Schulen: Freie Schulwahl gilt nur begrenzt
Viele Familien sind wütend über die Verteilung der Plätze an den drei Kreuzberger Gymnasien. Vor allem Kinder im alten SO 36 müssen deswegen weit fahren.
Yildiz S. (Name geändert) ist wütend. An vier Oberschulen hat sich ihre Tochter, die die sechste Klasse einer Kreuzberger Grundschule besucht, beworben: an drei Gymnasien und einer Gesamtschule mit Oberstufe. Nun liegt der deutschtürkischen Familie der Bescheid des Schulamts vor: Ihr Kind, derzeit Klassenbeste, wurde an keiner der Wunschschulen angenommen, sondern einem Friedrichshainer Gymnasium zugewiesen. Der Grund für diese Entscheidung: die amtlichen Aufnahmekriterien für Oberschulen.
Denn nur vordergründig besteht bei den Anmeldungen an Oberschulen freie Schulwahl. An beliebten Schulen ist die Zahl der Bewerber so hoch, dass Ablehnungen unumgänglich werden. Dann verteilt das Schulamt die Kinder: zunächst nach den angegebenen pädagogischen Prämissen wie gewünschte Sprachenfolge oder besondere schulische Angebote. Letztes und entscheidendes Kriterium ist aber die Nähe von Wohnort und Schule: Wer maximal tausend Meter von der Wunschschule entfernt wohnt, hat Glück. Bei weiter weg Wohnenden wie Familie S. entscheidet das Schulamt mithilfe des "Internetservice der BVG" über die Zumutbarkeit des Schulwegs, wie Frau S. aus ihrem Amtsbescheid erfuhr. Ein Kriterium, das für Kinder aus Kreuzbergs Osten zum generellen Handikap wird.
Denn: "Es gibt in fußläufig erreichbarer Nähe unserer Grundschule einfach kein Gymnasium", sagt Inge Hirschmann, Leiterin der Heinrich-Zille-Grundschule am Lausitzer Platz. AbgängerInnen ihrer Schule seien deshalb bei Bewerbungen an stark nachgefragten Oberschulen "immer benachteiligt".
Erschwert wird die Lage durch die klaren Präferenzen Kreuzberger Eltern. Während sich das im Bergmannkiez gelegene Leibniz-Gymnasium wachsender Beliebtheit erfreut und im kommenden Schuljahr locker sieben statt der räumlich möglichen vier siebten Klassen füllen könnte, müssen die zwei im Graefekiez liegenden Oberschulen Robert-Koch- und Hermann-Hesse-Gymnasium um ausreichende Anmeldungen bangen. Ein Grund dafür sei die unterschiedliche Zusammensetzung der Schülerschaft, schätzt Robert-Koch-Direktor Andreas Völkel: "Wir unterrichten hier fast nur noch Migranten. Das schreckt viele Eltern ab." 93 Prozent seiner SchülerInnen kommen aus Einwandererfamilien, vor fünf Jahren waren es 38 Prozent. Auch am Hermann-Hesse-Gymnasium ist der Anteil von MigrantInnen in den letzten fünf Jahren von 36 auf fast 65 Prozent gestiegen. Am Leibniz-Gymnasium blieb er mit rund 30 Prozent konstant.
Ursache sei das Kriterium der Wohnortnähe, sagt Leibniz-Direktorin Christina Rösch: "Dass unter den abgelehnten BewerberInnen viele mit Migrationshintergrund sind, liegt an der anderen Bevölkerungszusammensetzung im östlicheren Kreuzberg." Dort wohnten einfach mehr Migranten als im Bergmannkiez. Auch Frau S., auf deren Wunschliste das Leibniz-Gymnasium ganz oben stand, glaubt nicht an bewusste Diskriminierung: "Das ist eine sehr engagierte Schule." Genau deshalb will sie nicht aufgeben: Gemeinsam mit anderen Eltern ihrer Schule, deren Kinder ebenfalls abgelehnt wurden, will sie vor Gericht einen Platz am Leibniz-Gymnasium erstreiten.
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