Politologe Oberreuter über CSU-Krise: "Die Lederhose ist kürzer geworden"

Die CSU starre auf Umfragen, sagt der Passauer Politologe Oberreuter. Aber ihr gelinge nicht, intelligent auf Bayerns Säkularisierung zu reagieren.

"Mehr Weichheit und Diskursoffenheit - das haben sie jetzt": Huber und Beckstein : dpa

taz: Herr Oberreuter, bei der CSU gibts ein ungekanntes Durcheinander. Ist das Führungsduo, bestehend aus Parteichef Erwin Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein, so schwach? Oder war deren Vorgänger Edmund Stoiber so stark?

Heinrich Oberreuter: Die Partei wollte doch den Wechsel. Es hat nicht umsonst eine Riesendiskussion um den Führungsstil Edmund Stoibers gegeben. Er hat geradezu autokratisch geführt, er hat Partei und Fraktion viel zu wenig mitgenommen. Diejenigen, die innerhalb der CSU eine andere Führung wollten, verlangten nach mehr Weichheit und Diskursoffenheit - das haben sie jetzt.

Die beiden neuen Spitzenleute der CSU agieren aber auch aktiv gegeneinander.

Das sehe ich anders. Nach Lage der Dinge war etwas anderes als eine Doppelspitze nicht möglich. Diese Form hat aber gewissermaßen eingebaute Kommunikationsprobleme. Huber und Beckstein können sich nie so vollkommen abstimmen - auch wenn Beckstein das für die Zukunft in Minutenschnelle tun will -, dass es nicht Nuancen zwischen ihnen gäbe. Medien blasen solche feinen Unterschiede zu schroffen Meinungsverschiedenheiten auf. Aber die gibt es ganz sicher nicht.

Hat Beckstein nicht genüsslich die Vier-Milliarden-Risiken der Bayern LB veröffentlicht - um Huber in Erklärungsnöte zu bringen?

Das Interessante an Günther Beckstein ist nicht nur, dass er ein ausgezeichneter Politiker ist, sondern dass ihn auch eine kommunikative Unbefangenheit auszeichnet. Das gibt es nicht oft bei Politikern und ist der neue Stil, der erwartet worden war.

Ist dieser Stil eigentlich naiv - oder böswillig?

Weder noch. Unbefangenheit ist einfach nicht funktional für die Willensbildung in einer Mediendemokratie. Genauso wenig wie Nachdenklicheit, die Beckstein ja auch auszeichnet. Das sollte man nicht als Schwäche auslegen.

Aber diese Eigenschaften machen es nicht leichter, die CSU klar zu positionieren. Es sieht aus, als fahre sie gerade einen Zickzackkurs. Etwa, wenn sie zuerst das härteste Rauchverbot Deutschlands einführt - und es dann bei der erstbesten Gelegenheit wieder lockert.

Beides war opportunistisch. Und hat der CSU in der Öffentlichkeit schwer geschadet, besonders das schnelle Zurückrudern. Wäre sie näher am Menschen, wie ihr Motto lautet, dann hätte sie weite Teile Bayerns lachen hören. Die Partei hat agiert wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Das starke Rauchverbot war ein Instrument des neuen Fraktionchefs, zu zeigen, dass er etwas zuwege bringt. Und der Eiertanz danach war das Signal an die Bürger: Wir bewegen uns, um die Stimmung umzudrehen.

Weiß die CSU nicht mehr, was sie will?

Im Augenblick reagiert sie nur auf Wahlergebnisse und demoskopische Daten. Das sind übereilte Entscheidungen, die Innovationsfreude und Durchsetzungsstärke signalisieren sollen. Themen wie das Rauchverbot erhalten dabei einen Stellenwert, der ihnen nicht zukommt. In Wahrheit geht es um etwas anders.

Um was?

Die Lederhose ist kürzer geworden. Nur ist die Partei noch nicht in der Lage, intelligent darauf zu reagieren, dass sich die Bürger und ihre Haltungen ändern.

Was meinen Sie damit?

In dem berühmten Bild von Laptop und Lederhose steht die Hose für eine normative Orientierung. Die ist ja nicht nur bayerische Folklore, sondern symbolisiert einen bestimmten Konservatismus in Gesellschaftsbildern oder ethischen Positionen. Es gibt natürlich auch in Bayern eine Säkularisierung, die typisch für die Bundesrepublik ist. Bayern hat sich diesem Trend nie widersetzt, sondern die CSU hat versucht, sich ihm überlegter anzuschließen als andere Bundesländer. Das gelingt derzeit nicht so überzeugend. Das haben die Kommunalwahlen gezeigt.

Woran macht sich das fest?

Milieus drücken sich immer auch in Personen aus, in Meinungsführern. Es gibt zum Beispiel in der CSU nicht mehr so viele Leute, die Brücken zwischen unterschiedlichen Lebenskreisen schlagen können. Also zum Beispiel solche, die in einer Pfarrgemeinde fest verankert sind - und die Interessen von dort in die politische Gemeinde tragen.

Wieso ist das ein Problem?

Die CSU hat früher das gesellschaftliche Vorfeld der Politik meisterhaft besetzt. Das hat sie gemacht. Das Auflösen dieser Milieus in viele verschiedene Einzelströmungen macht es gerade einer Mehrheitspartei nicht leicht. In Elternbeiräten oder Pfarrgemeinderäten dringt heute ein liberaler, ökologischer und bürgerlicher Partizipationstyp vor - der nicht mehr automatisch zum CSU-Milieu zu rechnen ist.

Ist es ein Nachteil, dass die Partei in so einem Moment von einer Doppelspitze regiert wird?

Es ist ein Problem jenseits davon. Die Frage ist, ob die Partei diese Entwicklungen erkennt und auf sie reagiert. Um dem gerecht zu werden, reicht es nicht, irgendwelche Dinge schnell wieder zurückzunehmen oder irgendwo eine Subvention hinzuleiten.

Wird der Wandel die CSU mitreißen - oder nur ihre Mehrheit?

Das ist die interessante Frage. Die CSU war immer bereit, alle ihre scheinbar festgefügten Positionen zu räumen, wenn die für sie gefährlich wurden. Sie wird niemals für die Schwulenehe sein, das ist klar. Aber sie wird zum Beispiel auch in Fragen der Schulorganisation - Stichwort Hauptschule - nicht an etwas festhalten, was einem mehrheitlichen gesellschaftlichen Trend entgegensteht. Sie wird sich anpassen, wenn das nötig ist, um Mehrheiten zu behalten oder zurückzugewinnen.

Wie wichtig ist die absolute Mehrheit? Was heißt die "50 + x"?

Diese Zahl hat einen hohen Symbolgehalt, der für die Identität von Bayern und CSU steht. Die CSU starrt wie das Kaninchen vor der Schlange auf diesen Fünfer vorndran. Der hat einen solchen Eigenwert erhalten, das ist fast schon irrational. Denn auch 48 Prozent reichen für die absolute Mehrheit an Sitzen im Landtag.

Und wenn die Fünf weg ist?

Wenn dieser Unfall eintreten sollte, wird in der CSU sofort eine Führungsdiskussion beginnen. Dann ist es sehr gut vorstellbar, dass es einen Wechsel im Amt des Parteivorsitzes gibt.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER

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