Politologe über Tempelhof: "Der Volksentscheid entwertet sich selbst"
Denn der Flughafen Tempelhof ist rechtlich und politisch längst entschieden, sagt der Politologe Neugebauer.
taz: Herr Neugebauer, der Volksentscheid bringt Klaus Wowereit in Bedrängnis. Was hat der Regierende Bürgermeister falsch gemacht?
Gero Neugebauer: Wowereit hat die Stimmung in der Stadt vollkommen falsch eingeschätzt - wie viele andere auch. Auf die emotionale Aufladung durch den Hinweis auf die Luftbrücke hat der Regierende Bürgermeister keine Antwort gehabt.
Wie konnte aus einem jahrelang vor sich hin dümpelnden Streit über eine Flughafenschließung unvermittelt ein Plebiszit über den Regierungschef werden?
Die CDU hat ihre Chance zur Profilierung konsequent genutzt. Ab einem bestimmten Augenblick sind die Medien auf diesen Zug aufgesprungen und haben die Sachfrage personalisiert: Regierungschef gegen Oppositionsführer, Klaus Wowereit gegen Friedbert Pflüger. Die Presselandschaft in Berlin ist darüber hinaus, sagen wir, asymmetrisch organisiert: Die Zeitungen des Springer-Konzerns unterstützen massiv die Flughafen-Befürworter.
Berlins Senat will die Forderung des Volksentscheids nicht umsetzen, die Befürworter können es nicht. Wird das dem Ansehen der direkten Demokratie schaden?
Der Volksentscheid entwertet sich selbst, weil er einen Gegenstand behandelt, der längst politisch und gerichtlich entschieden ist.
Schadet es der direkten Demokratie, wenn Volksentscheide von politischen oder wirtschaftlichen Interessen dominiert werden?
Natürlich werden die hinter dem Volksentscheid stehenden Parteien dessen Ergebnis für ihren nächsten Wahlkampf nutzen. Dann wird sich zeigen, ob die Bürger wirklich denken, ihre Regierung ignoriere den Wählerwillen. Schauen wir nach Brandenburg. Dort haben Industrieunternehmen Volksentscheide angestoßen, um ihre Ansiedlungsabsichten durchzusetzen. Solche Vorstöße haben immer dann Erfolg, wenn zuvor eine politische Diskussion ausgeblieben ist. Das sehen wir ja auch an der Tempelhof-Kampagne: Die widerstreitenden Meinungen und Fakten werden erst jetzt in aller Öffentlichkeit ausgetauscht. Diese Debatte kommt aber um Jahre zu spät.
INTERVIEW: MATTHIAS LOHRE
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