Kommentar Wahlen in Taiwan: Pekings Zurückhaltung zahlt sich aus

Chinas Sensibilität im Umgang mit Taiwan hat mit dazu beigetragen, dass die Insulaner sich nicht mehr gemüßigt fühlen, den Befürwortern der Unabhängigkeit zum Wahlsieg zu verhelfen.

Vor zwölf Jahren feuerte Peking Raketen in die Gewässer rund um Taiwan. Der Grund: Man wollte den Taiwanern Angst einflößen, damit sie nicht den Unabhängigkeitsbefürworter Lee Teng-hui zum Präsidenten wählten. Sie taten es trotzdem, gerade weil Peking sie ärgerte. Und sie wählten in den Jahren 2000 und 2004 mit Chen Shui-bian erneut einen Unabhängigkeitsbefürworter - diese Male auch ohne Raketenbeschuss. Immer leiser wurde die Kritik Chinas an der taiwanischen Demokratie in den vergangenen Jahren. Das zahlt sich heute für Peking aus. Die jetzige Wahlniederlage der Partei Chen Shui-bians bei den Parlamentswahlen nimmt den Wahlsieg der nationalistischen Kuomintang-Opposition bei den Präsidentschaftswahlen im März praktisch vorweg.

Die Kuomintang hat noch nie Taiwans Unabhängigkeit angestrebt. Sie hat vor 60 Jahren den Bürgerkrieg mit den Kommunisten gekämpft und verloren. Sie hat sich dann auf die Insel zurückgezogen, sich aber immer als gesamtchinesische Partei verstanden. Noch heute rekrutiert sich die Elite der Partei aus den nach dem Bürgerkrieg ausgewanderten, vom Festland stammenden Familien. Solange Chen diese Eliten als diktatorische Invasoren stigmatisierte, die sie eine Zeit lang tatsächlich gewesen waren, hatte seine Partei innenpolitisch auf Taiwan gepunktet. Doch inzwischen scheinen die Taiwaner der Feindbilder Chens gründlich überdrüssig. Das hat auch mit den vielen Skandalen um die Veruntreuung von Steuergeldern in der Familie Chens zu tun. Der Hauptgrund aber ist, dass die Taiwaner heute die Loskoppelung vom chinesischen Wirtschaftswachstum mehr fürchten als eine Invasion der Volksarmee.

Wandel durch Annäherung - die alte Formel sozialdemokratischer Entspannungpolitik ist heute auch das Pekinger Konzept für den Umgang mit Taiwan. Sie ist aber nicht nur in Taiwan erfolgreicher als die Raketentaktik, sondern auch in den USA. Seit den 50er-Jahren, als es fast zum Krieg kam, war Taiwan der größte Krisenherd zwischen Peking und Washington. Jetzt erscheint dieser Krisenherd dauerhaft entschärft.

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Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.

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