wie die Dinge derzeit und absehbar liegen, müssten beide, Grüne wie FDP, beteiligt sein. Das wäre eine enorm komplizierte Allianz, die gegenwärtig weder bei den politischen Eliten noch bei den Wählern Vorfreude auslöst. Vielmehr hat man den Eindruck, dass Grüne und FDP kaum miteinander können.

Insofern müssten Parteiführer, die koalitionsstrategisch denken, nach "gemeinsamen Vorräten" suchen und diese deklamatorisch vielleicht zwar nicht zu einem historischen Projekt, so doch zu einer gemeinsamen politischen Aufgabe erklären. Dass da gerade auf dem Gebiet der Innen- und Rechtspolitik sich einiges bündelt, was Grüne und Liberale verknüpfen könnte, ist durch zahlreiche Erhebungen empirisch präzise bewiesen, aber politisch bislang nicht zum Ausdruck gebracht. Tatsächlich stehen sich grüne und freidemokratische Anhänger bei mehreren "Überbau"-Problemen auffällig nahe. Die sozialen und ökonomischen Gemeinsamkeiten im oberen Drittel der bundesdeutschen Einkommenshierarchie bilden ein beachtliches Fundament affiner Einstellungsmerkmale in Fragen der Kultur, des Zusammenlebens, auch in der Rechts- oder der Migrationspolitik. In all diesen Fragen könnten Grüne und Gelbe ohne große Querelen politisch fraternisieren - und eine Phalanx aufgeklärter Rechtsstaatlichkeit gegen die Demagogie des hessischen Ministerpräsidenten bilden.

Selbst in der Sozialstaatlichkeit sind, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, die früheren fundamentalen Gegensätze in den Überzeugungen der Anhängerschaften zurückgegangen. Neuere Expertisen illustrieren, dass sich auch die sozial arrivierten Wähler der Grünen aus der von den Volksparteien jüngst neubegründeten Wohlfahrtsstaats-Allianz sukzessive fortbewegen. Postmaterialisten und Sympathisanten der Grünen treten jedenfalls am wenigsten aus der bundesdeutschen Bevölkerung dafür ein, soziale Leistungen künftig noch stärker auszuweiten. Und die Wähler der Grünen können sich - hier mit den besserverdienenden Verwandten von der FDP auf gleicher Wellenlänge - weit weniger als die Wähler der Union, der SPD und der Linken mit der Forderung anfreunden, dass der Staat für ein gutes Auskommen bei Not und Alter zu sorgen hat.

Nun gibt es Freidemokraten, die die alten Lagerformationen überwinden wollen, die sie machtpolitisch begrenzen. Der Parteiführung aber fehlt es an historischem Bewusstsein, Weitblick und Fantasie dafür. Trotz des Omnipotenzgebarens ihres Vorsitzenden fehlt es ihr an Führungsqualität.

Der Autor ist Politikwissenschaftler an der Uni Göttingen.

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