Universität & Chancengleichheit: Die doppelt bürokratisierte Uni
Die dominante staatliche Bildungspolitik nimmt die Unis wieder in ihren Dienst. Seit Arbeiterkinder zuhauf umsonst studieren wollen, funktioniert das alte Modell nicht mehr.
Die Lage an den Universitäten ist unübersichtlich geworden. Sie werden wie der Teufel reformiert, es gibt frisches Geld für die ausgezehrten Hochschulen - aber eben nicht für alle. Elite geht jetzt vor, Elitezuschüsse gibts nur für wenige. Gleichzeitig werden neue Bachelor- und Master-Studiengänge eingeführt, und die Studierenden müssen für ihren Qualifikationsgewinn bezahlen. Um zu verstehen, was Uni heute ist, muss man streiten. Martin Kaul hat damit am 19. Dezember begonnen - er geht von einer Ökonomisierung der Bildung aus. Wer mit Kaul und Dirk Baecker (siehe oben) ringen will, der soll das tun. Manuskripte mit maximal 6.000 Zeichen bitte an: uniheute@taz.de
Über den sogenannten Bologna-Prozess erhalten Studierende vorgeblich bessere Chancen. Sie sollen mit studierbaren Programmen wie Bachelor und Master ihr Studium sicherer und schneller abschließen können. Die Politik fördert darüber hinaus mit Exzellenzinitiativen die universitäre Spitzenforschung - und bittet gleichzeitig die Studierenden über Studiengebühren zur Kasse. Die Gleichzeitigkeit dieser Prozesse wächst manchem über den Kopf. Martin Kaul sieht einen "Ausverkauf" und befürchtet in der taz die "Ökonomisierung" eines einst intrinsisch motivierten Bildungsinteresses. Diese Analyse greift zu kurz. Sie übersieht die zentrale Rolle der staatlichen Bildungspolitik. Sie ist so dominant, dass man statt von einer Ökonomisierung auch von Etatisierung der Bildung sprechen muss. Der Staat nimmt die Unis erneut in seinen Dienst - obwohl er sie doch freizugeben behauptet.
Es ist nicht zu leugnen, dass sich diese neuerliche Etappe in der Verstaatlichung der Bildung auf wirtschaftliche Zwänge und der Beteiligung der Nutznießer (Studierende u. a.) an den Kosten beruft. Aber das heißt noch lange nicht, dass genau die Effizienz-Maßnahmen auch den gewünschten wirtschaftlichen Erfolg haben werden. Wie so oft hat man auch hier eher den Eindruck, dass die Verwendung der Sprache des Managements eine Modernität der Bildungspolitik signalisiert - die im gleichen Zuge durch den bürokratischen Modus dieser Politik auch schon wieder verspielt wird.
Die Lage ist denkbar verwickelt. Die Humboldt-Universität, darauf hat der Universitätsforscher Rudolf Stichweh hingewiesen, verdankt ihren Erfolg weniger der Freiheit von Forschung und Lehre als vielmehr dem staatlichen Bedarf an der Ausbildung von Beamten und Lehrern. Es war ein Glücksfall, dass die zu Beginn des 19. Jahrhunderts durchaus noch eher windigen Naturwissenschaften diese staatlichen Einrichtungen als Ort für ihre Grundlagenforschung entdeckten. Der Staat ergriff rasch die Chance, diese Grundlagenforschung mit einem "Heiligenschein" auszustatten, der auch für die Autoritätsansprüche der Beamten und Lehrer fruchtbar gemacht werden konnte. Die Industrie zeigte stets Interesse an Physik, Chemie und Biologie. Das stellte sicher, dass der Staat seinen finanziellen Aufwand in diesem Bereich jederzeit als indirekte Maßnahme der Industrie- und Technologiepolitik rechtfertigen konnte.
Die Humboldt-Universität konnte bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein damit rechnen, dass ihr die Absolventen vom Staat (Schulwesen und Verwaltung) und der Industrie abgenommen wurden. Das rechnete sich so gut, dass man lange Zeit kaum nachrechnen musste. Nur war die Grundlage für den Erfolg der Humboldt-Universität eine fast feudale Ordnung sozialer Schichten. Der gehobene Mittelstand profitierte von den Mobilitätschancen der universitären Ausbildung. Weder der alte Adel noch der neue Geldadel interessierten sich angesichts eines Universitäts-Abonnements dafür. Und das Proletariat konnte sich gar nicht vorstellen, dass das Lesen von Büchern etwas mit Arbeit zu tun haben kann. Diese Konstellation ist zerbrochen, ein neues und tragfähiges Modell gibt es nicht.
Der bürgerliche Mittelstand sicherte sich mit Hilfe der Universität den eigenen ökonomischen Erfolg. Deren Finanzierung allerdings besorgten alle steuerzahlenden Schichten. Seit auch die Kleinbürger und Arbeiter von diesem Modell profitieren wollen, funktioniert es nicht mehr. Hinzu kommt, dass auch die Schulen nicht mehr so funktionieren wie einst. Auch in der Industrie scheitert die Arbeitsteilung zwischen planenden Ingenieuren und ausführenden Arbeitern an den Turbulenzen kundenorientierter Märkte. Diese Einflüsse zusammengenommen versteht man, dass das alte Geschäfts- und Kulturmodell der Humboldt-Universität bis ins Mark getroffen sein muss.
Vor diesem Hintergrund muss man fragen: Wer hat welches Interesse an den Absolventen der Universitäten? Wie groß ist das Interesse der Allgemeinheit, Stätten wissenschaftlicher Forschung und Lehre zu finanzieren? Wie groß das Interesse, dabei Kollektivgüter zu produzieren, deren Kosten individuell nicht getragen werden können und deren Gewinn individuell nicht exklusiv angeeignet werden kann?
Die aktuelle Hochschulpolitik tut so, als könne eine Bürokratie in Brüssel und anderen Hauptstädten Europas diese Fragen nicht nur entscheiden, sondern auch verwalten. Die Figur des Wettbewerbs führt dabei zu widersprüchlichen Ergebnissen. Dass die Konkurrenz zum einen nicht schädlich sei - zum anderen jedoch verhindert werden muss, dass einzelne Universitäten benachteiligt werden (als gäbe es einen Wettbewerb ohne Verlierer). Der dominante Zug der aktuellen Hochschulpolitik ist eine Bürokratisierung von Forschung und Lehre. Sie tut so, als würde man sich auf neue Problemstellungen einstellen, streicht zugleich jedoch fast jede Chance, den Problemen so auszuweichen, dass sie tatsächlich gelöst werden können. Man sollte deswegen andere Modelle fördern. Modelle, in denen nach Wegen gesucht wird, die Bereitschaft von Studierenden, für ihre Bildung Gebühren zu bezahlen, zu koppeln mit der Bereitschaft von Bildungsmärkten, die Ergebnisse eines Studiums zu honorieren. Dies müsste auf eine Art und Weise geschehen, die auf der Seite der Studierenden und der möglicher Arbeitgeber Selektionschancen sicherstellt. Nicht nur die Uni muss wählen können. Nur der Student, der eine Wahl hat und sie zu nutzen weiß, hat eine Universität absolviert, die diesen Namen verdient. Der Blick für solche Modelle ist durchaus vorhanden. Aber er wird durch ein Kohortenprinzip zunichte gemacht, in dem unter fragwürdigen Vorwänden nur eine "Elite" vom Zwang ausgenommen wird, im Gleichschritt der sogenannten internationalen Vergleichbarkeit zu marschieren.
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