Literatur: Mit fliegenden Fahnen
Beim Aufbau-Verlag zeigt man sich kämpferisch und optimistisch - auch wenn man derzeit statt eines Verlegers den Insolvenzverwalter im Haus hat. Der Verleger hatte sich heimlich davon gemacht.
Eine zusammengerollte Marx-Engels-Fahne lehnt noch am Regal. Ein paar lose Blätter liegen auf dem Schreibtisch. Viel mehr Spuren sind nicht geblieben. Das Arbeitszimmer von Bernd F. Lunkewitz wirkt verwaist, seit der Verleger des Aufbau-Verlags vor vierzehn Tagen seine Sachen packte. Nur die Putzfrau soll ihm noch begegnet sein, als er im Morgengrauen das Verlagsgebäude verlassen hat.
Zurück blieb ein Brief, in dem Lunkewitz seinen beiden Geschäftsführern Tom Erben und René Strien mitteilt, dass er dem Aufbau-Verlag keine finanziellen Mittel mehr bereitstellt und die Zusammenarbeit aufkündigt. Über Nacht war der Verlag überschuldet, die beiden Geschäftsführer waren gezwungen, Insolvenz anzumelden.
"Der hat sich einfach bei Nacht und Nebel vom Hof geschlichen." Tom Erben kann fast schon ein bisschen lachen, wenn er an den bizarren Abgang des Mannes denkt, den viele immer schon für etwas halbseiden gehalten haben wollen. Natürlich herrscht bei Aufbau immer noch Fassungslosigkeit. Immerhin ist Lunkewitz hier 17 Jahre Verleger und Gesellschafter gewesen, nachdem er den bedeutendsten Belletristikverlag der DDR 1991 von der Treuhand erworben hat.
Trotzdem meint man in den Verlagsräumen am Hackeschen Markt einen vorsichtigen Triumph zu spüren, der sich unter das anfängliche Entsetzen gemischt hat. "Es könnte am Ende so aussehen", sagt Erben und lehnt sich im Stuhl zurück, "dass sich Herr Lunkewitz in diesem Fall verspekuliert." Erben spielt auf die heillos verworrene Rechtslage des Verlags an, die Lunkewitz so interpretiert, dass er nicht nur der alleinige Inhaber zahlloser Autorenrechte und Lizenzen ist, sondern auch noch erhebliche finanzielle Forderungen an den Verlag richten kann.
Diese Auffassung teilt man bei Aufbau natürlich ganz und gar nicht, und in den Akten hat man bisher auch nichts gefunden, was das Gegenteil beweist. Kurz zuckt es um die Lippen des Geschäftsführers. Fast hätte man das für einen Anflug von Süffisanz halten können. Erben stellt dann aber schnell klar, dass er im Grunde gar nicht mehr nach hinten schauen wolle. Lieber zeigt er die Bücher aus dem kommenden Herbstprogramm, die schon in seinem Regal stehen. Dass die erscheinen werden, genauso wie die Projekte, die für 2009 geplant sind, daran will Erben keinen Zweifel aufkommen lassen. Sorgfältig aufgereiht stehen auch die Ordner mit den Finanzen im Regal. In denen darf man leider nicht blättern.
Den Optimismus und Tatendrang, den Tom Erben versprüht, trifft man auch auf allen anderen Etagen des Hauses. Man sollte ihn nicht nur unter positiver Öffentlichkeitsarbeit verbuchen - obwohl die natürlich nötig ist, wenn sich das Szenario erfüllen soll, das hier allen vorschwebt: einen neuen Käufer finden, mit dem man die Arbeit des Verlags weiterführen kann. Es gebe eine ganze Reihe von Interessenten, die will Erben aber natürlich nicht nennen.
Am Ende werden es nicht die beiden Geschäftsführer allein sein, die darüber zu entscheiden haben. Der Mann, um den bei Aufbau im Moment alles kreist, heißt Joachim Voigt-Salus und ist der vom Amtsgericht Charlottenburg bestellte vorläufige Insolvenzverwalter. Ohne seine Absegnung kann hier keine Entscheidung mehr getroffen werden, jedenfalls was finanzielle Dinge angeht. Inhaltliche Entscheidungen träfen nach wie vor Geschäftsführung und Lektorat, sagt Erben. Das sei übrigens in der Vergangenheit kaum anders gewesen. Lunkewitz hat sich allenfalls sporadisch und zu Liebhaberprojekten geäußert. Der Insolvenzverwalter ist es auch, der Lunkewitz am vergangenen Wochenende zu einem Gespräch getroffen hat. Alle anderen Kontakte verweigert Lunkewitz derzeit. Über das Treffen am Wochenende ist zunächst Stillschweigen vereinbart worden. "Freundschaftliche Atmosphäre" ist das einzige offizielle Statement, das Voigt-Salus gegeben hat.
So hat Lunkewitz es nach seinem Verschwinden zu einem eigenartigen Phantomstatus gebracht. Eigentlich will hier keiner mehr über ihn sprechen. "Kaminzimmer" wird sein Arbeitszimmer konsequent genannt - ein "Verlegerzimmer" gibt es nicht mehr, genauso wenig wie einen Verleger. Und trotzdem spricht man eben im Grunde nur von Lunkewitz. "Was macht der jetzt? Wie schläft der?", fragt Gunnar Cynybulk, Lektor bei Aufbau. Kann der überhaupt noch schlafen? Erklärungssuche für etwas, das man hier nur als moralische Abgründigkeit verstehen kann, treibt die Aufbau-Mitarbeiter um.
Anders als die Geschäftsführung, die um Ausgewogenheit bemüht ist, macht Cynybulk aus seiner Wut kaum einen Hehl. Fast hätte man ihn überreden können, den exklusiven Lunkewitzschen Weinkeller vorzuführen, damit man sich ein Bild machen kann von der Abgehobenheit eines Mannes, der so leichterdings einen Verlag nebst seiner mehr als sechzig Angestellten über die Klinge springen lassen will, von den Autoren ganz zu schweigen. Aber Cynybulk weiß natürlich, dass alle Erklärungsversuche müßig sind, deshalb konzentriert auch er alle Energien auf die Zukunft. Inmitten von Manuskripten und Büchern, die sich bis unter die Decke seines Mansardenzimmers stapeln, ist er in diesen Tagen mehr Krisenmanager als Lektor. Vor allem geht es jetzt darum, mit den Autoren zu sprechen und Vertrauen zu schaffen, dass die ganze Sache bald überstanden ist. Seine Stimme ist so rau, als habe er die letzten zwei Wochen dauertelefoniert.
Einer der ersten, die Cynybulk angerufen hat, war Adam Soboczynski. Der hielt gerade sein druckfrisches Buch in den Händen, das Ende Juli bei Aufbau erscheinen soll. "Kann nicht sein", war alles, was Soboczynski gesagt hat. Dann sagte er erst mal lange nichts. Mittlerweile hat Cynybulk ihn nicht nur überzeugen können, dass sein Buch verabredungsgemäß erscheinen wird, sondern auch, dass es mit dem Verlag weitergeht. "Sieht doch eigentlich alles ganz gut aus", sagt Soboczynski und ist fast schon empört, wenn man ihn auf einen möglichen Verlagswechsel anspricht.
Bei Aufbau hofft man, dass solche Solidaritätsbekundungen, von denen man viele erhalten hat, nicht nur leere Versprechungen bleiben. Sonst könnte es sehr schnell vorbei sein mit der kollektiven Euphorie, die durch die Anspannung und die Aufregung der letzten zwei Wochen eine flirrende Durchlässigkeit bekommen hat. Im Moment reicht das Adrenalin noch.
Über dem Eingang des Aufbau-Verlags hängt ein Plakat, das Mitarbeiter spontan gemalt haben: "Gehören soll, was da ist, denen, die gut für es sind." Ein Zitat aus Brechts "Kreidekreis" und ein Hauch von Besetzerzeiten. Und so falsch ist das gar nicht. Schließlich hat Lunkewitz dem Verlag auch den Mietvertrag gekündigt. Dass man vorläufig bleiben darf, ist eine besondere Klausel im Insolvenzverfahren.
Plötzlich eine Meldung aus dem Äther. Ein Lebenszeichen von Lunkewitz, der die Akten über die Privatisierung des Verlags online gestellt hat. Tom Erben scrollt auf seinem PC-Bildschirm hoch und runter und gibt sich amüsiert. Ein Funken Unsicherheit scheint dennoch mitzuschwingen. Niemand kann mit letzter Sicherheit wissen, wie es weitergehen wird. "Wir sind überzeugt, dass wir gestärkt aus dieser Krise hervorgehen werden", sagt Erben mit Nachdruck. Natürlich ist das auch eine Beschwörungsformel.
Von der will sich bei Aufbau aber niemand abbringen lassen. Deshalb hält man es bis auf weiteres mit dem festen Glauben an die Kraft der Literatur. Als man später gemeinsam beim Mittagessen in der Sonne sitzt, macht noch ein anderes Zitat die Runde: "Bleib erschütterbar und widersteh." Das stammt von Peter Rühmkorf, der in dieser Woche verstorben ist. Der war zwar kein Aufbau-Autor, aber im Moment ist jeder Zuspruch recht.
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