Lil Wayne's Dollar-Album: Vom Giftzwerg zum Schmusetiger
Er ernährt sich von schlechten Rappern und fragt Mami, ob sie mitmachen möchte. Mit "Tha Carter III" hat Lil Wayne ein tieftrauriges und kaputtes Hiphop-Album veröffentlicht.
Zwischen den Mannsbildern wirkte er wie ein Kindersoldat. Die drei Diven von Destinys Child feierten im Video zu "Soldier" zwischen Luxuskarossen, Dobermännern und strammen Kerlen gerade den gestählten maskulinen Körper, da schob sich ein missmutiger Zwerg ins Bild. Aufreizend gemächlich und mit glasigem Blick nuschelte er in Camouflage: "Mami, join my troop." Wars (Selbst-)Ironie? Man blieb ratlos. Lil Wayne aber hatte sich im Kopf festgesetzt.
In den USA war der Rapper aus New Orleans Ende 2004 schon ein Star. In Europa blieb der Südstaatenrap mit seinen Billigkeyboards und Monsterbässen eine Terra incognita; zu primitiv, mit zu viel Tabledance-Stallgeruch und einer zu protzigen Zurschaustellung von Reichtum. Bling-Bling heißt Letzteres im Südstaatenslang. Lil Wayne hat den Begriff 1999 zusammen mit B. G. in einem Song lanciert. Längst wird Nicolas Sarkozy "président bling-bling" genannt, und der Ausdruck wurde ins Oxford Dictionary aufgenommen.
Bling-Bling hat in den letzten Jahren das Gros des kommerziellen Hiphop geprägt. Ein Odeur der Dekadenz umweht das Genre. Parallel dazu haben die Verkäufe verglichen mit anderen Sparten überproportional abgenommen. Vor allem der Gangsta-Rap büßt an Terrain ein; es gibt eine neue Sehnsucht nach Mittelklassewerten.
Lil Wayne widmet auf seinem neuem Album jede Sekunde "dem allmächtigen Dollar". Er behauptet, er schwitze Geld, die Bank sei seine Dusche und die Pistole sein Handtuch. Er rappt, er sei süchtig, und dass ein Niemand sei, wer nicht den Rausch kenne. Er hat mit einer Ode an den Oralsex ("Lollipop") gerade seinen ersten richtigen Crossover-Erfolg gelandet. "Tha Carter III", das sechste Soloalbum von Lil Wayne, hat allein in den USA in der ersten Woche mehr als eine Millionen Exemplare verkauft. Das ist der beste Umsatz seit 50 Cents "The Massacre" vor drei Jahren. Wie das?
Eine Antwort lautet: Dewayne Carter III, der mit elf seinen ersten Majorvertrag unterzeichnet hat, ist so erfolgreich, weil er als Lil Wayne den Kapitalismus nicht nur in den Liedern verhandelt, sondern verinnerlicht hat. Ein protestantisches Arbeitsethos - das teilt er mit seinem Produzenten Kanye West - trifft auf den Willen zur vollen Flexibilisierung. Lil Waynes Studio ist sein Wohn-, der Tourbus sein Schlafzimmer. Es waren nicht neue Alben, die ihn zuletzt zur größten Nummer im Rap machten. Sein Rezept: Mixtapes am Fließband produzieren, die DJs dann landauf, landab spielen, und daneben fleißig die Stücke anderer veredeln. Zirka 60 Gastauftritte waren es in den letzten zwei Jahren. Angekündigt hat er auch noch eine Rap-Supergroup mit dem Produzenten T-Pain.
Zugute kommt Lil Wayne auch, dass er anders als viele seines Fachs kein spezifisches Image kultiviert hat. Er hat sich die Freiheit bewahrt, alles sein zu können. Genauso rappt er. Er wandelt sich in einer einzigen Zeile vom Giftzwerg zum Schmusetiger. Er beherrscht den nonchalanten Singsang ebenso wie das Tempobolzen. Seine raue Stimme verleiht den Liedern eine verwitterte Textur, zugleich klingt er daueramüsiert und oberschlau. Er betont die Silben gern neben dem Schlag, und er hat jederzeit die Macht, die Musik auf Kommando zu verändern. Und er kann wirklich wunderbar seufzen; als würde das ganze Gewicht der Welt allein auf seinen Schultern liegen. Lil Wayne ist der derzeit unangefochten größte Rap-Stilist.
"Tha Carter III" mit seinen schwärenden Synthesizerflächen und den brutal voluminösen, synkopierten Beats ist eine einzige Feier des Hedonismus und zugleich kaputt und tieftraurig. Lil Wayne kann Prahlen wie ein Weltmeister, und plötzlich tun sich in einem Bild, einem Klang, einem Tonfall Abgründe auf. Da passt gut, dass sich der 25-Jährige in eine Tradition stellt zu Musikern wie Sun Ra oder George Clinton, die einst, geprägt vom eigenen Gefühl der Fremdheit als Schwarze in der US-Gesellschaft, im Weltall einen imaginären utopischen Ort schufen. Er sei ein Marsianer, rappt Lil Wayne in "Phone Home", nur um sich sogleich zum E. T. des Genres zu stilisieren, der sich im Hiphop-Supermarkt von schlechten Rappern ernährt.
Der Ernst wird vom Witz unterwandert und umgekehrt. Das verleiht dieser süffigen, extrem auf Anschlag produzierten Platte einen schwankenden Boden. "Im the bomb like tick tick", rappt Lil Wayne, und man wartet tatsächlich nur auf die Explosion. Die kommt am Ende als Implosion, in Form eines zehnminütigen, zugedröhnten Monologs über den Konflikt zwischen guter Absicht und böser Tat, Oben und Unten, Schwarz und Weiß in den real existierenden Verhältnissen der US-Städte. Es ist ein Stück, das einem mit seinem finsteren Groove und dem zynischen Unterton schaudern macht. So sehr diese Musik den permanenten Kostümwechsel einfordert, so sehr erzählt sie von einer Welt, in der nicht die Veränderung das kosmische Prinzip ist, sondern die eingefrorene Handlung.
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