Wahl-Debakel in Hessen: CDU rechnet mit Koch ab

"Fehler","Wahlkampfpopulismus", "übers Ziel rausgeschossen", "nicht der richtige Ton": In der Union wird die Kritik am Wahlkampf des hessischen Ministerpräsidenten Koch immer heftiger.

"Glaubwürdigkeitsdefizit": Roland Koch gerät in der CDU zunehmend ins Abseits Bild: dpa

FRANKFURT AM MAIN ap/dpa Der Streit über den Wahlkampfstil des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch nimmt innerhalb und außerhalb der CDU an Schärfe zu. Am Donnerstag distanzierten sich mit dem brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm, dem Außenpolitiker Ruprecht Polenz und dem Kölner OB Fritz Schramma mehrere CDU-Politiker offen von Kochs Äußerungen über Jugendkriminalität und Ausländer im hessischen Landtagswahlkampf. Mehrere Unterzeichner eines offenen Briefs zur Integrationspolitik betonten dagegen, sie hätten mit dem Schreiben keine Kritik an Koch üben wollen.

"Koch hat Fehler gemacht", sagte Schönbohm im Südwestrundfunk. Die starke Polarisierung habe dazu geführt, dass die Gesprächsfähigkeit zwischen den Parteien nach der Wahl sehr eingeschränkt sei. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Polenz, sagte im Bayerischen Rundfunk: "Ich glaube, dass auch mancher Zungenschlag im hessischen Wahlkampf übers Ziel rausgeschossen ist." Die Integrationspolitik dürfe nicht "durch Wahlkampfpopulismus gefährdet werden, egal von wem er kommt". Sie käme am besten voran, wenn sie möglichst außerhalb des unmittelbaren Parteienstreits stattfinde.

Der Kölner Oberbürgermeister Schramma sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger" zum hessischen Wahlkampf: "Roland Koch hat erfahren, dass das nicht der richtige Ton war. Die Wähler haben das entsprechend quittiert." Polenz und Schramma gehören zu den 17 Unionspolitikern, die in der "Zeit" einen offenen Brief zum Thema Integration veröffentlichten. Polenz wies darauf hin, dass es sich um eine Antwort auf das Schreiben von 21 Deutsch-Türken in der Wochenzeitschrift gehandelt habe.

Von den Mitunterzeichnern versicherten CDU-Präsidiumsmitglied Friedbert Pflüger und die bayerische Sozialministerin Christa Stewens, der Brief sei keine Distanzierung von Koch. "Das ist keine Korrektur von Koch, sondern allenfalls eine Ergänzung", sagte Pflüger in Berlin. Prävention sei wichtig, "es ist aber auch wichtig, zu strafen". Deswegen gehe es nicht darum, Koch zu korrigieren, sondern nach vorne zu blicken

Die CSU-Politikerin Stewens erklärte: "Der Brief ist eine Zwischenbilanz der Integration und nicht eine Rückschau auf die Vorwahlzeit in einem einzelnen Bundesland." Ähnlich äußerte sich der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet, der ebenfalls zu den Unterzeichnern gehört, im Westdeutschen Rundfunk.

In dem Schreiben heißt es unter anderem: "Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zum Wahlkampfthema degradiert werden darf." Das war als Kritik an Koch interpretiert worden.

Die CSU-Politiker Horst Seehofer und Peter Ramsauer sowie der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach kritisierten die Unterzeichner des Schreibens. Statt offene Briefe zu schreiben, sollte man Kritik hinter verschlossenen Türen anbringen, sagte Vizeparteichef Seehofer dem "Münchner Merkur". Der Landesgruppenvorsitzende Ramsauer sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", er hätte den Brief nicht unterschrieben und teile auch nicht die Ansicht, dass Integrationspolitik über Jahrzehnte verschlafen worden sei.

Der stellvertretende Unionsfraktionschef Bosbach fragte im Sender N24, warum man Integrationspolitik degradiere, wenn man sie zum Wahlkampfthema mache. Koch habe nur die gemeinsame Linie der Bundespartei und der CDU/CSU-Fraktion vertreten.

Grünen-Parteichefin Claudia Roth erklärte in Berlin, wer Koch sage müsse "auch K wie Kanzlerin sagen". Bundeskanzlerin Angela Merkel habe schließlich den ausländerfeindlichen Wahlkampf Kochs bis zuletzt unterstützt und damit der Integrationspolitik schweren Schaden zugefügt.

Selbst die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung sieht die Schuld für das Wahl-Debakel von Roland Koch bei diesem selbst. Die hessische CDU habe einen stark polarisierenden Wahlkampf geführt und damit Wechselwähler vergrault, schrieb die Stiftung in Berlin in einer Analyse. "Das Thema Jugendgewalt stieß auf große Resonanz, die politischen Lösungsansätze überzeugten weniger." Dies habe zu einem "Glaubwürdigkeitsdefizit" für die CDU und letztlich zu den Stimmenverlusten von zwölf Prozentpunkten geführt.

Die Debatte um die Jugendgewalt habe zu einer "kurzfristigen Emotionalisierung" geführt. "Vor dem kurzfristigen Stimmungsumschwung im Meinungsklima war im längerfristigen Trend eine Mehrheit für das bürgerliche Lager in Hessen erkennbar", hieß es. Zahlreiche frühere CDU- und FDP-Wähler seien nicht zur Wahl gegangen, während die SPD Stimmen von CDU, Grünen und von Nichtwählern angezogen habe.

"Herausgekommen ist ein schwer zu interpretierender Auftrag zur Regierungsbildung", schrieb die Adenauer-Stiftung. Wegen des knappen Vorsprungs von einem Zehntel Prozentpunkt vor der SPD beansprucht die CDU in Wiesbaden den Regierungsauftrag weiterhin für sich.

Das Thema Jugendkriminalität sei von den Wählern als wichtig anerkannt worden. Doch die Versäumnisse beim Umgang damit in Hessen hätten auch einen Schatten auf andere Politikfelder wie Wirtschaft und Arbeitsplätze geworfen, die Kompetenzwerte der CDU seien gesunken. In der Bildungspolitik sei die Kompetenz der SPD vom Bürger höher eingestuft worden. Koch habe gegen Ende des Wahlkampfs nicht mehr von einem Amtsbonus profitieren können.

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