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UrteilBrandenburg ist sittenwidrig

Enteignung wie zu DDR-Zeiten: Bundesgerichtshof verurteilt Potsdam, Bodenreformland-Erben um ihren Nachlass geprellt und sich Grundstücke stillschweigend übertragen zu haben. Speer unter Druck.

Wer ein Grundstück in Brandenburg besitzt, sollte sich drum kümmern - wie dieser Mann in Waltersdorf. Sonst gehört es nachher plötzlich dem Land. Bild: AP

Es ist starker Tobak, was der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe da in Richtung Potsdamer Landesregierung geblasen hat. Das SPD-Ministerium für Finanzen läuft seither quasi blau an, angesichts des schlechten Zeugnisses für das Land. Frischluft fächelte am Donnerstag nicht einmal der Koalitionspartner CDU zu. Innenminister Jörg Schönbohm legte sogar noch nach und sprach davon, "beschämt und betroffen" angesichts der Chose gewesen zu sein. Geht es doch um den harschen Vorwurf, das Bundesland enteigne seine Bürger wie zu besten SBZ- oder DDR-Zeiten.

Was war geschehen: Die Erben von Bodenreformbauern aus Genschmar (Märkisch-Oderland) hatten sich lange nicht um die ihnen zustehende Nachlassmasse gekümmert. Eher zufällig erfuhren sie dann, dass ihr Erb-Grundstück sich nicht in ihrem, sondern im Besitz des Landes Brandenburg befand. Seit 2002 war das Land als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Es hatte die betroffenen Erben - zwei Brüder - stillschweigend enteignet.

Die Erben klagten gegen die Regierung in Potsdam vor dem Oberlandesgericht und schließlich beim BGH. Bezweifelten sie doch, dass sich Brandenburg den Grundbesitz hätte übertragen dürfen - nur weil es sich um Bodenreform-Grundbesitz handelte und Erbberechtigte - so das Land - nicht bekannt waren.

Die Kläger bekamen nicht nur Recht: Das Land Brandenburg, so poltert der Bundesgerichtshof in dem jetzt veröffentlichten Urteil, hat sich bei der Enteignung der Erben von Bodenreformland "sittenwidrig" verhalten. Und mehr noch, schimpfen die Richter, habe Brandenburg sich auf eine Art und Weise Grundstücke unter den Nagel gerissen, "die nachhaltig an die Praxis der Verwalterbestellung der DDR erinnert". Das sei "eines Rechtsstaates unwürdig". Denn die Grundstücke seien "unabhängig von dem Bestehen eines Erwerbsanspruches ihrem Eigentümer entzogen werden".

In Schwierigkeiten ist die zuständige Finanzbehörde von Rainer Speer jetzt, weil sie sich dem Vorwurf der DDR-Zustände ausgesetzt sieht und nur unzureichend nachweisen kann, auf welcher Grundlage und in welcher Form sie die "kalte Enteignung" vorgenommen hat.

Angesichts einer Verjährungsfrist im Jahr 2000, sagt Ingo Decker, Sprecher im Hause Speer, habe das Land vor der Entscheidung gestanden, ob es Ansprüche auf Grundstücke erhebt, deren Erben oder Eigentümer unbekannt waren. In diesem Fall habe der Landkreis das Land zum gesetzlichen Vertreter des zu dem Zeitpunkt "unbekannten Eigentümers" bestellt - was fragwürdig klingt, wohnten doch die Brüder unter der Anschrift des verstorbenen Vaters.

Problematisch könnte es für Speer und die Landesregierung auch werden, weil dieser Fall wahrscheinlich weitere Klagen nach sich zieht und es dann um Entschädigungssummen geht: "Wir haben vor dem Bundesgerichtshof Schiffbruch erlitten", so Decker, "jetzt haben wir ein Problem." Denn dies "ist kein Einzelfall". Am heutigen Freitag werde der Finanzminister mit Fachleuten über mögliche Konsequenzen aus dem Urteil beraten. Wie viele Grundstücke es tatsächlich sein könnten, müsse geprüft werden. Dann erst könne geklärt werden, was mit übertragenem Bodenreformland geschehe.

Schönbohm jedenfalls fordert eine "lupenreine" Aufklärung. Den Fall müsse vor allem das Finanzministerium aufarbeiten, aber auch im Innenministerium werde geprüft, was eventuell schiefgelaufen sei. In Berlin, sagte Kristina Tschenett, Sprecherin der Finanzverwaltung, gebe es keine vergleichbaren vermögensrechtlichen Fälle. Ostberlin war nach 1945 nicht in die Bodenreform involviert.

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