Für mehr Frauen-Power im Netz: Blogs statt Bikinibilder
Nirgendwo ist die Chance auf Gleichberechtigung so groß wie im Internet. In Deutschland müssen Frauen endlich damit anfangen, sie auch wirklich zu nutzen.
Mal ehrlich: Neben Zara-Filialen, kulturwissenschaftlichen Seminaren und Hockeyvereinen gibt es auch im 21. Jahrhundert kaum Interaktionsräume, die sich das männliche Geschlecht nicht mehr oder weniger unter den Nagel gerissen hat. Selbstverständlich machen Frauen Fortschritte. Doch obwohl die meist von eher langsamer Natur sind, passieren sie doch oft nur um den Preis eines mühsamen Eroberungskampfs: Das öffentliche Territorium ist seit langem verteilt.
Das Internet gehört zu den wenigen Sphären, in denen sich Frauen und Männer theoretisch gleichberechtigt aufhalten können. Die körperlichen Verhältnisse - Formen, Kraft, Stimmlage - die in der Realität zu einer Aufteilung und Gegenüberstellung der Geschlechter führen, treten in den Hintergrund. Jeder kann heute auf einer virtuellen Ebene seine Geschlechtszugehörigkeit und auch andere Aspekte seiner Identität beliebig ändern, ohne dass es irgendwer bemerken würde. Strukturelle Diskriminierung findet im Netz bisher kaum statt. Die Machtverhältnisse dort sind bei weitem nicht so stark gefestigt wie in Wirtschaft oder Politik.
Frauen haben, zumindest in den meisten Teilen der westlichen Welt, denselben Zugang zum Internet wie Männer auch: In Deutschland ist laut ARD-Online-Studie knapp die Hälfte der 40,8 Millionen regelmäßigen Nutzer weiblich. Das Netz ist also ein Gebiet, auf dem Frauen theoretisch nicht um ihre Gleichberechtigung kämpfen müssen. Die Möglichkeiten, kulturelle Muster und damit auch die traditionelle Rollenverteilung der Geschlechter zu durchbrechen, sind hier optimal. Vor allem, wenn man bedenkt, dass all die nutzerfreundlichen Web-2.0-Anwendungen eine besonders individuelle und autonome Selbstdarstellung ermöglichen. Allen Voraussetzungen nach könnte das Internet also so etwas wie ein feministisch-gleichberechtigtes Paradies darstellen. Doch wenn man sich um Internet umsieht, scheint die Entwicklung gerade eher in die umgekehrte Richtung zu laufen. Und das liegt leider an den Frauen selbst.
Reden wir über Social Networking. Websites wie MySpace, Facebook oder StudiVZ sind extrem populär. Vor allem unter Dreißigjährige nutzen diese praktischen Einrichtungen, um Leute kennen zu lernen, mit Freunden in Kontakt zu bleiben oder, wie bei MySpace, auch nach neuer Musik zu suchen. Elementarer Bestandteil dieser Netzwerke sind natürlich die individuellen Profile, deren Gestaltung mit Angaben über den persönlichen Geschmack, mehr oder weniger kultivierten Zitaten und Fotos eine Kunst für sich ist und nicht mehr und nicht weniger zeigt, als die Persönlichkeitsmerkmale, die die jeweiligen Nutzerinnen und Nutzer von sich der Öffentlichkeit vermitteln wollen.
Umso ermüdender ist es dann, wenn man beim Besuch solcher Seiten feststellt, dass die meisten jungen Frauen nichts weiter an sich hervorheben, als ihre Sexyhaftigkeit. Gerade die jüngeren Mädchen auf MySpace machen das, in dem sie sich in betont unterbekleideter und anzüglicher Manier präsentieren. Viele davon spielen auf sehr heterosexuelle Art mit angeblichen homosexuellen Neigungen, flirten sich gegenseitig geradezu aggressiv an, mit Gästebucheinträgen wie "Baby, du bist so heiß, ich will dich ausziehen" und sammeln solche Kommentare von Frauen wie Männern. Jeder Kommentar ist ein Punkt im Wettbewerb um Anerkennung.
Die älteren Mädchen bei StudiVZ oder Facebook sind zumeist der spätpubertären Sucht nach der eigenen Erotik entwachsen. Und doch zeigen sich auch hier viele Frauen in möglichst gefälligen Posen. Bikinibilder, Dirndldekolletés und massig Hüftknochen, Knackärsche und Schulterblätter füllen die Fotoalben der Netzwerknutzerinnen.
Nichts ist verwerflich daran, die eigene Attraktivität zu schätzen und zu betonen. Deprimierend ist die Ausschließlichkeit, mit der so viele das offenbar tun. Weil es schon ärgerlich genug ist, dass Frauen von den Medien zu oft auf ihr Aussehen reduziert werden, dass sie als schmückendes Beiwerk herhalten müssen und die Frauenmagazine ein lukratives Geschäft damit machen, genau diese Reduktion Woche für Woche auf Hochglanzpapier auszubreiten. Diese Selbstporträts als willige Hasen sind so frustrierend, weil sie in den seltensten Fällen zutreffen. Aber Frauen entscheiden sich im Netz selbst, sich getreu dem sexistischen Abziehbild darzustellen: als hübsche Fläche und heiße Kurven mit nichts dahinter.
Ein weiteres Geschlechterklischee halten viele netzaktive Frauen aufrecht: Das längst überholte Paradigma von dem Privaten als weiblicher Sphäre und dem Öffentlichen als männlicher Angelegenheit manifestiert sich in den Weblogs, jener anderen großen Web-2.0-Anwendung. Das haben Forscherinnen sowohl an der Ruhr-Universität Bochum als auch an der Universität Indiana und die Webaktivistin Dana Boyd in unterschiedlichen Studien festgestellt.
Nach wie vor tauchen in den Top 50 der deutschen Blogcharts - deren Zuverlässigkeit nicht unumstritten ist - so gut wie nie Webjournale von Frauen auf. Dabei stellen die nach einer Erhebung des Websoziologen Jan Schmidt von der Universität Bamberg 45 Prozent der Blogbetreiber. Für diesen Widerspruch gibt es eine einfache Erklärung: Frauen und Männer bloggen unterschiedlich. Männer verbreiten im Netz Nachrichten und persönlichen Auslassungen zu Themen wie Politik, Technik, Wirtschaft oder Sport. Frauen tendieren zu Themen, die nach traditionellem Verständnis eher im geheimen Tagebuch oder im Gespräch mit Freunden verhandelt werden: Gefühle, Gesundheit, Haushalt, meist aus einer persönlichen Perspektive. Klar ist das auch wichtig - aber der Informationswert für die Allgemeinheit ist da recht begrenzt. Es gibt keine Geschlechterdichotomie der Interessen. Frauen interessieren sich genau so für Politik oder Ökologie wie Männer und sind in gesellschaftlichen Bereichen ebenso engagiert wie diese. Trotzdem zeigen sie das kaum.
Der Blick in die US-amerikanische Blogosphäre zeigt - übrigens auch Männern - wie viel die Deutschen rein inhaltlich aufzuholen haben. So ist HuffingtonPost, das Nachrichtenportal der demokratischen Aktivistin Arianna Huffington, zu einem der wichtigsten alternativen Medien in den USA geworden. Huffington gründete den riesigen Blog vor zwei Jahren und lud Freunde und Prominente ein, dort für den Fortschritt im Land zu bloggen. Mittlerweile verzeichnet sie nach eigenen Angaben über 3 Millionen Besucher im Monat.
Die liberale Journalistin Amy Goodman und ihr Kollege Juan González haben mit democracynow.org ein Webpendant zu ihrer renommierten täglichen Rundfunksendung geschaffen. Goodman gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen des unabhängigen Journalismus in den USA. Ganz besonders effektiv operiert die junge feministische Szene in den USA mit dem Internet. Seiten wie feministing.com, feministe.us oder jezebel.com sind nur die berühmtesten Beispiele für Blogs junger, hipper Frauen, die nebenbei Feministinnen sind. Sie bilden ein dichtes, spannendes Netz aus Blogs, die sich untereinander austauschen und Frauen Raum geben, sich auszudrücken, Ideen zu sammeln und gemeinsam aktiv zu werden.
Im deutschsprachigen Raum lassen sich die bekannten feministischen Blogs an einer Hand abzählen: Sonja Eismanns Plastikmaedchen ist vor allem eine Sammlung von Texten der Autorin, der Maedchenblog ist eine schöne, genderwissenschaftlich sensibilisierte Seite, und der Genderblog wird vom Feministen Rochus Wolff geführt. Viel mehr gibt es derzeit noch nicht. Doch das kann innerhalb der nächsten Woche schon anders werden - weil jede und jeder heute einfach eine Seite starten und sich anderen Mitstreiterinnen und Mitstreitern dadurch bekannt machen kann.
Stars wie die Arctic Monkeys oder Lily Allen sind die bekanntesten Aushängeschilder für die Chancen, die das Web bietet. Sie machten sich erst in der virtuellen Welt einen Namen und wurden dann auch "in echt" bekannt. Warum sollte dasselbe Prinzip nicht auch für die Rechte und Möglichkeiten der Frauen gelten? Für den Feminismus bietet das Internet derzeit die größten Chancen. Die meisten Ungerechtigkeiten und Probleme, die speziell Frauen widerfahren, lassen sich nicht per Gesetzbeschluss beheben, sondern nur durch einen Einstellungswandel. Dafür kann man nicht auf die Straße gehen, um sich aufzuregen. Deswegen ist es für die moderne feministische Sache zunächst wichtig, dass sich Frauen und Männer wieder austauschen über ihr Geschlechterverständnis, dass sie sich informieren, und auch Spaß an der Sache haben.
Nirgends ist all das so einfach zu machen wie im Netz. Solange Frauen sich darauf konzentrieren, Niedlichbilder von sich hochzuladen, Jungs zu beeindrucken und über ihre Yogastunden zu schreiben, wird dabei allerdings nicht allzu viel herum kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz
+++ Nach dem Ende der Ampel +++
Habeck hat Bock
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Wirtschaftspolitik der FDP
Falsch und verlogen
Trumps Sieg bei US-Präsidentschaftswahl
Harris, Biden, die Elite? Wer hat Schuld?