Debatte SPD-Spaltung: Weggegangen, Platz vergangen

Die SPD hat ihren Anspruch als Volkspartei aufgegeben und glaubt selber, Die Linken seien die besseren Sozialdemokraten. Die innere Spaltung bringt die Partei in Gefahr.

Wenn Kurt Beck heute vor die Bundespressekonferenz tritt, präsentiert der SPD-Vorsitzende eine Partei in Scherben. Die Hessenposse zeigt ihre ganze Misere, ist aber nicht die Ursache. Selbst wenn es der SPD noch gelingen sollte, dort eine Regierung zu installieren: Zerbrochen ist die Hoffnung einer schrumpfenden Partei, sich durch ihre eigenen Widersprüche hindurchzumogeln; wenn schon nicht Wahlen, dann doch wenigstens die Koalitionsverhandlungen zu gewinnen. Das war ja die kühne Spekulation, die den Niedergang in einen Aufschwung verwandeln sollte: Die SPD wird kleiner, aber das linke Lager wächst. Die SPD schrumpft, aber sie gewinnt eine neue Reichweite. Auch 25 Prozent sind ein schönes Ergebnis, wenn Die Linke und das Bündnis 90/Die Grünen den Rest besorgen.

Die Wahrheit sieht anders aus: Die SPD schrumpft, doch was übrig bleibt, gewinnt nicht an Attraktivität. Die Linkspartei hat sich abgespalten, aber die innere Spaltung der Sozialdemokraten ist geblieben. Bei prekären Koalitionen wird Loyalität wichtiger, die aus einer Verpflichtung auf die gemeinsame Sache erwächst, die stärker ist als persönliche Bedenken. Was aber verbindet die SPD nach innen, welche Botschaft trägt sie nach außen?

Es ist mittlerweile fünfzig Jahre her, dass es ihr mit dem Godesberger Programm gelungen ist, einen neuen, in die Zukunft weisenden Konsens zu formulieren, der sie nach innen befriedet und nach außen attraktiv gemacht hat. Gut zwanzig Jahre später hat sie bereits einen Teil ihrer Integrationskraft eingebüßt. Es waren nicht nur die SPD und ihr Kanzler, die das Epochenthema Ökologie verkannt haben. Aber nur die SPD hat dafür einen bitteren Preis bezahlt. In sozialdemokratischer Perspektive bilden die Grünen die erste Abspaltung von der SPD in neuerer Zeit. Die SPD hat die Grünen nicht als etwas Neues, sondern als eigene Schwächung erlebt. Nicht nur Stimmen, sondern auch der Alleinvertretungsanspruch auf eine fortschrittliche Politik sind abhandengekommen. Die Interpretation der grünen Erfolgsgeschichte als eine Art Abspaltung und die kulturellen Differenzen zwischen einer jungen Partei, die keine Partei sein wollte, und einer altehrwürdigen Partei, die als Organisation und durch Disziplin über alle Stürme der Zeit hinweg Kraft und Stärke gewonnen hat, haben nachhaltige Folgen, die nun gegen die SPD zurückschlagen. Es gibt inzwischen einfach zu viele grüne Politiker, die erlebt haben, wie sie von der SPD von oben herab bekehrt werden sollten zur Rückkehr in den linken Hafen, während die CDU, wie es eine grüne Koalitionsunterhändlerin einmal formulierte, "von Anfang an wusste, dass wir eine eigene und eigensinnige Partei sind, und uns auch entsprechend, nämlich mit Respekt, behandelt hat." So betrachtet bieten die Szenen aus Hamburg, die ja parallel zu dem hessischen Film ablaufen, keine große Überraschung.

So haben falsche Analysen die SPD zu der Selbsttäuschung geführt, dass alle irgendwie doch zum linken Lager gehören, damals bei den Grünen und jetzt, weit dramatischer und folgenschwerer, bei der zweiten Abspaltung, der Linkspartei. Sie ist entstanden aus der sozialen und ideologischen Heimatlosigkeit vieler Menschen in der ehemaligen DDR, hat aber ihr Wachstum und ihre Verbreitung in ganz Deutschland in dem historischen Moment gefunden, als nach der Agenda 2010 das Thema der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland politisch heimatlos geworden ist. Die SPD hat es nicht verstanden, ihr Reformpaket überzeugend an ihre Traditionen anzukoppeln und politisch so zu schnüren, dass es als Weg nicht nur zu mehr wirtschaftlicher Dynamik, sondern auch zu mehr Gerechtigkeit erfahren werden konnte. Als dann aus den eigenen Reihen und von der neuen Linkspartei den Sozialdemokraten Verrat an der Idee der sozialen Gerechtigkeit vorgeworfen wurde, hat es der SPD buchstäblich die Sprache verschlagen. Es gab keine Begriffe, Kategorien und keinen normativen Bezugsrahmen, mit denen die SPD ihr Reformwerk hätte modifizieren, legitimieren und ihren Anspruch als linke Volkspartei bestärken können, als jene Partei eben, die den Sozialstaat in einer veränderten Welt rettet und ihm auch die ökonomischen Grundlagen sichert. So ist die SPD in die Defensive geraten, schwächer geworden nicht nur an Zahl, sondern in ihrem politischen und moralischen Anspruch. Als Antwort auf die Grünen sind die Parteien konzeptionell gewachsen. Als Antwort auf Die Linke ist die SPD konzeptionell geschrumpft. Sie hat sich auf deren Feld begeben und die Deutungshoheit über das Thema soziale Gerechtigkeit verloren. Bei der Linkspartei weiß man, was man hat: die radikalere Kapitalismuskritik, die konsequentere Verteilungspolitik, die schöneren Bilder der Gerechtigkeit.

In der SPD gibt es von allem auch etwas: ein bisschen weniger, ein bisschen später, ein bisschen dissonanter - und stets mit einem geplagten Gewissen. Es sind diese Legitimitätskonzessionen an Die Linke, durch welche die SPD sich mehr und mehr ins Abseits stellt. Statt ihren Anspruch als linke Volkspartei zu erneuern, die das Ganze denkt und für das Ganze Verantwortung trägt, zieht sie sich zurück auf die Rolle als "Schutzmacht der kleinen Leute" - und beweist damit einmal mehr, dass jede Volkspartei abstürzen muss, die ein Triebwerk abschaltet, sei es die wirtschaftliche, sei es die soziale Kompetenz.

Diese Entwicklung ist nur möglich, weil die Argumente der Linkspartei ein breites Echo finden in der SPD. Sie haben es geschafft, sich als bessere Sozialdemokraten zu inszenieren. Nicht die äußere, sondern die innere Spaltung bringt die SPD an den Rand des Abgrunds. Das Problem der SPD sind nicht die, die sie verlassen haben, sondern die, die geblieben sind und sich mit Geduld und Erfolg und einem neuen Vorsitzenden daran gemacht haben, die SPD der Linkspartei anzuverwandeln. Nicht die koalitionspolitische Offenheit, sondern die offensichtliche Unfähigkeit, sich geschlossen und mit politischen Argumenten von ihr abzugrenzen, bringt die SPD in ein Dilemma, aus dem sie nicht herausfindet.

Wo bleibt das Positive? Die SPD hat in ihrer bald 150-jährigen Geschichte viel erlebt und überlebt, darunter auch die acht Vorsitzenden seit Willy Brandt. Auf ihren Parteitagen, in den Gremien hat sie gewählt und beschlossen, was möglich und oft auch unmöglich war. Dabei hat sie sich oft genug selbst dementiert und serienweise falsche Blumen und Loyalitäten abgeliefert. Eine Partei kann viel verkraften, die Abwanderung von Mitgliedern, Wählern und ganzen Gruppen. Auch ein "Wortbruch" nach Wahlen wirft sie nicht gleich um.

Was sie auf Dauer nicht verkraften kann, sind Zynismus und Gleichgültigkeit, die von innen zehren, sind jene Formen von Selbsttäuschung und Irreführung, bei denen die Betroffenen und Beteiligten selbst nicht mehr wissen, ob sie sich nur etwas vormachen oder einfach keinen anderen Weg mehr sehen, das Ende einer einstmals großen Partei noch etwas hinauszuzögern. WARNFRIED DETTLING

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