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Streik im öffentlichen DienstTaktik und Getöse

Am Donnerstag beginnen Warnstreiks im öffentlichen Dienst. Ver.di gibt damit schon einen Vorgeschmack auf das, was auf das Land zukommen könnte: der große Streikfrühling.

Plastiksäcke und Trillerpfeifen ausgepackt: Verdi streikt wieder. Bild: dpa

Wie immer in Tarifkonflikten im öffentlichen Dienst ist das Getöse groß: "Rosstäuscherei" sei das Angebot der Arbeitgeber, wettert Ver.di-Chef Frank Bsirske, sie versuchten den Beschäftigten einen "Ackergaul als Rennpferd" zu verkaufen. Und Thomas Böhle, Chef der kommunalen Arbeitgeberverbände, keilt zurück: "Das ist Realitätsverweigerung - die Gewerkschaft will sich gar nicht ernsthaft einigen."

Der verbalen Dramatisierung wird ab heute eine andere folgen: Im öffentlichen Dienst kommt es überall in Deutschland zu ein- bis zweitägigen Warnstreiks. Betroffen sind öffentliche Einrichtungen von Bund und Kommunen, für deren Angestellte verhandelt wird. Es sind nur kleine Nadelstiche. Vorerst - denn den Warnstreiks, die die Tarifkommissionen von Ver.di und anderen Gewerkschaften wie Beamtenbund und GEW am Dienstagabend beschlossen haben, könnten längere Ausstände folgen. Nach drei ergebnislosen Verhandlungsrunden sind die Fronten betoniert. Die Arbeitgeber rücken nicht von ihrem Angebot ab: 5 Prozent mehr Lohn, verteilt auf zwei Jahre, außerdem eine stufenweise Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Stunden. Mehr sei nicht drin bei einer Verschuldung der Kommunen von 110 Milliarden Euro. Die Offerte bedeutet für die Beschäftigten real keinen Cent mehr - rechnet man die längere Arbeitszeit und die Inflationsrate gegen.

Auch die Gewerkschaft ist mit einer hohen Forderung eingestiegen: 8 Prozent mehr Lohn mit einer Laufzeit von nur einem Jahr, verknüpft mit einem Mindestaufschlag von 200 Euro. Ebenjener würde bei niedrigen Gehältern ein Plus von gut 15 Prozent ausmachen, hat Böhle ausgerechnet, der hauptberuflich Stadtrat von München ist. Für manche klamme Stadt würde dies die Personalkosten derart in die Höhe treiben, dass sie Leistungen an Privatfirmen vergeben würde, argumentiert Böhle. Kurz: Beide Seiten fordern für die 1,3 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen das Maximum.

Zwei weitere Verhandlungsrunden sind angesetzt, die nächste folgt am 25. Februar. Und die aktuellen Drohgebärden sind mit Vorsicht zu genießen. Hinrich Lehmann-Grube (SPD), der ehemalige Oberbürgermeister von Leipzig, war bei früheren Tarifkonflikten im öffentlichen Dienst als Schlichter tätig. "Die derzeitigen Angebote sind taktische Spielchen", sagt er der taz. "Sie sagen weder etwas über die Strategie der Verhandler aus noch etwas über ihre realen Ziele." Vorerst gehe es nur darum, vor der Öffentlichkeit Positionen aufzubauen, die einem selbst nützen. Bleibt die Frage: Sind die Warnstreiks nur der Auftakt für einen unbefristeten Ausstand nach einer Urabstimmung? Lehmann-Grube glaubt nicht, dass alles auf eine "große Eskalation" zuläuft. "Die Zahlen und die allgemeine Situation riechen mir nicht nach langen Streiks." Für diese Sicht spricht einiges: Verzeichneten die Gemeinden im Jahr 2003 nur 47 Milliarden Euro Steuereinnahmen, waren es 2007 66 Milliarden.

Zudem haben die Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei zurückliegenden Abschlüssen zurückgesteckt. In den Jahren 2006 und 2007 gaben sich die Gewerkschaften - neben leichten Lohnaufschlägen im Osten - mit Einmalzahlungen von je 150 Euro im April und Juli zufrieden. Das Credo von Ver.di-Chef Bsirske lautet deshalb: Nach Jahren des Reallohnverlustes müssen den Beschäftigten eine "spürbare Lohnerhöhung" zugute kommen.

Ein Hemmnis für eine schnelle Einigung werden die divergierenden Interessen im Arbeitgeberlager sein. Der Bund steht finanziell besser da als die Gemeinden. Innerhalb der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände rechnet das reiche Stuttgart wieder anders als das arme Leipzig. Ein Gewerkschafter sagt: "Diese tektonischen Spannungen machen die Sache kompliziert."

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