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Neues Album von Aggro-Rapper SidoWürdig aus dem Ghetto

Zwischen verschämter Bürgerlichkeit und Proletentum: Auf seiner neuen Platte zeigt Sido, dass er einer der besten Alleinunterhalter ist. Um Widersprüche sollen sich andere scheren.

Sido - einer, dem ein guter Gag schon immer wichtiger war als Muckis aufpumpen. Bild: promo

Was bisher geschah: Paul Würdig setzt eine Maske auf und tauft sich Sido. So entkommt er dem Märkischen Viertel, einer Berliner "Gegend, auf der Scheiße auf dem Speiseplan steht", und stürmt mit seinen kleinkriminellen Rap-Kumpels die Charts. "Raus ausm Viertel und ran ans große Geld".

Die von Jack Nicholsons Synchronstimme Joachim Kerzel gegrummelte Einleitung, in der die Vergangenheit des Helden rekapituliert wird, eröffnet "Ich und meine Maske", Sidos drittes Album, und stellt damit gleich die Frage: Was soll da jetzt noch kommen nach Bürgerschreck und Porno-Rap, nach Bravo und Blingbling, nach Kodderschnauze und Dokusoap-Ästhetik? Denn der Erfolg hat das eigene Konzept eigentlich untergraben.

Die Antwort, die Sido gibt, ist: Von allem ein bisschen und, weil auch ein Rapper älter wird und erwachsener, hat er dann eine solide Dosis soziale Verantwortung. Das braucht einerseits Platz, deshalb ist "Ich und meine Maske" gleich ein Doppelalbum geworden. Und andererseits kann sich das mit dem plötzlich gefundenen sozialen Gewissen nur Sido erlauben, weil der schon immer eher Geschichtenerzähler als authentischer Protzer war. Einer, dem der gute Gag wichtiger ist, als sich echte Muckis in Knastkraftraum anzutrainieren.

So bekommen, das gehört nun mal zum Programm, die "Gegner" ihr Fett weg, werden "Titten" enthüllt und Fäkalwitze gerissen: "Ich mach das wie der Dackel mit dem Bürgersteig, ich scheiß drauf." Also wieder reichlich vom - das ist Sido seinem Kundenstamm schuldig - "nicht so angebrachten Wortlaut". Ansonsten aber bewirbt sich Herr Würdig, der angeblich eine Lehre als Kindergärtner abgebrochen hat, für eine Stelle als Sozialarbeiter im Problembezirk: In "Augen auf" (das mithilfe des Kinderchors Gropiuslerchen Berlin dreist bei Jay-Zs "Hard Knock Life" klaut) liest er verantwortungslosen Eltern die Leviten. Für "Schule" reportiert er aus dem Umfeld seiner Zielgruppe, die authentizitätsfördernden Statements von Betroffenen inklusive. "Nein!" beschreibt durchaus humorvoll die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Mann und Frau. Und mit "Beweg deinen Arsch" hat Sido sogar einen Song geschrieben, der seine etwa auf FDP-Linie liegenden Empfehlungen zusammenfasst, dieses Land wieder flottzumachen.

Der alte Sido ist aber noch lange nicht abgeschafft. Ihn mit dem neuen auszubalancieren, das bleibt ein aufregendes Experiment. So handelt "Herz" die Themenkomplexe Fremdgehen und Drogennehmen moralisch verantwortlich ab, aber gleich anschließend wird in "Strip für mich" die Entkleidungskunst zu Musik gefeiert. In "Danke" entdeckt Sido den Allmächtigen und fragt sich, "warum werde ich und nicht du wie ein Star verehrt", nur um gerade mal einen Song später seine berüchtigte Plattenfirma Aggro Berlin zu lobpreisen.

Es ist ein Spagat zwischen verschämter Bürgerlichkeit und demonstrativem Proletentum, zwischen hemmungsloser Witzigkeit und dem moralinsauren Willen, doch ein bisserl Verantwortung zu übernehmen.

Sido wagt eine Zerreißprobe. Eine, die nicht gelingen kann. Aber das ist ihm egal: "Ich und meine Maske" ist konzipiert als Selbstbedienungsladen, der die komplette Produktpalette des Hiphop im Angebot führt, also Storytelling, Battle-Rap und Partytracks, Provokation und Nachdenklichkeit, Gewaltverherrlichung und Bedenkenträgerei, Rebellion und das Versprechen auf Teilhabe. Sido ist eben nicht die Stimme aus dem Ghetto, sondern Alleinunterhalter. Und einer der Besten. Um die Widersprüche sollen sich andere scheren.

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