Hausprojekt: Die Nische für ein anderes Leben
Die Köpi ist eine Institution der linken Szene. Seit den Ausschreitungen während der Freiräume-Tage ist das Haus an der Köpenicker Straße als Randale-Zentrale verschrien. Im Alltag versuchen die Bewohner ihre Vorstellung von Freiheit zu leben.
Ein asphaltiertes Rechteck, dahinter ein paar Holzgestelle, Sitzbänke, Sperrmüll, alte Wohnwagen. An einer Mauer hängt, aus Gips geformt, der Kopf der amerikanischen Freiheitsstatue. Der Hof der Köpi wirkt nicht sehr einladend. Doch für Magdalena bedeutet dieses Stück Asphalt sehr viel. Es sei der Freiraum, der ein Leben abseits des Mainstreams möglich mache, sagt sie. Hier trifft sie die anderen Bewohner, hier hat sie immer etwas zu tun: im Winter Holz hacken, im Sommer Schrott nach Verwertbarem sortieren oder eine Bar für die nächste Party bauen.
Letzte Woche machte das autonome Wohnprojekt an der Köpenicker Straße in Mitte wieder einmal Schlagzeilen. Bei den sogenannten Freiräume-Aktionstagen wurde ein paar Straßen weiter ein Haus besetzt - und kurz darauf wieder geräumt. Später gerieten Polizei und Autonome vor dem Köpi-Gelände aneinander. Steine und Flaschen flogen. Am Ende gab es fünf verletzte Polizisten, mehrere Festnahmen und kaputte Fenster an der Zentrale der Gewerkschaft Ver.di auf der anderen Seite der Köpenicker Straße. Von der "Randale-Zentrale Köpi" schrieben die Boulevardzeitungen.
Der Alltag in der Köpenicker Straße 137 sieht anders aus. "Eigentlich ist es hier friedlich", sagt Magdalena. Unter ihrer schwarzen Cap quellen Rastazöpfe hervor, im Gesicht trägt sie mehrere Piercings. Die 22-Jährige ist vor drei Jahren von Polen nach Berlin gezogen. "Wegen der alternativen Szene." Freunde von ihr lebten schon in der Köpi. Sie schlief ein paar Monate im Gästezimmer, bis ein WG-Zimmer frei wurde. Die Wände strich sie rot, zimmerte ein Hochbett, stellte ein Sofa und einen Couchtisch darunter. "Die Möbel habe ich alle auf der Straße gefunden."
Magdalena versucht, weitestgehend ohne Geld auszukommen, nicht im kapitalistischen System mitzumachen. Ein paar Euro verdient sie, indem sie an Straßenkreuzungen mit Fackeln jongliert und Kleingeld in den Reihen der wartenden Autos sammelt. Auf dem Heimweg sucht sie in Abfallcontainern von Supermärkten nach Obst und Gemüse, das noch genießbar ist. "Containern" nennt sie das. "Richtigen Müll esse ich natürlich nicht, aber oft finde ich noch gute Sachen."
Sie sei schon in der Schule links gewesen, eine Punkerin, immer irgendwie dagegen. Eine normale Mietwohnung könne sie sich mit ihrem Lebensstil nicht leisten. Aber warum auch? Die Köpi sei für sie der perfekte Ort. Magdalena schwärmt vom Gemeinschafsgefühl, alles wird im Hausforum besprochen, zusammen entschieden und umgesetzt. Auch wenn es mal Streit um fehlende Betriebskosten oder nicht entsorgten Müll gibt, sprechen die Hausbewohner gern von einer "gelebten Utopie".
Die Köpi ist eine Parallelwelt in der schicken neuen Mitte Berlins. Das fünfgeschossige Gebäude mit der verfallenen Fassade wirkt düster, die meisten Bewohner kleiden sich in Schwarz. Zurzeit leben hier etwa 40 Menschen - Studenten, Arbeiter, Arbeitslose, Lebenskünstler. In den hohen Räumen im Erdgeschoss ist Platz für Kulturprojekte. Druckerei, Kino, Kneipe und Sporthalle, alles in Selbstverwaltung.
Zu DDR-Zeiten war das Haus Volkseigentum. Im Februar 1990 wurde es als eines der ersten Häuser im Ostteil der Stadt besetzt. Bald bekamen die neuen Bewohner Mietverträge von der noch zuständigen kommunalen Wohnungsverwaltung. 1995 wurde die Köpi dem Alteigentümer rückübertragen, der das Haus nach einer Pleite an Gläubigerbanken verlor. Nach einer Zwangsversteigerung im Mai 2007 drohte lange eine Räumung. Erst im März erkannte der neue Besitzer überraschend die bestehenden Mietverträge an und stellte für die Gemeinschaftsräume im Erdgeschoss sogar neue aus.
Ein Foto über Magdalenas Schreibtisch zeigt eine Soli-Demo im Dezember. An Polizisten in Schutzmontur schiebt sich ein langer Strom junger Leute vorbei, fast durchweg schwarz gekleidet, manche vermummt. Das Bild wirkt bedrohlich. Im Haus ist man sich einig: Ohne den öffentlichen Druck von hunderten von Sympathisanten, ohne die offene Androhung von gewaltsamem Widerstand bei einer Räumung hätte es die Einigung mit dem neuen Besitzer nicht gegeben.
Für die linke Szene ist die Köpi eine der letzten Bastionen gegen die Gentrifizierung der Stadt. Ein Mythos, der auf Postkarten vermarktet wird. Ein Vorzeigeprojekt, das zeigen soll, wie Selbstverwaltung abseits kommerzieller Zwänge funktionieren kann. Dabei ist die Köpi innerhalb der Szene nicht unumstritten. Es gibt Kritik, dass das Haus von vielen nur als Partystätte wahrgenommen wird, nicht als Ort der politischen Auseinandersetzung. Dass mit "Insellösungen" nichts gewonnen sei, bemängeln andere. Die Bewohner richteten sich gemütlich in ihrer antikapitalistischen Nische ein, statt für weitergehende Veränderungen zu kämpfen, kritisiert ein Beitrag in einem Internetforum zu den "Aktionstagen".
Das Köpi-Treppenhaus ist dunkel, die Wände und Fenster mit Graffiti zugesprüht. Um in Lothars Wohnung zu gelangen, muss man bis ganz nach oben steigen. Lothar gehört zu den Veteranen des Hauses, mit Unterbrechungen lebt er hier seit 16 Jahren. Er ist das Gedächtnis der Köpi, sammelt Fernsehbeiträge über das Haus, erzählt den Jüngeren, wer schon alles vor ihnen hier wohnte. Viele bleiben nur zwei, drei Jahre, ziehen dann weiter in eine normale Mietwohnung, wo das Leben ruhiger ist.
Lothars Raum unterm Dach hat knapp 30 Quadratmeter, die Decke ist mit Holz getäfelt. Aus dem Fenster sieht man die Spree. "Ich habe das alles selber ausgebaut", erzählt er. Schließlich habe er früher Maurer gelernt. Stolz auf die Leistung der eigenen Hände sind viele Bewohner. Das Selbermachen ist für autonome Wohnprojekte ein wichtiges Argument, um sich zu legitimieren. Eine professionelle Sanierung nutze nur Spekulanten, die dann höhere Mieten verlangen könnten. In der Köpi zahlen sie eine Miete, die sich am Zustand des Hauses zu Wendezeiten bemisst: 14 Cent pro Quadratmeter. "Plus Nebenkosten", fügt Lothar hinzu. Er habe nichts gegen Privateigentum, aber eine Miete zu zahlen, die sich am freien Markt orientiere, sehe er nicht ein. "Wohnen ist ein Menschenrecht", lautet ein Slogan der Hausbesetzer. Einer weiteren Begründung bedarf es in ihren Augen nicht.
Besetzerkarriere
Lothar ist ein kleiner, drahtiger Mann mit rasiertem Schädel, Anders als viele im Haus geht der 41-Jährige regelmäßig arbeiten. "Ganz ohne Geld geht es ja nicht." Als Industriekletterer baut er mit an Dachkonstruktionen von Sportstadien und Flughafenhallen auf der ganzen Welt: Dänemark, Kuwait, Nigeria. Kollegen würden ihn komisch anschauen, wenn er erzählt, wo er lebt. "Die meisten können sich das gar nicht vorstellen."
Lothar wuchs in Jena auf, Mitte der 80er zog er dort mit Freunden in eine leer stehende Altbauwohnung. Die Staatsmacht ließ sie gewähren. Zu Zeiten des rigiden DDR-Wohnungsmanagements war das illegale Beziehen heruntergekommener Altbauen weit verbreitet. Selbst Angela Merkel kokettierte vor kurzem damit, dass sie ihre erste eigene Wohnung in Ostberlin aufbrechen ließ und illegal bezog.
In der engen DDR-Welt eckten Lothar und seine Freunde aber immer wieder an. Eine verbotene Kahnfahrt auf der Saale, spontane Straßenmusik in Weimar - immer gab es Ärger. 1987 stellte er einen Ausreiseantrag und fand sich schnell in Westberlin wieder, in der Kreuzberger Besetzerszene. 1992 gelangte er schließlich in die Köpi.
Ein paar Mal ist er weggezogen. Zwei Jahre lebte er auf dem Land, 200 Kilometer vor Berlin, ein Jahr im Dschungel in Papua-Neuguinea. Doch immer kam er zurück. "Man kann sagen, dass ich nie erwachsen geworden bin, aber ich habe hier einfach alles, was ich brauche." Nirgends sonst gebe es Kino, Bar, Sporthalle und Konzertbühne im eigenen Haus. Selbst zu kochen, das habe er in all den Jahren nie richtig gelernt, erzählt er. Denn immer, wenn er irgendwo im Haus mit Freunden quatsche, forderten diese ihn zum Mitessen in ihrer WG auf.
Dass die Räumung abgewendet wurde, habe ihn nicht überrascht, sagt Lothar. Er habe aber auch nicht groß darüber nachgedacht. "Ich habe gelernt, mir nicht zu viele Gedanken über die Zukunft zu machen", sagt er. "Als ich 1987 aus der DDR ausreiste, hat man mir gesagt, dass ich die nächsten 20 Jahre nicht wieder einreisen darf - das kam dann auch anders."
"Die Köpi ist zweifellos eine Nische", sagt Lothar. Aber er sei zu alt, um von der Weltrevolution zu träumen. Daher sei das Haus nicht nur für die Bewohner wichtig, sondern auch für die Menschen außerhalb dieser kleinen Welt. "Als Erinnerung daran, dass ein anderes Leben möglich ist."
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