Kolumne Klatsch: Das Basel-Gefühl

Beckenbauer ist auch nur ein Mensch und hat Handwerkersorgen. Herr Ober, bitte noch einen Riesling.

Ob Schweizer überhaupt große Gefühle haben können? Wissenschaftlich ist das nicht belegt. Sie wirken doch eher nüchtern bis schüchtern, ja besonnen, fast sogar vernünftig. Ich müsste lügen, je einen Schweizer oder eine Schweizerin in meinem Leben weinen oder aber vor Freude auf dem Tisch tanzen gesehen zu haben. Aber vielleicht tun sie es ja auch nur, wenn keine Ausländer, vor allem keine arroganten Deutschen in der Nähe sind. Schweizer unter sich - ein freilaufendes Volk mit emotionaler Eruptivkraft? Ich weiß es nicht.

Derartige Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich am Sonntagabend durch die Fußgängerzone in Basel vom Barfüßerplatz in Richtung Rheinbrücke lief. Es nieselte ein wenig und die Innenstadt war gegen 23 Uhr schon so aufgeräumt wie die Küche meiner Schwiegermutter. Alles wo es hingehört. Nur einer passte da nicht hin: Der Hollywood-Schauspieler William Hurt stand vor dem Eingang des Kinos "Küchlin" in der Steinenvorstadt und vertrat sich die Füße.

Aber die Basler ließen ihn in Ruhe, möglicherweise erkannten sie ihn gar nicht. Wahrscheinlicher aber ist, die Passanten liefen völlig unbeeindruckt an ihm vorüber, weil man in Basel seine Aufregung niemals zeigen würde. In München könnte sich William Hurt so etwas nicht erlauben.

Hurt war nach Basel gekommen, um seinen neuen Film "The yellow handkerchief" - Das gelbe Taschentuch - vorzustellen. Filmproduzent Arthur Cohn lebt in Basel, also wurde die Europapremiere auch in Basel gefeiert. Cohn wird zwar gesprochen wie Coen, der Name jener zwei Regiebrüder aus New York, die für ihren Film "No country for old men" gerade vier Oscars erhielten. Aber außer der Aussprache der Namen haben die Regisseure des einen nicht viel mit dem Produzenten des anderen Films gemein. Bei den Coens wird geschossen und gemordet. Bei Arthur Cohn wird gehofft und geliebt.

Nach dem Film saßen eine Hand voll Menschen noch in der Lounge des Hotels "Trois Rois" um einen Tisch herum und nippten am Weinglas. Der Mensch neben mir sah aus wie Franz Beckenbauer und ich vermute stark, er war es auch. Wir unterhielten uns über Dinge, über die sich Menschen nach einem guten Film und bei einem guten Glas Wein unterhalten: Über Handwerkersorgen und über Kindererziehung. Kein Gast des Hotels sprang aufgeregt mit einer Digitalkamera herum, ja nicht einmal der Ober bat um ein Autogramm. Alles so unaufgeregt, alles so baslerisch eben.

Arthur Cohn saß in einem Ledersessel und fragte sich, ob man heute wohl nur noch dann einen Oscar erhält, wenn es genügend Tote im Film gibt. Er hat schon sechs bekommen in seinem Leben - und das immer ohne blutverschmierte Leinwand. Gegen Mitternacht setzte sich noch William Hurt an den Tisch und bestellte Räucherlachs mit Salat. Das zu schreiben, ist jetzt eigentlich schon indiskret. Denn Hurt fragte ungefähr alle zehn Minuten in die Runde: "Sind wir hier privat?" Fast so, als fürchte er, einen unbedachten Satz auszusprechen, weil er am anderen Tag in der Zeitung stehen könnte. Beim dritten "We are private?" fühlte ich so etwas wie Mitleid mit dem großen Schauspieler.

Diesen Schalter im Kopf ständig drücken zu müssen - und vor allem im richtigen Moment, vor dem entscheidenden Glas Riesling - das ist doch total schrecklich! Die Angst, sich zu wohl zu fühlen und ins Plaudern zu geraten, ist eine Angst, die viele von uns nicht kennen. Sie allein ist Grund genug, nicht berühmt sein zu wollen.

"Yes, we are private!", sagte ich, und am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen und gesagt: "William, du darfst mir alles sagen, nichts wird die Lounge des Hotels verlassen!" Aber offenbar traute er dem Basler Frieden nicht. Denn wirklich private Dinge - ob er seine Frau schlägt, wie viele Freundinnen er hat und welche Albträume ihn drücken - hat er dann doch nicht erzählt. Und wenn? Ich würde das Basel-Gefühl nicht zerstören wollen.

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Journalist, Mitbegründer der Zeitenspiegel-Reportageschule, hält Brandenburg für die neue Toskana.

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