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Kolumne ParallelweltenNur ein Übersetzungsfehler?

Hassgesänge, die okay sind, weil sie ja gegen Schwule ausgebracht werden? Ein Gespräch in Berlins Friedrichshain

Ist doch alles nicht so gemeint, sagen sie. Sie? Wer ist "sie"? Jene, von denen hier die Rede sein muss, meinen Jugendliche, die sich auf ein Vokabular verständigt haben, in dem das Wort "schwul" die Chiffre schlechthin ist für das Weiche, Unmännliche, Blöde und Fußabtreterische. So sagen sie also, die in meinem Viertel den Jungs zuhören, die hormonell in der Blüte ihrer Verhältnisse stehenden Menschen. "Voll schwul" - "ist doch schwul" - "schwul, ey", das sind die Floskeln, mit denen jeder bedacht wird, der den machohaften Wahrnehmungen dieser Straßenjungmänner nicht nahe kommt.

taz

Jan Feddersen (50) ist Autor und Redakteur in den Ressorts taz.mag und tazzwei.

Ja, das kenne ich. Bloß jetzt nicht in politisch korrekte Reflexe verfallen, wird einem bedeutet, auf keinen Fall die Worte für sich nehmen: nämlich Homosexuellen gegenüber abfällig gewählt. In Wahrheit ist das Unfug. Schwule Männer, die selbst in diese Ausrede verfallen, bügeln mit einem Trick ihre eigene Angst vor aggressiver Nachstellung glatt. Das war bei den jüdischen Deutschen, die in den Jahren der Weimarer Republik Hässliches und Gehässiges hören mussten, auch so. Antisemitisch? Betrifft doch nur die schmuddeligen Verwandten aus dem Osten Europas. Solche, die ja gar nicht wissen, wie sehr sie die Kulturnation Deutschland belasten mit ihren Migrationen in ebendiese. In Wahrheit meint Antisemitisches genau das, was er auch als Wortbrei verströmt: Aversion gegen Fremdes, in Sonderheit gegen Juden damals.

Was nicht der eigenen Facon entsprach, sollte rasiert werden. Und so geschah's, das wissen wir, und es traf auch die bürgerlichen Juden, welche glaubten, mit Antisemitischem könnten sie nicht gemeint sein. Das wiederum verhält sich auch bei der Schulhofrede gegen Homosexuelle so. Das darf man sich zumuten, hört man Jugendlichen in der Donauschule zu in Berlin-Neukölln und in der Rütlischule, der berühmten, ohnehin. Niemand dort, hat er oder sie auch nur den allerleisesten Selbstverdacht in dieser Hinsicht, gibt sich als schwul zu erkennen - besser nicht, bloß unversehrt bleiben -, aber der anders begehrende Mann beschäftigt die Fantasie krass. Schwul - das ist der Schwächere. Wer glaubt, es sei nicht so gemeint, will den hassenden Inhalt nicht sehen und verkleidet Verständnis für die armen Jungs in sozialpädagogische Rhetorik. Im wahren Leben ist es alles eben so gemeint. Und würde die Vokabel nicht schwul, sondern jüdisch lauten, wäre das Geschrei groß.

In unserer Weltmusikszene gibt es aktuell viel Zwist um Auftritte des jamaikanischen Reggaemusikers Rodney Price, der für seine Fans Bounty Killer heißt. Er singt: "Bun a fire pon a puff and mister fagoty", was selbst bei freundlichster Eindeutschung "Lasst die Schwulen im Feuer brennen" heißt. Homogruppen protestieren, in Essen musste ein Konzert vom Kariben örtlich verlegt, nicht abgesagt werden. Der Veranstalter gab sich giftig und weigerte sich, Price auszuladen. Es handele sich um einen "Übersetzungsfehler", ließ er verlauten. Anwälte suchten die Protestierenden einzuschüchtern. Natürlich ist ja das Recht auf Meinungsfreiheit höher einzuschätzen als das auf Unbeleidigtfühlen. Insofern muss für Auftritte dieses Künstlers plädiert werden, freies Geleit also für all diese Weltmusiker, die im Namen des Reggae ihre reiche Kundschaft Europas mit sonnigen Gefühlen ausrüsten. Natürlich ist auch niemand an sich in Gewahrsam zu nehmen, nur weil er oder sie sich an Sätzen nach Auslöschung von Homosexuellen (oder Juden?) delektiert. Das zu bannen wäre Langeweile stiftend: Sollen sie doch, im liberalen Mustopf hat jeder ein Eckchen, in dem es schmeckt.

Aber ein Missverständnis, ein Übersetzungsfehler? Bitte nicht so. Bitte keine solch ramschige Verteidigung. Ist nicht so gemeint? Ist es doch. Was einzig frösteln macht, ist der Umstand, dass man so hört, gern in Cafés in den schicken Vierteln (Wollmützen, Caffè latte, gediegene Gespräche), die Schwulen mögen sich nicht so anstellen. Könnte bitte mal einer das so umdrehen, wie der Sinn auch lauten könnte: Sollen sich die Juden mal nicht so haben?

PARALLELWELTEN: Fragen zu Hass? kolumne@taz.de. Morgen: Jörn Kabisch über Das Gericht

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16 Kommentare

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  • KP
    klaus priesucha

    "Schwul" war einst ein Schimpfwort für jene, die dem eigenen Geschlecht zuneigen. Ein knappes Jahrhundert versuchten diese nicht bloß diskriminierten, sondern i.d.R. auch strafrechtlich Verfolgten dem zu entgegnen, indem sie nach "seriösen" Bezeichnungen fahndeten, wie "homophil", "homoerotisch", "Urninge".

    Bis eines Tages die Klügsten und Kühnsten der Bewegung das Blatt wendeten durch ein "schwul, na und!"

     

    Ich habe zunächst geschluckt, als ich seitens jugendlicher Fans meines Fußballvereines ein negativ gemeintes "ach wie schwul" hörte. Ein Kumpel quatschte einige der Jungs an: "Darf ich bekannt machen: Hier steht einer!" - Wodurch er nicht mich, sondern die Kids in Verlegenheit brachte.

     

    Nach meiner Erfahrung gilt inzwischen auch unter uns Prolls - altersunabhängig - zwar nicht Spöttelei, aber ernsthafte Homophobie als uncool, vorgestrig, provinziell. Aber vielleicht haben ja andere da nicht bloß eingebildet-phantasiert, sondern wirklich erlebt etwas tiefgreifend Negatives.

  • C
    christoph

    @Nikolaos

    was bist Du, Lehramtsstudent? Lass mal gut sein..

  • NF
    Nikolaos Fanélon

    Ganz davon abgesehen, dass der Terminus homoerotisch Ihrer Meinung nach "stelzig" und "spießig" sind, so ist er doch sprachlich richtig. Anders als "homosexuell" (homo: altgriech. Wortstamm; sexuell: lat. Wortursprung). Und ob ich den Begriff schwul benutze oder nicht, das hat meiner Ansicht wenig mit Spießertum zu tun. Es ist vielmehr eine Geschmacksfrage. Eine solche, wie zum Beispiel die Frage, ob man Schwarzer oder Neger sagt. Ich nenne Huren in der Regel auch lieber Prostituierte als Nutten, wohl ebenfalls ein Zeichen von Spießigkeit. Und dass ich Frauen als Frauen bezeichne und nicht als Weiber dürfen Sie mir gleich mit auf die Spießertumssymptonabhakeliste sitzen. Viel Spaß dabei!

    Auf welches Klischee beziehen Sie sich im zweiten Absatz?

  • C
    christoph

    @Nikolaos

    ich bezog mich auch mehr auf die unglaublich stelzige, eventuell auch spießige Verwendung des Wortes homoerotisch, das Sie verwenden, nur um nicht schwul sagen zu müssen

     

    auch finde ich Nazivergleiche auch bzw. gerade dann unpassend, wenn sie nur herangezogen werden, um jemanden hart zu treffen

     

    zuletzt habe auch ich manchmal Freude daran, wenn Klischees, und seien sie auch noch so abgedroschen, durch Erlebnisse bestätigt werden (ja, meinetwegen scheinbar), ist manchmal schon ein Grinsen wert - das wird wohl der Blockwart in mir sein

  • PM
    Pas Materski

    Schon schade um das Vokabular.

    Ausserdem ist das Getue auf dem Pausenhof nicht anders als "auf der Arbeit", jedoch regional unterschiedlich.

    Aber zwei Klempnermonster die sich die `abgedichte' Ìnstallation' eines Kollegen anschauen und `ein bisschen schwul' finden, die geben sich aufm Bau auch Frauennamen; sind also fluffig, bis sich der wind dreht.

    @kein Kaffee

  • NF
    Nikolaos Fanélon

    @Christoph: Ich glaube, Sie haben meine Absicht nicht verstanden. Ich halte das "Wörtchen schwul" nicht für offensiv, fand es aber gefährlich, wie harmlos klaus priesucha die Benutzung dieses Wörtchens als Beleidigung sieht. Daher habe ich vorgeschlagen, die Bezeichnung Klaus als Beleidigung zu benutzen, wenn es seiner Ansicht nach nicht schlimm ist, das Wort "schwul" als Beleidigung zu gebrauchen. Das mit den Nazi-Vergleichen ist ein Gegenbeispiel zu den negativen Eigenschaften, die klaus priesucha dem Wort schwul andichtet. Ich habe meinerseits dem Wort Klaus eben diese Eigenschaften des Faschisten-Mitläufers angedichtet, ich habe den Nazi-Vergleich gewählt, weil er (hoffentlich) Benutzer klaus priesucha hart trifft. Aber wenn es seiner Meinung nach in Ordnung ist, wenn Schwulen die Eigenschaften zugeschrieben werden, sie seien "übertrieben eitel" und würden "allzu großen TamTam um die Einzigartigkeit ihrer selbst machen.", dann finde ich es auch in Ordnung, wenn ich allen Kläusen anhänge, sie seien willenlose Mitläufer und Spießer.

  • C
    christoph

    @Nikolaos,

    für jemanden, dem selbst das Wörtchen schwul zu offensiv erscheint, hantieren Sie mit Nazivergleichen doch recht unbekümmert

  • T
    Thommen

    Es ist doch den Etablierten nur recht, wenn Jugendliche sich immer wieder neue Minderheiten oder einfach "Andere" aussuchen, um ihrem Unbehagen in der Familie und der Gesellschaft Ausdruck zu geben! Es ist auch die konsequente Fortsetzung für das Individuum, das sich bisher mit Drogen selber "aggressiert" hat...

     

    Ur-bürgerlich ist es, die Aggressionen auf "Andere" zu lenken, statt auf die Verhältnisse, in denen man leben muss! Aber dazu braucht es keine Drogen, sondern kreatives Denken...

  • LA
    lehrer aus bonn-bad godesberg

    Antijüdische Sprüche gibt es mainstreammäßig auch auf jedem Gymnasium, zumindest dort wo türkische und arabische Mitschüler zu finden sind.

    Tipp: Schaut mal bei SchülerVZ, wieviele offene antisemitische Gruppen es dort gibt...

    Und die sind nicht von deutschen Rechtsaußen gegründet worden!

  • NF
    Nikolaos Fanélon

    Nicht nur Termini, die zur Bezeichnung von (männlichen) Homoerotikern dienen haben sich teilweise zu Schimpfwörtern entwickelt. So kann ich den Hinweis von Abu bezüglich eines Wiederaufleben alten Antisemitismus nur bestätigen. Auch die Bezeichnung "Spastiker" für Menschen mit spastischer Lähmung ist in der Verkürzung "Spast" zu einem oft in harmlosen Zusammenhängen gebrauchten Schimpfwort geworden. Eine kleine Sammlung von allgemein an deutschen Schulen gebrauchten Schimpfwörtern, die eigentlich, meist ursprünglich auch abwertende Termini für bestimmte Eigenschaften von Menschen sind:

     

    -schwul, Schwuchtel

     

    -Spast, Spasti

     

    -behindert

     

    -Penner

     

    -Jude

     

    und, auch sehr gerne verwendet, und das nicht nur von ungebildeten grenzdebilen Hauptschülern mit Migrationshintergrund, sondern auch z.B. von Gymnasiasten: Opfer

     

    Letzeres ist beinahe symptomatisch für die Hintergründe hinter solchem Sprachgebrauch. Behinderten, Juden, Homoerotikern wird in unserer Gesellschaft immer noch gerne eine Rolle als "Opfer", als Schwächere zugeteilt. Ich finde das nicht nur für Jugendliche, vor allem Schüler symptomatisch, sondern für unsere gesamte Gesellschaft. Das "Andere" wird gerne entweder ausgegrenzt, zum "Feind" gemacht (man denke dabei nur an Debatten um "ausländische" Straftäter, und an die Bezeichnung, die Sexualstraftäter in den Medien oft erhalten und die im Kern nichts anderes bezwecken als eine sprachliche Entmenschlichung) oder eben in eine Rolle als "Opfer" innerhalb der Gesellschaft abgeschoben, je nachdem ob das "Andere" der Gesellschaft direkt schadet in den Augen der meisten oder nicht.

     

    @ klaus priesucha:

    Natürlich werden hinter der Bezeichnung erwähnte Eigenschaften versteckt sein. Doch ich sehe gerade darin ein Problem, denn dadurch werden Homoerotikern gerade diese Eigenschaften zugeschrieben.

    Genauso gut könnte ich hier jetzt sagen: Ab sofort verwende ich Klaus als Schimpfwort, nicht weil Klaus an sich eine negative Eigenschaft darstellt, sondern weil ich mit Klaus andere negative Eigenschaften verbinde, also nimm es bitte nicht persönlich, lieber Klaus, wenn ich alle TAZ-online-Leser hiermit dazu aufrufe, Klaus als Chiffre für intolerante, dumme Menschen, die mit einer Art politischer Idiotie und einem Dilettantismus im Umgang mit gesellschaftlichen Problemen ausgestattet sind, in allen Beiträgen zu verwenden. Ich habe wirklich nichts gegen dich, Klaus. Nur versteckt sich hinter deinem Namen einfach jener Mitläufertyp, der vor siebzig Jahren begeistert "Ja!", geschrien hat, zum Beispiel als sein "schwuler" Nachbar von der Gestapo abgeholt worden ist. Ohne wirklich überzeugt davon gewesen zu sein, hat Klaus zugestimmt, er hat der Gestapo sogar die Adresse auf Nachfrage gegeben und den Wohnungsschlüssel, den der "schwule" Nachbar bei ihm hinterlegt hatte, als Klaus noch für ihn Blumen gegossen hat, in Abwesenheit. Später erklärte Klaus, es hätte ihm um die Wohnungstür leid getan, hätten die Gestapo sie eintreten müssen... Das ist also unser Klaus, aber nimm es nicht persönlich, lieber Klaus.

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Nikolaos Fanélon

     

    PS: Gebt den Kläusen keine Chance!

  • A
    Abu

    @ludvig:

    Sie schreiben: "Völlig zu Recht würde man es nicht tolerieren, wenn auf den Schulhöfen anti-jüdische Schimpfwörter verwendet würden."

     

    Doch, würde man. Zitat Spiegel (bereits 2006!): "Rechtsextreme Jugendliche und junge Muslime kultivieren einen Hass, der in Deutschland jahrzehntelang für undenkbar gehalten wurde: Sie machen Jagd auf jüdische Mitschüler. Politische Appelle verhallen an vielen Schulen ungehört. "Jude" wird zum Mode-Schimpfwort."

     

    Es ist nicht besser geworden. Durch Hamburg marschierten sie zuletzte und schrien abwechselnd "Schluss mit Israel" und "Tod den Juden". Keinen störte es.

  • L
    ludvig

    Kann Jan Feddersen nur zustimmen, auch mich stören diese Verharmlosungen. Den Vergleich zum Antisemitismus finde ich nicht falsch. Völlig zu Recht würde man es nicht tolerieren, wenn auf den Schulhöfen anti-jüdische Schimpfwörter verwendet würden. Eine ähnliche Sensibilität bei homophoben Beschimpfungen würde ich mir wünschen. Da mus man nicht groß rumgeheimnissen, was da "psychologisch" dahinter steckt.

  • M
    Martin

    Richtig, das wäre auch einfacher gegangen. Einfach mit dem Hinweis drauf, dann auch bitte aller Proteste gegen "Schlagt die Nigger alle tot" Gesänge irgendwelcher rechtsextremer Spacken zu entsagen.

  • AB
    Axel Blumenthal

    @ rumburak

    ob man diese Vergleiche braucht oder nicht braucht sei dahingestellt.

    entscheidend ist doch, dass sie passen

  • KP
    klaus priesucha

    Es kann sein, dass hinter der abwertenden Verwendung "schwul" sich Schwulenfeindschaft verbirgt. Kann aber auch sein, dass sie als Chiffre für "uncool" und übertrieben eitel meint. Sich also gegen Leute richtet, die allzu großen TamTam um die Einzigartigkeit ihrer selbst machen.

     

    Also, nicht bei jedem schrägen Wort gleich in Angst und Schrecken oder Zorn verfallen. Sondern so kühl es geht rauskriegen, was wirklich dahinter steckt.

  • R
    rumburak

    alles gut und richtig, aber wieso braucht man zum beschreiben solche vergleiche? vergleiche, die in deutschland gern mit "den juden" gemacht werden? was steckt da psychologisch dahinter? fällt dem autor nix gewiefteres ein, um dieses wichtige thema hervor zu heben?