Raúl Castro zieht die Fäden in Kuba: Die konservativen Reformer
Für die neue Führung in Havanna ist die Geschlossenheit der Elite oberstes Gebot. So sind es die alten Kader, die notwendige Veränderungen verkünden.
Während Raúl Castro der kubanischen Wirtschaft eine schrittweise Dezentralisierung verordnet, setzt er politisch auf Zentralisierung. Da ist zum einen der Machtzuwachs des Militärs, dem Raúl als Armeeminister ein halbes Jahrhundert lang vorstand. Eine Reihe von Armee-Offizieren sind in zentrale Stellungen im Staatsapparat aufgestiegen, von drei Neuzugängen im Politbüro waren zwei altgediente Generäle.
Auch in anderen Bereichen erleben wir ein Comeback von Kadern der ganz alten Garde. Das Durchschnittsalter des im Februar neu gewählten Staatsratspräsidums liegt bei über 70. Kurz nach der ersten Kabinettssitzung betraute er ein Urgestein des Apparats, den 84-jährigen José Ramón Fernández, mit der Funktion, "die Arbeit der Ministerien für Bildung und für höhere Bildung zu orientieren, zu kontrollieren und zu koordinieren".
Dass Raúl so alte Genossen in Schlüsselpositionen bringt und gleichzeitig dem Land eine weit reichende Reformagenda verordnet (siehe unten), ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Denn der zentrale Imperativ für die Führung in Havanna ist die Geschlossenheit der Elite. Während Raúl in einer Art kontrollierter Glasnost Ansätze zu einer pluraleren Diskussion innerhalb der Gesellschaft eröffnet hat, so gelten Risse oder auch nur Fraktionen innerhalb des politisch-militärischen Machtapparats als Bedrohung des Machterhalts, die es um jeden Preis zu vermeiden gilt.
Reformen, so das Kalkül, können daher eben nicht die weithin als reformfreudig geltenden Kräfte einleiten, sondern ganz im Gegenteil: Um die Einheit der Eliten nicht zu gefährden, muss die Regierung, gerade wenn sie einen Reformkurs einschlagen will, dafür die konservativen Kräfte im Apparat einbinden. So rücken nun die alten Kader ins öffentliche Rampenlicht und müssen die Notwendigkeit schmerzhafter Veränderungen erklären, derweil die gerade auch im Ausland als "Reformer" geltenden Kräfte, allen voran der 56-jährige Carlos Lage, in der zweiten Riege verharren.
Die Schlüsselrolle in diesem Balanceakt kommt dem Militär zu. Bereits seit Ende der 80er-Jahre hat das Militär in dem großen ihm unterstehenden Wirtschaftssektor Reformen vorexerziert und betriebswirtschaftliche Rationalität eingeführt. In der Folge sind die Militärs auch massiv an den aufstrebenden Dollarsektoren im Tourismus und anderen Bereichen beteiligt worden. Der Architekt dieser Transformation, General Julio Casas Regueiro, ist ein enger Vertrauter Raúl Castros. Mit dessen Amtsübernahme rückte er als Einziger neu in die Riege der fünf Vizepräsidenten Kubas auf. Er wird öffentlich kaum in Erscheinung treten, aber seine Bedeutung hinter den Kulissen der Macht dürfte kaum zu überschätzen sein.
Sehr viel komplizierter steht es um die Rolle der Partei. Rhetorisch wird Raúl nicht müde zu betonen, dass der Erbe Fidels nicht eine individuelle Person sei, sondern die Kommunistische Partei als Institution. Auch hier hat Raúl Castro auf einer Sitzung des Zentralkomitees die Interims-Etappe nach Fidels Erkrankung für beendet erklärt und mit der Gründung einer siebenköpfigen Führungskommission innerhalb des Politbüros eine neue Struktur der Macht eingezogen. Die Pointe ist, dass dieses neue Entscheidungsgremium der Partei aus ebenjenen sieben Kadern mit einem Durchschnittsalter von 72 Jahren besteht, die im Februar bereits zum Präsidium des Staatsrats ernannt wurden. Mehr Machtkonzentration geht nicht. Und während laut Verfassung die Kommunistische Partei "die führende Kraft in Staat und Gesellschaft" sein sollte, so ist hier das Gegenteil der Fall: Raúl hat schlicht die Machstruktur des Staatsapparats auf die Führungsstruktur der Partei kopiert.
Gleichzeitig berief Raúl endlich auch den nächsten Parteikongress ein, der laut Satzung der Partei bereits seit mehr als fünf Jahren fällig ist. Angesetzt ist dieser Parteikongress jedoch erst für das zweite Halbjahr 2009 - ein fürwahr nicht gerade überstürzter Zeitplan in einer Situation, in der nach dem Abtritt der historischen Führungsfigur und einer weitreichenden Reformagenda viele angestammte Sicherheiten schwinden.
Politisch ist Raúl, so unscheinbar er auftritt, längst dem Schatten seines Bruders entwachsen. Nur rhetorisch stellt er sich noch immer unter sein Licht. Alles, was in Kuba derzeit geschieht, geschieht im Namen Fidels. Ein Zitat des einstigen Comandante en Jefe wurde auf zahllose Stelltafeln im Land tapeziert: "Revolution, das bedeutet, alles das zu ändern, was geändert werden muss!" Ein Blankoscheck. Wer die Deutungshoheit hierüber hat, bei dem liegt die Macht im Lande. Noch in seiner Rede zum Amtsantritt hatte Raúl die Delegierten des kubanischen Parlaments explizit gebeten, bei allen wichtigen Entscheidungen Fidel konsultieren zu dürfen. Man darf bezweifeln, wie oft er dies wirklich tun möchte. Die Botschaft dahinter war eine andere: Niemand anders als Raúl darf Fidel konsultieren oder gar in seinem Namen die Politik der Regierung kritisieren.
Dies gilt sogar für Fidel selbst. Viele Maßnahmen der Regierung Raúls stehen in offenkundigem Kontrast zu dem, was Fidel als Machthaber für richtig hielt, dass kaum wahrscheinlich ist, dass der kranke Revolutionsführer dies nun auf einmal alles ganz anders sieht - von der Zulassung privater Handys bis hin zur angekündigten Abschaffung der vor fast 50 Jahren eingeführten Bezugsscheinkarte für rationierte Lebensmittel. Doch auch wenn der "Genosse Fidel" in der Parteizeitung noch immer eine regelmäßige Kolumne schreibt, dann vorzugsweise über die USA, die EU oder die globale Klimakatastrophe; direkte Kommentare zu den in seinem Namen getroffenen Maßnahmen der Regierung Raúl hingegen sind ganz offenkundig tabu.
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