die wahrheit: Sieger mit Knie
Ruhm und Ehre dem Eigensportler!
Eine große Ungerechtigkeit ist die Abwesenheit des Eigensportlers im Sportteil. Der Eigensportler findet in der Berichterstattung nicht statt. Er wird von der Fachpresse nicht wahrgenommen, schlimmer, er existiert nicht für sie. Über den Eigensportler gibt es offenbar nichts Wesentliches mitzuteilen.
Der Fremdsportler dagegen wird in aller erbärmlichen Ausführlichkeit gewürdigt. Kevin Kuranyi lässt seine fragwürdige Gesichtsfrisur anderthalb Zentimeter näher an den Mund heranflaumen? Christoph Metzelder qualifiziert sich durch überdurchschnittliche Streberei für den Leistungskurs Mittelhochaltspanisch bei der Volkshochschule Madrid? Christoph Daum lässt seinen trägen Mannschaftshaufen zu Motivationszwecken mit nackten Füßen über dampfende Geißbocklosung laufen? Derlei überflüssiges Gedöns wird umstands- und gedankenlos jederzeit steil in den Rang einer Nachricht erhoben.
Dass aber zum Beispiel der vorbildliche Eigensportler Peter G. aus D. in den frühen Morgenstunden des gestrigen Tages seinen persönlichen Rekord im Pulsniedrighalten beim Zehn-Kilometer-Dauerlaufen von 123 noch einmal um sensationelle four beats per minute auf 119 heruntergebrochen hat, ist keinem Sportteil eine Zeile wert. Deswegen steht sie ja jetzt auch hier. Peter G., ich bin stolz auf Dich! Und ich nutze die Macht dieses Metropolenorgans, um der überregionalen Welt mitzuteilen, dass Du ein ganz ein Großer bist! Bist Du nämlich auch! So!
Die Welt, der diese famose Leistung heute zur Kenntnis gelangt, wird mir beipflichten, wenn ich ihr jetzt auch noch schildere, unter welch dramatischen Bedingungen der einzigartige Eigensportler Peter G. sie erbracht hat. Erstens musste er vor dem triumphalen Sieg über seinen Puls der kleineren seiner beiden kleinen Töchter dahingehend ein herzensguter Vater sein, als dass er, bereits vollständig in Rekordversuchs-Funktionswäsche gekleidet, ihrem entzückenden, aber durchaus langwierigen Blockflötenvortrag mit dem am Vortag erlernten Lied "Freude, schöner Götterfunken" wohlwollend und abschlussapplaudierend beiwohnte. Und zweitens leidet Peter G. unter Knie.
Das Peterknie ist ein langwieriges. Es ist ein böses, ein durch jahrelange Aschenfußballplatzmartyrien geschreddertes, nur von Restknorpeln zusammengehaltenes, von Meniskusteilabrissen, Bändererosionen, Baker-Zysten und Scheibenfehlstellungen zerrümpeltes, eigentlich also schon längst totes Knie. Ein einziger lediglich noch mit schrundiger Haut bedeckter Friedhof der Gelenkteilchen.
Uns Normalsterblichen ist es nicht ansatzweise gegeben, die unendliche Passion des Eigensportlers G. zu ermessen, dessen geradezu jesusmäßige Leidensfähigkeit zu würdigen, ahnen wir doch nicht annähernd, was es bedeuten muss, ein schon vor Jahren von ihm gegangenes Körperteil über Wald-, Pflaster- und Asphaltböden zu schleppen. Und das alles nur, um dem von ihm zärtlich "mein Angstknie" genannten Schrotthaufen ein ums andere Mal zu zeigen, wer hier immer noch der Herr im eigenen Körpergebäude ist. Dass dabei wie im Vorbeilaufen quasi ein persönlicher Pulsabsenkrekord nach dem anderen purzelt, scheint da nur noch eine Randnotiz. Aber selbst die wäre der Welt nicht zur Kenntnis gelangt, wenn sich nicht endlich jemand erbarmt hätte, dem unbekannten Eigensportler ein sportjournalistisches Denkmal zu setzen. Mit anderem Wort: Ich!
Dass dabei die Großtaten einer ebenfalls bisher nicht als prominent auffällig gewordenen Leistungsträgerin der Platznot zum Opfer fallen müssen, ist bedauerlich, lässt sich aber nicht verhindern. Von der trotz zahlloser dramatischer Wirbelblockaden oberhalb der Kreuzdarmbeinfuge nicht vom Eigensport abzuhaltenden Multifunktionsathletin Cordula Maria K. aus B. wird deswegen an anderer Stelle zu berichten sein.
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