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Kolumne Die ChartsEr war zufrieden mit dem Sex

Die Charts heute mit Folge VI von "Das Content Department": Würde Kern für Deutschland kämpfen?

Jeden Abend machte der Ressortleiter um 22.47 Uhr das Licht aus. Exakt fünf Minuten nach Dorothea. Das war im Ehevertrag so festgehalten. Anfangs wollte Kern in postjuveniler Unreife fünfe grade sein lassen und sechs draus machen, aber da geriet er bei ihr an die Falsche.

Marco Limberg

Peter Unfried ist stellvertretender Chefredakteur der taz.

Ihre Freunde hätten vermutlich gedacht, Dorothea habe Haare auf den Zähnen, aber Gott sei Dank hatten sie praktisch keine. Und außerdem hatte er, seit Jan-Philipp da war, trotzdem weiter verabredungsgemäß einmal die Woche Geschlechtsverkehr. Im Gegensatz zu 59 Prozent der deutschen Männer war er im Prinzip zufrieden mit dem Sex mit Dorothea. Außer wenn er ihn hatte. Aber dann dachte er an seinen Stellvertreter Mies und wie der sexgeil seiner Ex-Frau hinterherjaulte. Das brachte ihn wenigstens einigermaßen in Fahrt.

Als Kern am nächsten Morgen um 8.41 Uhr ins Content Department kam, war die Stimmung auf dem üblichen frühmorgendlichen Tiefpunkt.

"Du musst mich einbinden und dabei meine Seele massieren. Und nicht irgendwelche einsamen Ressortleiterentscheidungen treffen", jaulte Mies, weil er durch Kerns Eintreten geweckt und von seinem Schreibtisch hochgeschreckt worden war. Kern rannte empört raus. Drecksack. Dabei pflegte er einen kommunikativen und transparenten Führungsstil. Er fragte wegen jedem Fünfzeiler nicht nur seinen Stellvertreter, sondern er band auch den Ressort-Prakti, die thematisch und räumlich nahe liegenden anderen Ressorts, die Korrektur und den Betriebsrat in seine Entscheidungen ein. Jedenfalls hatte er das gemacht, als es noch eine Korrektur gab und bevor ihm der Geschäftsführer angedeutet hatte, dass man sich vom Betriebsrat als zukunftsfähige Führungsfigur besser fernhalte.

Es waren immer noch genügend mitzunehmen. Die meisten rannten schon lange entsetzt davon, wenn er jovial grimassierend seine Standardschleim absonderte ("Darf ich dich um einen Rat bitten, Kollege?"). Aber irgendwann stellte er auch die hartnäckigsten Flüchtlinge.

Kern dachte ja allen Ernstes, er sei der Reformer von ihnen beiden und Mies sei der Bremser und die Vollniete. Mies dachte allen Ernstes, Kern sei der willfährige Büttel des Rendite-Journalismus und eine Vollniete. Das ahnte Kern seit längerem. Ausgerechnet Mies, dachte Kern bitter.

In seiner Zeit als Ressortleiter hatte sein Stellvertreter noch nie einen Text angefangen, wenn der Redaktionsschluss mehr als zwei Stunden entfernt lag. Immer wieder hatte Kern auf ihn eingeredet wie auf einen Blöden: Schreib den Artikel in aller Ruhe. Überlege dir, was du eigentlich erzählen willst und welches Material du hast. Schreib los, halte inne, recherchiere dann die hohlen Stellen nach. Es war sinnlos.

Erstens schlief Mies meistens auf seinem Schreibtisch, wenn er ihm Anweisungen gab. Zweitens war er sicher, dass Mies nicht den Rebellen gab, sondern sich aufrichtig selbst belog. Er schaffte es einfach nicht. Er hatte keinerlei Macht über sich, keinen Funken Selbstachtung. Das war auch der Grund, warum Mies in den letzten fünf Jahren keinen Beitrag mehr geschrieben hatte, der relevant oder gar geblieben war, dachte Kern zufrieden.

In diesem Moment sah ihn sein Stellvertreter perfide-debil an und sagte: "Würdest du dein Leben oder das deiner Familie in einem Krieg für Deutschland aufs Spiel setzen?"

Kern wurde blass. Ja! Oder: Nein? Drecks-Mies. Er versuchte sich angestrengt zu erinnern, was die Investoren in ihren "ethischen Richtlinien der Redaktion" zu dieser Frage postuliert hatten. Hatte der geschäftsführende Chefredakteur damals mit der Waffe in der Hand für die deutsche Einheit gekämpft - und wenn ja, auf welcher Seite? Auch Frank-Walter Steinmeiers Position war ihm entweder entfallen oder noch nicht untergekommen. Mist. Fortsetzung folgt.

Die Charts im Mai:

Pop: "Mein Ding", Udo Lindenberg

Buch: "Das Buch der verbrannten Bücher", Volker Weidermann

Fußball: 1899 Hoffenheim

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