Exil-Amerikaner wählen in München: Bayern geht an Obama
Sternenbanner, Anti-Nato-Mützen und Buffet - erstmals können demokratische Exil-Amerikaner auch in Deutschland an den US-Vorwahlen teilnehmen.
Dienstagabend in München - der weißhaarige Cowboy bekommt seine Augen kaum auf. Müde schaut er unter dem Hut mit der amerikanischen Flagge und der blinkenden grünen Lichterkette hervor. Seit vier Stunden sitzt der Cowboy schon hinter dem Tisch mit den Wahlformularen. In den USA, seiner Heimat, ist "Super Tuesday", der Tag mit den wichtigsten Abstimmungen in den amerikanischen Vorwahlen. Im fernen Bayern ist Faschingsdienstag.
Erstmals können dieses Jahr auch die im Ausland lebenden Amerikaner direkt an der Kandidatenkür teilnehmen - zumindest bei den Demokraten. München ist eine der acht deutschen Städte, in denen ihre Auslandsorganisation - die "Democrats Abroad" - Wahlurnen aufgestellt hat. Ein Sternenbanner weist den Weg in das Wahllokal im Kulturzentrum "Eine Welt Haus", einem Gebäude mit tristem Gemeindezentrums-Charme, an dessen Bar Anti-Nato-Mützen zehn Euro kosten. Gewählt wird heute in zwei Räumen. Stimmabgabe vorne, Büfett und Handzettel hinten. "Wir sind der 51ste Staat" steht auf den Broschüren.
Dieser Staat, das sind die sechs Millionen Amerikaner, die im Ausland leben und traditionell eher für die Demokraten stimmen. In München leben etwa 6.000 Exil-Amerikaner, davon sind 600 bei den "Democrats Abroad" registriert.
Wenn im August in Denver entschieden wird, ob Hillary Clinton oder Barack Obama für die Demokraten in den Wahlkampf zieht, haben die Auslandsamerikaner nur elf Stimmen. Elf von 4.049. Das ist zwar wenig, aber die "Democrats Abroad" sind ein Häuflein von Idealisten. Von der großen Mutterpartei werden sie fern der Heimat nicht unterstützt, sie leben von Spenden und T-Shirt-Verkäufen. Leider bleiben die Umsätze bei der Münchner Party mager, weil das einzige Shirt in Größe "M" der Verkäufer selbst trägt, sonst gibt es nur die Größen L bis XXL.
Eine der wenigen, denen die Wahl-T-Shirts passen, ist Alison Welles. Die füllige Frau aus New York lebt seit 1983 in Deutschland. Damals sang sie in der Oper, heute mag sie lieber Jazz, dirigiert einen Chor und nimmt Bluesplatten auf. Alison Welles hat ein Herz für die Schwachen und Verstoßenen. Sie hat einen ihrer Songs dem Explaneten Pluto gewidmet, weil der nach all den Jahren auf einmal zum ordinären Felsbrocken degradiert wurde. "Das ist so fies", sagt sie mit nur halb gespielter Entrüstung, "und das nur, weil er so klein ist." Wie alle Anwesenden ist Alison Welles überzeugte Demokratin und eine leidenschaftliche Gegnerin von George W. Bush. Sie sagt: "Was wir tun, kann etwas verändern", und sie erinnert an die Präsidentschaftswahl im Jahr 2000. Ein paar Stimmen weniger und Bush wäre vielleicht nie Präsident geworden. Diesmal sollen die Demokraten gewinnen, und dafür ist keine Abstimmung zu klein. Hauptsache Mehrheit - und vielleicht entscheiden dieses Mal ja gerade die paar Stimmen vom Rande des Vorwahluniversums.
Überhaupt geht es recht wenig um die Rivalen Obama und Clinton an diesem Abend und sehr viel mehr um die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. An der Vorwahl interessiert vor allem eine Frage: Wer ist der beste Kandidat, um die Republikaner zu schlagen? Viele der Anwesenden leben seit Jahren in Europa und beobachten die politische Situation zu Hause sehr kritisch. Denn sie haben erlebt, wie ihnen als Amerikaner statt Neugier und Achtung immer mehr pauschale Ablehnung entgegengebracht wurde. Wie der noch amtierende Präsident Bush das Image des Landes immer mehr schädigte - und deswegen nehmen einige die Möglichkeit wahr und gehen auch fern der Heimat wählen.
Drei Stunden hat die Münchner "Primary" gedauert. Während die Ergebnisse der Vorwahlen in den USA zum abendfüllenden Medienspektakel geworden sind, hält sich die Spannung bei der Münchner Auszählung in Grenzen. Nur noch sieben Demokraten sitzen um einen runden Tisch, trinken Wein und warten auf das Ergebnis. Der müde Cowboy hat den Hut mit der Lichterkette mittlerweile abgelegt. Langsam steht er auf, stapelt die Wahlzettel, legt seinen Stift zur Seite. Die mit Paketklebeband an der Wand befestigte US-Flagge faltet er fein säuberlich zusammen und steckt sie in seine Tasche.
Hundert Menschen haben abgestimmt: 58 Stimmen für Obama, 41 für Clinton, eine Stimme hat John Edwards bekommen, obwohl der eigentlich gar nicht mehr angetreten ist. "Obama ist charismatisch, er könnte die Wahl gewinnen", sagt Alison Welles mit einem Plastikbecher in der Hand. Nach einer Weile fügt sie noch hinzu: "Aber die Hauptsache ist, wir bekommen unser Land zurück."
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