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Wieczorek-Zeul über Hunger"Wenn notwendig, müssten wir aufstocken"

Die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul fordert langfristig eine Änderung der Strukturen in den Entwicklungsländern.

Reis ist das Hauptnahrungsmittel auf Haiti. Am Wochenende trieben wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise verzweifelte Menschen die Regierung aus dem Amt. Bild: dpa
Interview von Christine Zeiner

taz: Frau Wieczorek-Zeul, überraschen Sie die Hungerrevolten?

ap
Im Interview: 

HEIDEMARIE WIECZOREK-ZEUL, 65, ist Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Diese Woche wurde die SPD-Politikerin zur Sondergesandten der Vereinten Nationen für die UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung ernannt, die im kommenden Herbst in Doha stattfindet.

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Eigentlich nicht - vielleicht aber in dieser Deutlichkeit. Die Vernachlässigung in der landwirtschaftlichen Entwicklung in den Entwicklungsländern war abzusehen. Aber ich hoffe, dass es am Wochenende auf der Tagung von IWF und Weltbank gelungen ist, deutliche Signale zu setzen, damit Hungerkatastrophen entgegengewirkt wird.

Was soll passieren?

Als Erstes muss die akute Not der Menschen, die hungern, gelindert werden. Dafür stellen wir dem Welternährungsprogramm zusätzlich 10 Millionen Euro zur Verfügung. Darüber hinaus unterstützt die Weltbank in den Entwicklungsländern gezielt Programme für arme Menschen, vor allem in den Städten, die durch den Preisanstieg besonders leiden. Mittel- und langfristig sollten Entwicklungsländer den Anteil der landwirtschaftlichen Produktion wieder ausweiten. Indien und China sind da schon weit voran, bei einigen afrikanischen Ländern hapert es noch. Und die Wahrheit ist, dass ein Teil der afrikanischen Länder zu wenig investiert. Vor fünf Jahren haben sich die afrikanischen Länder vorgenommen, zehn Prozent der Haushalte dafür auszugeben. Da gibt es Nachholbedarf.

Gleichzeitig fließt aber nur ein geringer Teil der Entwicklungshilfe in den Agrarbereich.

Wir haben die Ausgaben für alle Aspekte in der ländlichen Entwicklung in den letzten Jahren erheblich gesteigert und stellen dafür nun 570 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Dazu gehören auch Investitionen in die Infrastruktur, zum Beispiel für Straßenbau. Denn ohne Straßen können die Produkte auch nicht zu den Märkten gebracht werden. Und die Weltbank wird ihre Mittel für die ländliche Entwicklung in Afrika südlich der Sahara von 540 auf 800 Millionen Euro steigern.

Hunger ist auch eine Frage der Landverteilung - warum wird kaum darauf hingewiesen? IWF und Weltbank zeigen lieber auf den Biosprit.

Das International Food Policy Research Institute weist darauf hin, dass bis zu 70 Prozent des Preisanstiegs bei Lebensmitteln auf den Agro-Kraftstoff-Boom zurückzuführen sind. Das kann man nicht ignorieren. Aber natürlich ist es wichtig, auch den Zugang zu Landtiteln zu ermöglichen - und Bäuerinnen und Bauern die notwendigen Finanzierungsmöglichkeiten an die Hand zu geben, damit sie ihre Waren auf größeren Märkten der eigenen Region verkaufen können. Mikrokredite sind dabei ein Instrument. Und gerade Frauen müssen Zugang zu Landtiteln bekommen.

Warum wollen IWF und Weltbank die Regierungen lieber dazu bringen, für das UN-Welternährungsprogramm zu spenden, als Handelsverzerrungen abzubauen?

Es wurde explizit gefordert, die Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation zu einem Ergebnis zu bringen. Die Agrarsubventionen, die Entwicklungsländer von der landwirtschaftlichen Entwicklung abhalten, müssen beendet werden. Kurzfristig aber braucht das Welternährungsprogramm mehr Geld, sonst muss es Rationen kürzen und würden Menschen hungern.

Sie haben angekündigt, die Mittel für 2008 um 13 Millionen Euro aufzustocken. Was passiert mit dem Geld?

Die 13 Millionen Euro kommen zum jährlichen Grundbeitrag von 23 Millionen Euro hinzu. Wenn es notwendig ist, müssen wir aufstocken. Das Welternährungsprogramm kauft damit Lebensmittel, möglichst in der jeweiligen Region. Eines ist aber entscheidend: Wir dürfen nicht nur die schrecklichen Symptome bekämpfen, sondern müssen auch langfristig die Strukturen ändern.

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3 Kommentare

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  • A
    Anne

    Inhaltlich ergänzen würde ich z.B.: Die Autonomie der Frauen weltweit stärken, dazu das Bewusstsein der Männer verändern, und zwar v.a. gegen jede, wie subtil auch immer, erzwungene Schwangerschaft. Das ist ein effektiver und der einzig humane Weg, die Bevölkerungszahl der Menschheit zu stabilisieren oder zu senken - und das wäre auch ein wichtiges Mittel sowohl der Armutsbekämpfung als auch des Umweltschutzes - obwohl das in linken Kreisen ungern gehört und gesagt wird, weil es meist missbraucht wird, um von anderen Ursachen der Armut etc abzulenken.

  • BW
    bernhard wagner

    Ein paar erklärende Fußnoten zu meinem Kommentar vom 19.04:

    --zu 1: Dies beinhaltet ggf. auch Landreformen, v.a. ungenutzen Großgrundbesitz zu verteilen, dazu Starthilfen für die Gründung von Kooperativen

    --zu 2: v.a. tropische Urwälder (wg. hoher Erosion, Artenvielfalt, Vertreibung indigener Bevölkerung u.s.w.)

    --zu 3: v.a. mittels Solarenergie, z.B. durch Anlagen wie Andasol 1 (neue Analage in Spanien) u.a., aber auf keinen Fall mit Atomenergie (wie es Gaddafi plant) oder fossiler Energie. Zum Gerücht, moderne Kohlekraftwerke seien 'klimafreundlich' vgl. www.klima-luegendetektor.de ('Klimawandel' forciert bekanntlich durch Verschärfung von Dürren & Überschwemmungen die Armut)

    --zu 4: Seit Jahrzehnten fordern dies verschiedene 'Umwelt'-engagierte Menschen, gegen die meisten Verkehrsminister u. allg. PolitikerInnen u. sie Wählende Mehrheit, Bau'herren', Chefs von Reklame-/Werbeabteilungen und deren Chefs, Mehrheit der Aktienbesitzenden, Autofahrenden u.s.w.

    --zu 5: v.a. wegen der importierten Futtermittel und der industrialisierten Landwirtschaft ist dies relevant, zusammen mit der Tatsache, dass nur ein kleiner Teil des Futters am Ende als Protein, Lipide u. Kohlenhydrate in der tierischen Nahrung steckt. In Ländern wie Deutschland ist der Konsum tierischer Nahrung bis heute um ein Mehrfaches höher als z.B. in 2/3 aller Länder der Erde.

    --zu 6: Subventionierte Agrarexporte zerstören z.B. langfristig die Landwirtschaft in armen Ländern, die ihre LW nicht annähernd ebenso subventionieren können wie EU Länder oder die USA etc. Dies führt zwar kurzfristig zu niedrigen Preisen der Nahrung (in den Städten), aber langfristig zu Landflucht, Armut, und zu Abhängigkeit, die bei Preissteigerungen auf dem Weltmarkt dann zuerst die Ärmsten am härtesten trifft.

  • BW
    bernhard wagner

    ein Bündel aus 6 sofort w i r k s a m e n Punkten wäre jedenfalls:

     

    A. Weltweit:

     

    - 1. sozial & ökol. nachhaltige Entwicklung fördern, auch bzgl. der Landwirtschaft

     

    - 2. Wälderzerstörung stoppen

     

    - 3. Wüstenbegrünung starten

     

    B. In Ländern wie Deutschland:

     

    - 4. Brennstoffverbrauch (z.B. von Treibstoffen) senken

     

    - 5. Verbrauch von Fleisch, Milch u. Eiern senken

     

    - 6. Agrarsubventionen senken und nur für Bio-Landwirtschaft freigeben